| | | Geschrieben am 13-09-2018 Landeszeitung Lüneburg: Plädoyer für weniger Bauvorschriften - Interview mit dem Ökonom Prof. Dr. Michael Voigtländer
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 Lüneburg (ots) - Immobilienpreise und die Höhe der Mieten steigen
 immer weiter - nicht nur in den bekannten Metropolen, sondern auch in
 vielen anderen Städten. Wie lange geht dieser Trend noch gut? Wie
 groß ist die Gefahr einer Überhitzung?
 
 Prof. Dr. Michael Voigtländer: Typische Anzeichen für eine
 Überhitzung wären, dass die Bautätigkeit deutlich über den Bedarf
 hinausgeht oder dass die Kreditvergabe massiv anzieht. Beides ist
 derzeit nicht feststellbar. Die Bautätigkeit reicht noch längst nicht
 aus. Und bei der Kreditvergabe haben wir zwar Steigerungen, diese
 bleiben aber hinter dem Erwartbaren zurück. Wir haben ein echtes
 Knappheitsproblem - gerade in großen Städten. Berlin wächst um rund
 40 000 Einwohner pro Jahr, es werden aber durchschnittlich
 weniger als 15 000 Wohnungen jährlich gebaut. Ich vermute, dass
 die Preise und Mieten noch länger ansteigen - wenn auch nicht mit der
 gleichen Dynamik wie bisher.
 
 Die Zahl der Einwohner in Deutschland sinkt nicht wie
 prognostiziert, sondern steigt. Zugleich nimmt die Zahl der
 Haushalte, und dabei vor allem der Singe-Haushalte, weiter zu. Gibt
 es Prognosen, wie viele neue Wohnungen in Deutschland in den
 kommenden Jahren benötigt werden?
 
 Wir rechnen damit, dass bis 2020 rund 380 000 neue Wohnungen
 jährlich benötigt werden. Danach dürfte es einen Rückgang geben.
 Allerdings nicht in Metropolen wie Berlin. Hier rechnen wir damit,
 dass auch langfristig 30 000 neue Wohnungen pro Jahr benötigt
 werden. Dass Einwohnerwachstum wird sich weiter auf große Städten
 konzentrieren, die wirtschaftlich attraktiv sind und überproportional
 viele gute Jobs bieten. In vielen ländlichen Regionen dürfte der
 Wohnungsbedarf dagegen deutlich rückgängig sein.
 
 Die Politik versucht derzeit von zwei Seiten, Wohnungsmangel und
 Preisanstieg beizukommen. Die Mietpreisbremse wurde etwas verschärft.
 Die SPD will noch einen Schritt weitergehen und Mieterhöhungen in
 Ballungsgebieten auf Höhe der Inflationsrate zu deckeln. Was halten
 Sie davon?
 
 Es ist natürlich verständlich, dass man Mieter schützen will. Aber
 die Erfahrungen aus anderen Ländern sollten eine Warnung sein: Wenn
 ein Mietenstopp eingeführt wird, reagieren die Vermieter: Sie
 investieren weniger in Wohnungen oder versuchen, über
 Abstandszahlungen mehr Geld hereinzubekommen. Oder man verkauft an
 den Selbstnutzer. Das ist in vielen Ländern passiert. Spanien oder
 Großbritannien haben deutlich höhere Wohneigentumsquoten als
 Deutschland. Das hängt damit zusammen, dass man Vermieter mit solchen
 Regularien vom Markt gedrängt hat. Auf Dauer könnte das Mietern
 schaden, weil es immer schwerer werden würde, bezahlbare
 Mietwohnungen zu finden.
 
 Das Bundesfinanzministerium plant offenbar Steueranreize für
 private Investoren, falls die Herstellungs- und Anschaffungskosten
 3000 Euro pro Quadratmeter nicht übersteigen. Ist so ein Anreiz
 ausreichend oder sinnvoll?
 
 Wir haben derzeit eine Lage, in der es hochattraktiv ist, zu bauen
 und zu investieren, weil die Zinsen sehr niedrig und die Preise stark
 gestiegen sind. Es gibt jede Menge Investoren im Markt. Das Problem
 ist aber, das sie oft keine geeigneten Baulandflächen finden. Gehen
 sie in so einer Situation mit Subventionen wie Sonderabschreibungen
 oder Baukindergeld in den Markt, wird die Nachfrage noch stärker
 angeheizt - und die Baulandpreise steigen noch stärker. Es ist zwar
 generell richtig, dass der Abschreibungssatz mal wieder erhöht werden
 sollte, weil die technische Nutzungsdauer kürzer ist als unterstellt,
 aber dies sollte man sich aufheben für eine Phase des Abschwungs der
 Bautätigkeit.
 
 Wäre es wirkungsvoller, die Bauvorschriften herunterzufahren?
 
 Das ist tatsächlich etwas, das etwas bringen wird und das wir
 angehen sollten. Es gibt in Deutschland 3300 Normen allein für den
 Bau und wahnsinnig hohe Anforderungen. Es müsste mehr Ausnahmen
 geben. Man sollte überlegen, welche Normen weggelassen werden können
 und wo man statt konkreter Vorgaben nur Ziele ins Auge fasst. Die
 Niederländer haben das gemacht und große Erfolge damit erzielt. In
 Deutschland ist das Bauen hingegen immer teurer geworden.
 
 Wie sieht es mit den energetischen Vorschriften aus?
 
 Die Vorschriften, die in den vergangenen Jahren hinzugekommen
 sind, bringen energetisch und klimatechnisch relativ wenig, haben die
 Kosten aber deutlich erhöht. Es wäre besser, auf Ziele hinzuarbeiten.
 Wie das erreicht wird, sollte der Kreativität und Innovationsfreude
 der Wirtschaft überlassen werden. Es wäre besser, wenn wir uns
 stärker darauf konzentrieren, die Energieeffizienz der vorhandenen
 Bauten zu verbessern. Das würde für dem Klimaschutz mehr bringen.
 
 Sollten wir uns vom Anspruch, dass ein Haus 100 Jahre halten soll,
 besser verabschieden?
 
 Ja, ich denke schon - gerade in Hinblick auf die absehbare
 demografische Entwicklung sollten wir uns klar machen, dass wir viele
 Gebäude, die wir gerade bauen, vielleicht gar nicht so lange
 brauchen. Ein Beispiel sind die Studenten: Deren Zahl ist zwar
 deutlich gestiegen - auch wegen der doppelten Abiturjahrgänge. Aber
 ab Mitte der 2020er-Jahren wird die Zahl der Studenten demografisch
 bedingt zurückgehen. Viele Studentenwohnungen könnten dann wieder vom
 Markt genommen werden. Eine solche Variabilität und Flexibilität
 sieht die Bauordnung aber nicht vor, es wird vielmehr davon
 ausgegangen, dass Gebäude 50 oder 100 Jahre stehen müssen. Hier
 sollte nachgebessert werden.
 
 Glauben Sie, dass die Länder bei der Verschlankung von
 Bauvorschriften mitziehen?
 
 Das ist ein schwieriges Thema. Jedes Bundesland hat eine eigene
 Landesbauordnung. Das macht es schon überregional tätigen
 Projektentwicklern schwer, das gleiche Gebäude in unterschiedlichen
 Ländern zu bauen. Als ersten Schritt sollte eine Musterbauordnung
 angegangen werden - auch wenn es unterschiedliche Interessen und
 Deutungshoheiten in den Länder gibt.
 
 Halten Sie neben dem Errichten von Häusern in einfacherer Bauweise
 und ohne Keller auch den Bau höheren Häusern für notwendig?
 
 Der Bau von Häusern ohne Keller wird in jedem Fall etwas bringen,
 weil die Baukosten dadurch deutlich reduziert werden. Höhere Häuser
 nutzen zwar den vorhandenen Platz besser, aber es ist keine
 kostengünstige Bauweise. Für viele Städte ist es aber dennoch eine
 attraktive Option, weil man hier ein gute soziale Durchmischung
 hinbekommen kann: Die oberen Stockwerke mit teureren Wohnungen, die
 unteren Stockwerke mit eher günstigen Wohnungen. Man darf aber nicht
 die Fehler der 70er-Jahre wiederholen, als Siedlungen allein mit
 großen Wohnblöcken entstanden. Höhere Häuser sollten gut an die Stadt
 angebunden sein, damit es akzeptiert wird.
 
 War das Herunterfahren des sozialen Wohnungsbaus ein Fehler?
 
 Das würde ich verneinen. Der soziale Wohnungsbau hat sich in den
 1950er- und 60er-Jahren vor allem dadurch gerechtfertigt, dass es
 damals kaum Kapital und Investoren gab. Der Staat musste Anreize für
 mehr Bautätigkeit setzen und massiv selbst in den Markt einsteigen.
 Diese Situation hat sich massiv verändert. Zudem hat der soziale
 Wohnungsbau große Probleme mit der Treffsicherheit eingebüßt. Vor
 zwei Jahren haben wir eine Studie durchgeführt. Demnach gelten 45
 Prozent der Mieter in solchen Wohnungen als armutsgefährdet, verfügen
 also nur über 60 Prozent des Durchschnittseinkommens. Andere Mieter
 haben deutlich höhere Einkommen. Das liegt auch daran, dass das
 Gehalt oftmals nur zum Zeitpunkt des Einzugs in eine Sozialwohnung
 überprüft wird. Viele Mieter haben später aber Jobs oder besser
 bezahlte Jobs gefunden, wollen so lange wie möglich in der günstigen
 Wohnung bleiben. Das Wohngeld ist dem sozialen Wohnungsbau eigentlich
 deutlich überlegen. Man erhält Zuschüsse zu den Wohnkosten, Diese
 sind ganz klar einkommensabhängig und werden regelmäßig überprüft.
 Das Problem mit dem Wohngeld ist aber, dass es nur etwa alle sieben
 Jahre reformiert und an die Leistungen an die tatsächliche
 Preisentwicklung angepasst wird. Hier müssten wir eine Dynamisierung
 hinbekommen. Dann könnte vielen Menschen passgenauer geholfen werden.
 
 Haben sich zu viele Kommunen in Zeiten niedriger Steuereinnahmen
 und großer Löcher in den Kassen zu schnell von ihren
 Wohnungsbaugesellschaften oder ihrem Wohnungsbestand getrennt?
 
 Die großen Verkaufswellen in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren
 kamen zum falschen Zeitpunkt, weil man später deutlich mehr Geld
 hätte erlösen können. Von der Herangehensweise finde ich den Verkauf
 grundsätzlich aber nicht falsch. Denn Kommunen müssen oder sollten
 ständig in die Infrastruktur investieren. Was nützt es ihnen, wenn
 sie viele eigene Wohnungen haben, aber eine nicht mehr
 konkurrenzfähige, rückständige Infrastruktur?
 
 Was halten Sie von den Überlegungen des Berliner Bürgermeisters
 Müller, nach neuseeländischem Vorbild den Verkauf von Wohneigentum an
 Ausländer zu erschweren?
 
 Ein Grundproblem ist die geringe Transparenz im Markt. Wir wissen
 nicht, wie viele Ausländer überhaupt im Markt tätig sind. In London
 gab es eine ähnliche Diskussion wie jetzt in Berlin. Dort wurde
 intensiv recherchiert, wer warum Wohnungen kauft. Man fand heraus,
 dass nicht nur spekuliert wird und viele Immobilien leer stehen,
 sondern dass es oft auch Nutzungsinteressen gab. Ich halte die
 Berliner Pläne aber aus einem anderen Grund für unrealistisch: In der
 EU gibt es die Kapitalverkehrsfreiheit. Man müsste schon viele
 verschlungene Wege gehen, um begründen zu können, warum Spanier oder
 Griechen nicht in Berlin investieren dürfen.
 
 Zur Person
 
 Prof. Dr. Michael Voigtländer (Jahrgang 1975) ist ein bekannter
 deutscher Ökonom. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Münster und
 Köln. Von 2000 bis 2005 arbeitet er als wissenschaftlicher Assistent
 am Wirtschaftspolitischen Seminar der Kölner Universität. Seit
 Oktober 2005 arbeitet Prof. Voigtländer am renommierten Institut der
 deutschen Wirtschaft Köln. Zudem ist er seit dem Jahr 2011 ist
 Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule
 Bonn-Rhein-Sieg.
 
 
 
 Pressekontakt:
 Landeszeitung Lüneburg
 Werner Kolbe
 Telefon: +49 (04131) 740-282
 werner.kolbe@landeszeitung.de
 
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