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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zu Griechenland

Geschrieben am 29-06-2015

Regensburg (ots) - Das griechische Drama strebt zurzeit
unaufhaltsam seinem Höhepunkt entgegen. Ob es nun jedoch zur
wirklichen Tragödie wird, zum Selbstmord, wie ihn der Dichter
Sophokles in seiner Antigone beschrieb, oder, in der Sprache der
Finanzpolitik, "nur" zum Austritt, Ausschluss aus dem Euro-Club mit
allen Nachteilen, und vielleicht sogar eingien Vorteilen, steht
dahin. Für die Zuspitzung des Dramas jedenfalls hat in den
vergangenen fünf Monaten maßgeblich die Links-Regierung von Alexis
Tsipras samt dem extrovertierten Finanzminister Yanis Varoufakis
gesorgt. War der Wahlsieg des bunt schillernden linken Wahlbündnisses
Syriza im Januar vom Rest-Europa noch als erwartbare Folge der
Misswirtschaft und Klüngelei der bis dahin jahrzehntelang regierenden
Sozialisten und Konservativen hingenommen worden, so änderte sich die
Sicht mit jedem Tag, an dem sich die Tsipras, Varoufakis und Co.
uneinsichtig und kompromisslos zeigten. Womöglich hat Tsipras nie
wirklich eine Verständigung mit den anderen Euro-Mitgliedern, mit
Internationalem Währungsfonds und Europas Zentralbank gewollt. Die
beiden Wahlversprechen von Syriza - im Euro bleiben und Reformen
verhindern - klangen wie das Vorhaben: Wasch mir den Pelz, aber mach
mich nicht nass dabei. Tsipras hat mit seinen Partnern und Geldgebern
in Brüssel bis zur letzten Minute gepokert. Nun hat der linke Premier
offenbar eingesehen, dass er ein schlechtes Blatt hat und die anderen
sich nicht bluffen lassen. Geld, dass Griechenland dringend zur
Aufrechterhaltung der staatlichen Funktionen, der Wirtschaft sowie
zur Bedienung früherer IWF-Kredite braucht, gibt es nicht zum
Nulltarif. Das Prinzip Hilfe nur bei Gegenleistung ist grundlegend in
der EU, im gemeinsamen Währungsraum erst recht. Über die konkreten
Gegenleistungen, sprich Reformen, kann man allerdings streiten. Die
Partner Athens in EU, IWF, in Berlin, Paris und anderswo sind am
jetzigen Chaos nicht ganz unschuldig. Statt einen großangelegten
Marshall-Plan für Griechenland, vor allem für Investitionen in
Wirtschaft und Infrastruktur, auf den Weg zu bringen, bleiben sie im
Kleinklein hängen. Tsipras jedoch will das grundlegende Prinzip nicht
wahrhaben. Wirkliche Reformen, etwa eine Besteuerung von
Superreichen, ein ordentliches Finanz- und Katasterwesen, brachte er
nicht zustande. Fast trotzig hat er dagegen vergangenen Freitag seine
Unterhändler aus Brüssel abgezogen. Nun verschanzt er sich hinter dem
Referendum, dass am Sonntag abgehalten werden soll. Doch diese
Volksabstimmung ist eine Farce. Erstens steht das Angebot der
Gläubiger, über das abgestimmt werden soll, gar nicht mehr. Die
Hilfsleistungen laufen heute um 24 Uhr aus. Zweitens ist unklar,
worüber die griechischen Wähler überhaupt abstimmen sollen.
Vermutlich werden die arg gebeutelten Hellenen die Frage so
verstehen: Bist du für den Verbleib im Euro oder nicht? Und drittens
eröffnet das Referendum eine politische Zwickmühle: Stimmt eine
Mehrheit der Griechen den Bedingungen der "Troika", die heute
"Institutionen" heißt, zu, dann müsste Tsipras mit seiner Regierung
zurücktreten. Er hat den 5. Juli zum "Tag des Ochi", zum Tag des
Neins, ausgerufen. In Anlehnung an den Jahrestag des Neins von 1940.
Damals verweigerten sich die Griechen, der Forderung von Italiens
Diktator Mussolini nachzukommen, der Truppen in Griechenland
stationieren wollte. Das Ultimatum des Duce war nur der Vorwand für
die folgende blutige Invasion. Indem Tsipras an das mutige Nein
seiner Landsleute von damals anknüpft, segelt er unter falscher
Flagge. Sollte Tsipras mit dem Referendum scheitern, könnte ein
weiterer Akt im Drama folgen.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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