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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Stefan Stark zum Rentenstreit

Geschrieben am 07-04-2014

Regensburg (ots) - Die Renten-Rebellion in der Union trieft vor
Heuchelei: Denn genau jener Passus, von dem Dutzende Abgeordnete von
CDU und CSU auf einmal nichts mehr wissen wollen, steht wortwörtlich
im schwarz-roten Koalitionsvertrag. Der milliardenschwere Deal wurde
kurz vor Weihnachten von den Parteichefs Angela Merkel, Horst
Seehofer und Sigmar Gabriel abgesegnet. Es war ein Koppelgeschäft mit
der SPD nach dem Motto: Die Union bekommt die Mütterrente, die
Sozialdemokraten die Rente mit 63. Die Abweichler bei CDU und CSU
riskieren eine ernste Koalitionskrise. Falls tatsächlich mindestens
60 Abgeordnete gegen das Rentenpaket von Arbeitsministerin Andrea
Nahles stimmen würden - immerhin das mit Abstand teuerste politische
Projekt nach der Finanzierung der deutschen Einheit - würde es
voraussichtlich zwar immer noch eine Mehrheit für das Gesetz geben.
Doch mit der Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung wäre es nicht
mehr weit her, zumal die Rebellen dann auch ihr eigenes
Mütterrenten-Projekt sabotieren würden. Über beides - Rente mit 63
und Mütterrente - soll nämlich in einem Aufwasch abgestimmt werden.
Natürlich ist ein Koalitionsvertrag kein Gesetz, das in Stein
gemeißelt ist. Auch bei früheren Bündnissen wurden viele Versprechen
nicht eins zu eins umgesetzt - und manche gar nicht. Es ist das gute
Recht von Abgeordneten, die Sinnhaftigkeit von Gesetzen infrage zu
stellen. Vor allem, wenn sie so kostspielig sind wie die
Rentenreform. Sie soll 160 Milliarden Euro bis 2030 kosten - mehr,
als man für die Bankenrettung ausgegeben hat. Doch eines verwundert:
Das große Geschrei um die Rente mit 63 betrifft jenen Teil der
Rentenreform, der gemessen an den Gesamtkosten des Pakets fast wie
ein Schnäppchen wirkt. Der Löwenanteil geht nicht für den früheren
Ruhestand drauf, sondern für die Mütterrente. Genau dieser Punkt wäre
diskussionswürdig. Natürlich sei den Müttern eine Anerkennung für
ihre Erziehungsleistung gegönnt. Doch es ist krass ungerecht, dass
nur die Rentenbeitragszahler für diesen Bonus aufkommen sollen.
Beamte, Freiberufler oder Vermögensmillionäre sind fein raus. Die
Renten-Revolte in der Union speist sich aus den eindringlichen
Alarmrufen aus der Wirtschaft. Die Erfolge der bisherigen
Sozialreformen würden verfrühstückt, außerdem verschärfe die
Koalition mit der Frühverrentung den Fachkräftemangel, warnen
Unternehmerverbände nicht zu Unrecht. Und mancher Unionler, der den
Genossen den Triumph beim Mindestlohn nicht gönnt, würde der SPD
jetzt gerne bei der Rente mit 63 eins auswischen. In der Tat wurde
den Bürgern jahrelang eingetrichtert, dass sie länger arbeiten
müssen, damit die Rente sicher bleibt. Doch bei der Rente mit 63 geht
es eben nicht allein um die Frage, ob die SPD eine klassische
Wählerklientel bedient - die Facharbeiter. Das Gesetz schließt auch
eine Gerechtigkeitslücke. Viele Leute arbeiten seit ihrem 14. oder
15. Lebensjahr - im Gegensatz zu Akademikern, die oft erst mit Ende
20 ins Berufsleben einsteigen. Diese Arbeiter oder Handwerker zahlen
weitaus länger in die Rentenkasse ein und manche haben mit 63 Jahren
48 oder 49 Berufsjahre auf dem Buckel. Will die Union so jemanden,
wenn er nicht mehr arbeiten kann oder will - mit der Peitsche in die
Arbeit zwingen? Aus diesem Blickwinkel wirkt der Koalitionsstreit,
inwieweit Zeiten der Arbeitslosigkeit anerkannt werden, reichlich
kleinkariert. Die Renten-Rebellion bei CDU und CSU wird leider nicht
dazu führen, dass das Rentenpaket wieder aufgeschnürt und vor allem
die Finanzierung der Mütterrente auf mehr Schultern verteilt wird.
Bei der Rente mit 63 wird man bei der einen oder anderen Frist ein
bisschen nachjustieren und dann so tun, als ob das jetzt der große
Wurf sei. Doch diese Rentenreform wird noch kurzlebiger sein, als
ihre Vorläufer. Denn spätestens, wenn die Rentenreserve verfrühstückt
ist und die Beiträge angehoben werden müssen, schlägt die Stunde der
Wahrheit. Dieser Zeitpunkt lässt sich zuverlässig voraussagen: Er
wird kurz nach der nächsten Bundestagswahl sein.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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