| | | Geschrieben am 30-01-2014 Landeszeitung Lüneburg: "Das ist nur noch möglich in autoritären Staaten möglich" / Russland-Expertin Marieluise Beck über Putin und die Olympischen Spiele
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 Lüneburg (ots) - Nach der Freilassung im Dezember waren Sie eine
 der ersten, die mit Michail Chodorkowski sprechen konnten. Sie
 beschreiben ihn trotz der langen Lagerhaft als sehr stark. Kann er
 persönlich dazu beitragen, Russland zu modernisieren?
 
 Marieluise Beck: Es wird immer wieder Verwunderung darüber
 geäußert, dass Michail Chodorkowski so zurückhaltend ist in seiner
 Kritik an Präsident Wladimir Putin und an der russischen
 Innenpolitik. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass
 Chodorkowski nicht wirklich frei ist, solange weitere
 Yukos-Mitarbeiter in Haft sind. Er hat betont, dass sein Anliegen
 nach der jahrelangen Haft und Lagererfahrung vor allem die
 Thematisierung der dramatisch schlechten Verhältnisse in russischen
 Lagern sein wird. Ich glaube nicht, dass er sich in näherer Zukunft
 in die Auseinandersetzung um die russische Innenpolitik einmischen
 wird.
 
 Wären Chodorkowski, Platon Lebedew, die Pussy-Riot-Frauen und die
 Greenpeace-Aktivisten ohne die Olympischen Spiele begnadigt worden?
 
 Beck: Es ist kein Zufall, das gerade diese Häftlinge entlassen
 worden sind. Alle diese Namen stehen für große Aufmerksamkeit im
 westlichen Ausland. Zudem gab es zuvor die ersten Olympia-Absagen
 westlicher Staatsoberhäupter. Ich sehe einen deutlichen Zusammenhang
 zwischen diesen Absagen und dem Wunsch Wladimir Putins, als
 ungekrönter Zar Gastgeber dieser großen Olympischen Spielen zu sein.
 Die Freilassung dieser Symbolfiguren ist eine Morgengabe an den
 Westen. Zugleich drohen in Russland selbst den Demonstranten, die
 2012 an den Massenprotesten gegen Putin auf dem "Bolotnaja-Platz"
 teilgenommen haben, hohe Haftstrafen. Es wird massiver Druck auf
 Menschenrechts- und Umweltaktivisten im Umfeld von Sotschi ausgeübt -
 bis hin zur Umwandlung von Bewährungsstrafen in Haftstrafen.
 
 Was erwarten Sie von Putin im Umgang mit Oppositionellen, wenn der
 Olympia-Tross Russland wieder verlassen hat? Etwas größere
 Gelassenheit oder weiterhin die Daumenschrauben?
 
 Beck: Seitens des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) wird
 auf die Frage, weshalb Spiele in so schwierige Länder vergeben
 werden, immer wieder angeführt, sportliche Großveranstaltungen
 könnten zur inneren Demokratisierung eines Landes beitragen. Es gibt
 dafür leider keine Beispiele. In China ist die Zahl der Hinrichtungen
 gestiegen. In Südkorea, wo 1988 die Olympischen Sommerspiele
 stattgefunden haben, ist eine Demokratisierung ausgeblieben. Und es
 ist zu befürchten, dass Putin nach Sotschi den eingeschlagenen Kurs
 der Drangsalierung der Zivilgesellschaft eher noch verschärfen wird.
 
 Sie glauben also, dass die Spiele in Sotschi nur Putins Macht
 stärken, statt freiheitliches Gedankengut nach Russland zu tragen?
 
 Beck: Es gibt den Begriff der "weißen Elefanten". Das sind
 sportliche Prachtbauten, die mit staatlichen Mitteln finanziert
 worden sind und dann ungenutzt herumstehen, weil das Geld für die
 Unterhaltung fehlt. Das ist nur noch möglich in autoritären Staaten.
 Weil nur dort die Bevölkerung nicht gefragt werden muss, ob die
 Geldströme in repräsentative Sportstätten oder zum Beispiel in die
 Sanierung von Krankenhäusern fließen sollen. Die Spiele in Sotschi,
 für die ein Sommerkurort in einen Wintersportort umgewandelt werden
 musste, sollten ursprünglich zwölf Milliarden Dollar kosten. Daraus
 sind inzwischen 50 Milliarden Dollar geworden. Diese Gelder kommen
 aus der russischen Staatskasse, von Gazprom und von Oligarchen, die
 abhängig sind von Putin. Man muss davon ausgehen, dass von diesen 38
 Milliarden Dollar Differenz  wesentliche Teile in Korruptionskanälen
 versickert sind. Dies alles sind keine Voraussetzungen für innere
 Demokratisierung. Im Gegenteil: Jene, die diese Korruption an die
 Öffentlichkeit bringen, sollen mundtot gemacht werden. Das gilt etwa
 für den Blogger Alexej Nawalny, der sehr detailliert korrupte
 Geldströme im Zusammenhang mit Olympia nachgewiesen hat.
 
 Müssen bei der Vergabe sportlicher Großereignisse die
 Rechtsstaatlichkeit, die Haltung gegenüber Minderheiten sowie bei den
 Bauprojekten der Umgang mit Arbeitsmigranten und der Umwelt
 entscheidende Kriterien sein?
 
 Beck: Es ist eine Forderung der Grünen, dass das IOC nicht erst
 darüber nachdenkt, in welches Umfeld Olympische Spiele vergeben
 werden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Die Spiele,
 die ja eigentlich großartige internationale Völkerbegegnungen sind,
 brauchen auch eine  ethische Basis, eine Konvention, in der die
 genannten Standards festgelegt werden.
 
 Ein frommer Wunsch, solange sich um die kleinen Zirkel der der
 Sportfunktionäre - insbesondere beim IOC - ebenfalls regelmäßig
 Korruptions- und Mauschelei-Vorwürfe ranken...
 
 Beck: So ist es. Man kann nur hoffen, dass - ähnlich wie bei die
 Doping-Debatte - auch die gesellschaftliche Diskussion über
 Korruption Fahrt aufnimmt. Eigentlich stand Salzburg auf Platz eins
 der Vergabeliste. Was sich in dem 100-köpfigen Gremium abgespielt
 hat, damit sich dann Sotschi durchsetzen konnte, bleibt unserer
 Fantasie überlassen. Das muss man nicht weiter kommentieren.
 
 Die Glaubwürdigkeit des Sports hat durch die Vergabe an den
 Küstenort am Schwarzen Meer gelitten?
 
 Beck: Ja, das ist mein Argument gegenüber den Sportfunktionären.
 Sie verraten die mit dem Sport verbundenen Ideale von Fairness und
 Leistung, wenn sie selbst im Sumpf der Korruption stecken und im
 Grunde nur noch große internationale Geldmaschinen betrieben werden.
 
 Können oder haben die Begnadigungen Oppositioneller bereits das
 Verhältnis Moskaus zur EU und zu den USA verbessert? Immerhin hat
 US-Präsident Barack Obama Putin Hilfe bei der Terrorabwehr angeboten.
 
 Beck: Es will ja niemand die Rückkehr des kalten Krieges. Insofern
 ist jeder Kontakt und jeder Dialog wichtig und sollte auch gesucht
 werden. Natürlich gibt es gemeinsame Interessen. Es ist eine
 Tatsache, dass das, was als terroristische Bedrohung die freie
 westliche Welt beschäftigt, auch ein säkulares russisches Imperium in
 Atem hält - ich nenne nur die Verhältnisse im Nordkaukasus. Und auch
 der Abzug aus Afghanistan braucht russische Unterstützung. Es kann
 allerdings nicht darum gehen, die sich zunehmend verfestigende
 Haltung zu akzeptieren, dass die die Welt wieder in geostrategische
 Imperien aufgeteilt wird, wie Putin es mit der Stützung Assads in
 Syrien getan hat und tut und wie er es jetzt mit der Ukraine
 versucht. Das ist keine Basis. Putins Anspruch, die Souveränität
 freier Länder übergehen zu dürfen, muss auch im Dialog  deutlich
 zurückgewiesen werden.
 
 Wie kann der Westen Moskau für die Lösung internationaler
 Konflikte wie in Syrien oder im Iran gewinnen und zugleich auf eine
 stärkere Zivilgesellschaft in Russland hinwirken?
 
 Beck: Letztlich ist es richtig, dass die Auseinandersetzung in den
 Ländern selbst geführt werden muss. Wir können eine russische
 Zivilgesellschaft nicht von außen befreien. Wir können aber sehr
 deutlich machen, auf welcher Seite wir stehen und welche
 Geschäftsordnung Länder haben, die freiwillig Mitglied gemeinsamer
 Institutionen wie Europarat, UN und OSZE sind. Und in allen drei
 Institutionen ist die Russische Föderation Mitglied. Der Europarat
 hat eine ganz klare europäische Menschenrechtskonvention als
 Grundlage - und einen Gerichtshof, der diese Konvention für die
 Bürgerinnen und Bürger auslegt.
 
 Der SPD-Politiker Gernot Erler, Russland-Koordinator der
 Bundesregierung, hat im vergangenen Jahr unter der Überschrift
 "Schluss mit den Russland-Bashing" mehr Verständnis und Gespräche
 gefordert. Teilen Sie diese diplomatische Haltung?
 
 Beck: Ich teile die Haltung, dass für Gespräche zu werben ist.
 Dass im Westen vorwiegend schlecht und vorurteilsbehaftet über
 Russland gesprochen würde, ist eine Propagandafigur, die aus dem
 Kreml kommt und mit der versucht wird, aus vermeintlich angetanem
 Unrecht Kapital zu schlagen. Dem sollten wir nicht auf den Leim
 gehen.
 
 Selbst einige Menschenrechtsgruppen sehen Joachim Gaucks Absage
 kritisch und meinen, der wäre besser als Bürgerrechtler in Sotschi
 aufgetreten. Sollte Kanzlerin Merkel zu den Olympischen Spielen
 reisen?
 
 Beck: Ich beobachte im Augenblick mit Sorge die dramatische
 Entwicklung in der Ukraine, die maßgeblich von Russland beeinflusst
 wird, und die Verhältnisse in Syrien. Ich würde es für eine gute Idee
 halten, wenn sich die Kanzlerin während der Eröffnungsfeier
 vielleicht eine andere Stätte sucht, an der sie die Internationale
 Völkerfreundschaft dokumentiert.
 
 Der russische Olympia-Traum kostest mehr als alle anderen Spiele
 zuvor und wird auch durch Korruption, Lohndrückerei, Enteignungen,
 Vertreibungen und praktisch unbegrenzten Vollmachten des
 Sicherheitsapparates verwirklicht. Halten Sie ähnliche Unruhen wie in
 der Ukraine in Russland für gänzlich ausgeschlossen?
 
 Beck: Unruhen in dieser Breite sehe ich derzeit in Russland nicht.
 Was ich allerdings sehe, ist die Gefahr des Terrorismus - und zwar
 nicht unbedingt an den Austragungsorten der Olympischen Spiele,
 sondern vor allem innerhalb Russlands an Orten, von denen
 Sicherheitskräfte abgezogen worden sind, um Sotschi zu einer Festung
 zu machen.
 
 Das Interview führte Klaus Bohlmann
 
 
 
 Pressekontakt:
 Landeszeitung Lüneburg
 Werner Kolbe
 Telefon: +49 (04131) 740-282
 werner.kolbe@landeszeitung.de
 
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