| | | Geschrieben am 13-09-2018 Open-House-Modelle nicht zulässig / Einseitiges Vertragsdiktat in der Hilfsmittelversorgung rechtswidrig
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 Berlin (ots) -
 
 Ein Schritt nach vorn und zwei zurück? Das 2017 in Kraft getretene
 Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) gilt politisch als
 großer Wurf und Fortschritt zugunsten der Patienten.
 
 Qualitätskriterien erhalten dadurch mehr Gewicht, gerade auch bei
 Hilfsmitteln mit hohem Dienstleistungsanteil. Doch mit der Einführung
 von Open-House-Verträgen missachten gesetzliche Krankenkassen den
 Willen des Gesetzgebers. Ohne Mitspracherecht der Leistungserbringer
 bestimmten sie dabei alle Bedingungen und berufen sich auf
 EU-Vorschriften. Zu Unrecht, wie der Bundesinnungsverband für
 Orthopädie-Technik (BIV-OT) betont. In Konsequenz werde so die
 deutsche Gesetzgebung im Gesundheitswesen ausgehebelt. Das
 Bundesversicherungsamt (BVA) und das Bundesgesundheitsministerium
 bewerten Diktatverträge wie die Open-House-Verträge in der
 Hilfsmittelversorgung ebenfalls als gesetzeswidrig.
 
 "Mit dem HHVG werden Qualitätskriterien bei der Versorgung der
 gesetzlich Versicherten mit Hilfsmitteln stärker einbezogen - ganz im
 Sinne der Patientinnen und Patienten", unterstreicht BIV-OT Präsident
 Klaus-Jürgen Lotz. "Doch nun scheint es, dass manche gesetzliche
 Krankenkassen durch einseitig diktierte Open-House-Verträge die
 Vorgabe zu mehr Qualität systematisch unterlaufen."
 
 Für Vertragsabschlüsse zwischen gesetzlichen Krankenkassen und
 Leistungserbringern für die Beschaffung von Hilfsmitteln sind laut §
 127 im Sozialgesetzbuch (SGB) V drei Optionen definiert: Die Vergabe
 per Ausschreibung nach Absatz 1, allerdings nicht für individuell
 angefertigte Hilfsmittel oder Versorgungen mit hohem
 Dienstleistungsanteil; der Verhandlungsvertrag mit
 Beitrittsmöglichkeit für andere Leistungserbringer (Abs. 2) sowie im
 Ausnahmefall die Vereinbarung im Einzelfall mit Kostenvoranschlag
 (Abs. 3). "Mit Open-House-Modellen wollen manche Krankenkassen eine
 weitere Möglichkeit festschreiben, die das Gesetz nicht vorsieht",
 kritisiert Lotz.
 
 Open House bedeutet: Die Krankenkasse legt alle Bedingungen fest
 wie Preis, Lieferfristen oder Qualität. Änderungen sind nicht
 zulässig. Mit den Verantwortlichen der der Patientenversorgung wird
 nicht verhandelt. Während seiner Laufzeit steht der Vertrag allen
 Unternehmen, welche die Voraussetzungen erfüllen bzw. akzeptieren,
 jederzeit zum Beitritt offen - daher der Name. Im Arzneimittelbereich
 ist dies bei Rabattverträgen zwischen Krankenkassen und
 Pharmaunternehmen teils gängiges Vorgehen.
 
 "Dies ist aber auf die Hilfsmittelversorgung nicht übertragbar",
 betont Lotz. Aufgrund des meist gegebenen hohen
 Dienstleistungsanteils sowie einer wohnortnahen Versorgung dürfe der
 Einfluss auf Qualitätsaspekte sowie Preise nicht allein bei einem
 Vertragspartner liegen. Bestimme nur eine Seite alle Modalitäten,
 würden oft rein wirtschaftliche Interessen die Oberhand gewinnen.
 "Die Leistungserbringer mit ihrer Expertise und Verantwortung für die
 Patientenversorgung werden dann nicht mehr als Partner im
 Gesundheitswesen anerkannt." Sie müssten den komplett einseitig
 ausgestalteten Vertrag widerspruchslos unterschreiben oder seien von
 der Hilfsmittelversorgung ausgeschlossen. Zudem würde eine solche
 Praxis auch dazu führen, dass in dem hochkomplexen Hilfsmittelmarkt,
 der bisher durch eine vertragspartnerschaftliche Innovationskraft
 gekennzeichnet war, kein notwendiger Know- How Transfer in die
 Versorgungsverträge hinein mehr stattfindet.
 
 "Die Krankenkassen sehen ihr Vorgehen durch das angeblich
 vorrangige Wettbewerbs- bzw. Vergaberecht der EU legitimiert und
 qualifizieren damit das SGB V als für sie nicht zutreffend ab",
 berichtet Lotz. Dabei berufen sie sich gemäß BIV-OT beispielsweise
 auf einen Beschluss des Vergabesenats des Oberlandesgerichts (OLG)
 Düsseldorf (Aktenzeichen VII-Verg 26/16) vom 21. Dezember 2016, wo zu
 § 127 SGB V unter anderem die Rechtsaussage (25a) getroffen wurde:
 dieser habe vergaberechtlich unangewendet zu bleiben, verstoße also
 gegen Vergaberecht, weil danach "die gesetzlichen Krankenkassen die
 Durchführung eines geregelten Vergabeverfahrens von
 Zweckmäßigkeitsüberlegungen, mithin von Ermessenserwägungen, abhängig
 machen dürfen." Des Weiteren werde von den Krankenkassen ein Urteil
 der Fünften Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu
 Arzneimittelrabattverträgen vom 2. Juni 2016 (C-410/14) angeführt.
 Hierbei wurde festgestellt, dass ein Open-House-Vertrag "keinen
 öffentlichen Auftrag" im Sinne des Vergaberechts darstellt und damit
 nicht ausschreibungspflichtig ist.
 
 Laut BIV-OT ist die rechtlich begründete Auffassung der
 Krankenkassen hinsichtlich der Open-House-Verträge in der
 Hilfsmittelversorgung falsch. "Unserer Meinung nach hat der EuGH
 Verhandlungsverträge gerade nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil, er
 hat verschiedene Vertragsvarianten außerhalb des EU-Vergaberechts
 bejaht", so Lotz. Außerdem sei in dem Urteil keine Rede davon, dass
 bei Verträgen mit Beitrittsmöglichkeit für andere Leistungserbringer
 einseitige Preisdiktate Voraussetzung wären. Mit Vorgaben, ob und
 wann derartige Verträge im Gesundheitsbereich zulässig wären, habe
 sich das Urteil gar nicht befasst. "Das SGB V gilt nach wie vor, auch
 der Beschluss des OLG Düsseldorf ist hier nicht anzuwenden. Denn der
 Gesetzgeber hat in den festgelegten Vertragsoptionen nach § 127 SGB V
 seinen Willen eindeutig zum Ausdruck gebracht."
 
 Nicht zuletzt bezeichnen ebenso das Bundesgesundheitsministerium
 sowie die Aufsichtsbehörde BVA Open-House-Verträge als unzulässig. So
 schrieb Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe am 2. Juli 2017 an
 den BIV-OT-Präsidenten Lotz: "Der Abschluss von Open-House-Verträgen
 ist den Krankenkassen verwehrt." Ein Gutachten der Wissenschaftlichen
 Dienste des Deutschen Bundestages vom 26. Juni 2017 (Sachstand,
 Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 025/17) kommt zu dem Schluss: "Die
 Krankenkassen müssen den Leistungserbringern also die Möglichkeit
 eröffnen, Vertragsverhandlungen zu führen." Weiterhin heißt es, dass
 "der Abschluss von Hilfsmittelverträgen ohne Verhandlungsmöglichkeit
 nach derzeitiger Rechtslage nicht zulässig ist, entspricht darüber
 hinaus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dem Stand des
 sozialrechtlichen Schrifttums und der vom Bundesversicherungsamt
 vertretenen Rechtsauffassung." Zudem wird ausgeführt: "Der
 Gesetzgeber hat für die Hilfsmittelverträge mit den verschiedenen
 Vertragstypen des § 127 SGB V einen abschließenden - und für die
 Krankenkassen rechtlich verbindlichen - Katalog möglicher
 Versorgungsverträge festgelegt, außerhalb derer eine
 Hilfsmittelbeschaffung durch die gesetzlichen Krankenkassen
 ausscheidet."
 
 Open-House-Verfahren seien "im Bereich der Hilfsmittelversorgung
 nicht anwendbar", verdeutlichte desgleichen das BVA, welches die
 Rechtsaufsicht über die meisten gesetzlichen Krankenkassen innehat.
 Die Behörde hielt in ihrem Rundschreiben vom 20. Juli 2017 fest:
 "Auch der jüngst ergangene Beschluss des OLG Düsseldorf (Beschluss
 vom 21. Dezember 2016 - VII Verg 26/16) führt nicht zu einer anderen
 Einschätzung. Diese Entscheidung kann nicht auf das Verfahren zum
 Abschluss von Verträgen nach in § 127 Abs. 2 SGB V übertragen werden.
 Das Bundesversicherungsamt sieht sich in seiner Auffassung durch den
 Gesetzgeber bestätigt."
 
 Zusätzlich hob das BVA die entscheidende Bedeutung einer
 wohnortnahen Versorgung hervor, auf die es bei der Versorgung mit
 Hilfsmitteln mit hohem Dienstleistungsanteil entscheidend ankäme.
 Fazit des Amts: "Das Open-House-Verfahren als System eines
 sukzessiven Vertragsbeitritts von Leistungserbringern wäre zudem
 nicht geeignet, von Beginn an eine flächendeckende, wohnortnahe
 Versorgung sicherzustellen."
 
 Setzen sich Open-House-Modelle in der Hilfsmittelversorgung durch,
 hätte dies ernste Konsequenzen: "Die gesamte deutsche Gesetzgebung im
 Gesundheitswesen für den Hilfsmittelbereich würde ausgehebelt und auf
 den Kopf gestellt. Genauso würde dadurch die Geltung des HHVG mit der
 Betonung der Qualität in der Versorgung infrage gestellt",
 konstatiert Lotz und weiß den BIV-OT damit auf einer Linie unter
 anderem mit der Interessengemeinschaft Hilfsmittelversorgung (IGHV),
 in der die führenden Branchenverbände und -vereinigungen
 zusammenarbeiten. "Die Patientinnen und Patienten würden dem Schutz
 durch deutsches Recht entzogen. Der Gesetzgeber muss dem Einhalt
 gebieten."
 
 Über den BIV-OT: Der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik
 (BIV-OT) vertritt als Spitzenverband des orthopädietechnischen
 Handwerks etwa 2.500 Sanitätshäuser und orthopädietechnische
 Werkstätten mit mehr als 40.000 Beschäftigten. Jährlich versorgen die
 angeschlossenen Häuser mehr als 20 Millionen Patienten mit
 Hilfsmitteln. Der BIV-OT steht in der Verantwortung des deutschen
 Gesundheitswesens und engagiert sich für die Sicherung und
 Weiterentwicklung der Qualität der Versorgungsformen.
 
 
 
 Pressekontakt:
 Kirsten Abel,
 Pressesprecherin des Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik
 Reinoldistr. 7-9, 44135 Dortmund, Telefon: 01715608125,
 E-Mail: abel@biv-ot.org
 
 Original-Content von: Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik, übermittelt durch news aktuell
 
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