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Schwäbische Zeitung: Eine Altlast der Nazi-Juristen - Leitartikel zu Paragraf 211 des Strafgesetzbuches

Geschrieben am 29-06-2015

Ravensburg (ots) - Es gibt beklemmende Situationen in deutschen
Gerichtssälen. Da ist einer des Totschlags angeklagt, weil er seine
Partnerin umgebracht haben soll. Eine Beziehungsstraftat. Während der
Verhandlung kommt dem Vorsitzenden Richter der Verdacht, die Tat
könnte nicht im Affekt, sondern geplant und womöglich noch
heimtückisch begangen worden sein. Ergebnis: Der Angeklagte, der
einen erbärmlichen Strafverteidiger an der Seite hat, wird nicht
wegen Totschlag, sondern als Mörder zu einer lebenslangen
Freiheitsstrafe verurteilt.

Der Mordparagraf ist eine Spezialität des deutschen
Strafgesetzbuches. Alle anderen Paragrafen beschreiben
Verhaltensweisen, die man vermeiden sollte, wenn man sich nicht
strafbar machen will. Wer also stiehlt oder betrügt oder jemanden
verprügelt, der muss mit dieser oder jener Strafe rechnen. Der
Paragraf 211 fällt völlig aus diesem Rahmen. Er umschreibt nicht eine
Tat, sondern einen Tätertyp, eben den Mörder. "Der Mörder wird mit
lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft" heißt es eingangs, und dann
wird aufgelistet, wer als Mörder zu gelten hat. Ist eines der
Mordmerkmale gegeben, dann hat das Gericht keinen Spielraum mehr.
Erfunden haben diesen Sonderparagrafen die Nazis - und so, wie sich
die braunen Juristen den Mörder konstruiert haben, so steht er noch
heute im Strafgesetzbuch. Die Bestimmung ist eine unselige Altlast.

Denn oft sind nicht nur die Grenzen zwischen Mord und Totschlag
verschwommen. Es gibt auch jene Fälle, in denen man ein Tötungsdelikt
als eine Art verzweifelter Notwehr werten kann. Dennoch ist die Frau,
die ihren jahrelangen Peiniger im Schlaf ersticht, wegen des
Mordmerkmals Heimtücke unweigerlich eine Mörderin - mit dem Stigma
des schlimmsten aller Verbrechen. Um keine Zweifel aufkommen zu
lassen: Es wird immer Straftäter geben, die ein "lebenslang"
verdienen. Es wird immer Verbrecher geben, vor denen man die
Gesellschaft dauerhaft schützen muss. Aber die Richter müssen vom
Korsett des Mordparagrafen befreit werden.



Pressekontakt:
Schwäbische Zeitung
Redaktion
Telefon: 0751/2955 1500
redaktion@schwaebische-zeitung.de


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