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Landeszeitung Lüneburg: ,,Demokratie muss jede Generation neu lernen" -- Interview mit dem Vorsitzenden des Innenausschusses des Bundestages, Sebastian Edathy.

Geschrieben am 02-04-2009

Lüneburg (ots) - Nachdem das Bundesinnenministerium die
rechtsradikale Nachwuchsorganisation "Heimattreue Deutsche Jugend"
verboten hat, versucht der Bundestag, die NPD finanziell
trockenzulegen. Juristische Schritte gegen rechtsextreme
Organisationen seien zwar notwendige und richtige Schritte, sagt
Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses.
Doch notwendig zur Stabilisierung der Demokratie sei eine verstärkte
politische Bildung. "Schulen müssen auch Schulen der Demokratie
werden. Bereits Kindergärten sollten den Jüngsten Toleranz und
Gewaltverzicht beibringen."

Fällt das Verbot der "Heimattreuen Deutschen Jugend" unter die
Rubrik Wahlkampfaktionismus?
Sebastian Edathy: Nein, das sehe ich überhaupt nicht so. Es hat schon
vor drei Jahren aus dem Bundestag Hinweise an das
Bundesinnenministerium gegeben, dass es sich bei der HDJ um eine
äußerst problematische, weil demokratiefeindliche Organisation
handelt. Der Innenausschuss hat im vergangenen Herbst
fraktionsübergreifend eine Aufforderung an Herrn Dr. Schäuble
gerichtet, ein Verbot der HDJ zu veranlassen. Dem ist der Minister
nun nachgekommen. Einen Bezug zum Wahlkampf sehe ich nicht. Das war
eine sachlich erforderliche Entscheidung.

Die HDJ war schon lange im Visier des Verfassungsschutzes. Wieso
hat es dann so lange mit dem Verbot gedauert?
Edathy: Das müssen Sie den Bundesinnenminister fragen. Ich hatte ihm
schon vor Jahren mitgeteilt, dass ich es nicht für tolerierbar halte,
was dort unter dem Deckmantel der Kinder- und Jugendarbeit an
demokratie- und menschenfeindlichen Aktivitäten entfaltet wurde.

Zum Schulungspersonal der HDJ zählten viele NPD-Mitglieder. Muss
Berlin ein NPD-Verbot folgen lassen?
Edathy: Grundsätzlich ja. Die HDJ war organisatorisch und personell
eng mit der NPD verbunden. Die NPD steht zudem im Bündnis mit der zum
Teil gewaltbereiten Kameradschaftsszene. NPD-Führungskräfte halten
Reden auf Kameradschaftstreffen, dafür fungieren die Kameradschaftler
auf NPD-Veranstaltungen als Ordner. Die NPD ist eine eindeutig
verfassungsfeindliche Partei, nach meinem Dafürhalten sogar eine
verfassungswidrige Partei, womit sie die Voraussetzungen für ein
Verbot durch das Bundesverfassungsgericht erfüllt. Allerdings sehe
ich für einen entsprechenden Vorstoß des Bundestages in dieser
Wahlperiode zu meinem Bedauern keine politische Mehrheit.

Ist eine öffentliche Äch"tung, etwa durch ein Verbot, geeignet, um
mögliche Sympathisanten abzuschrecken?
Edathy: Zunächst mal stellt ein Verbot sicher, dass die Organisation
nicht weiterbestehen kann, damit verbunden nicht mehr öffentlich
werben kann, und eine Wiederbetätigung unter anderem Namen ist
ebenfalls untersagt. Es geht hierbei nicht nur um das Setzen eines
politischen Signals, sondern darüber hinaus um die Durchsetzung des
Prinzips der wehrhaften Demokratie. Das heißt, dass wir in einem
demokratischen Rechtsstaat sehr vieles dulden müssen, aber nicht
alles dulden dürfen. Rassismus und die Ablehnung der Demokratie,
wofür die HDJ stand und die NPD steht, dürfen nicht geduldet werden.

Gehört zur "wehrhaften Demokratie" auch, das Strafmaß bei
rechtsradikalen Straftaten zu erhöhen?
Edathy: Es gibt eine entsprechende Bundesratsinitiative, die ich für
prinzipiell unterstützenswert halte. Demnach soll ein rechtsradikaler
Hintergrund bei Straftaten von Gerichten strafverschärfend gewertet
werden, weil das besondere Moment entsprechender Straftaten ist, dass
Menschen zu Opfern werden, weil die Täter sie als Teil einer in ihren
Augen minderwertigen Bevölkerungsgruppe betrachten. Dem wohnt ein
besonderer Unrechtsgehalt inne, deshalb sind harte Strafen
gerechtfertigt. Das Thema wird allerdings im Bundestag kontrovers
diskutiert. Ich denke, es sollte klargestellt werden, dass
rechtsextrem motivierte Gewalt einen besonders widerwärtigen
Charakter hat.

In Ihrem Konzept einer sozialdemokratischen Innenpolitik im 21.
Jahrhundert sollen Schulen als Schulen der Demokratie Extremismus
verhindern. Lässt sich der Hang zu vereinfachenden,
fremdenfeindlichen Weltbildern wegerziehen?
Edathy: Ich glaube, dass Demokratie erlernt werden muss und zwar von
jeder Generation aufs Neue. Es ist ein Fehler, zu glauben, dass
Demokratie vererbt wird. Deshalb sollte schon im Kindergarten
eingeübt werden, dass es nicht legitim ist, Konflikte gewaltsam zu
lösen und dass das andere Kind so respektiert werden sollte, wie man
selbst respektiert werden möchte. Derartige Werte sollten Kindern so
früh wie möglich vermittelt werden. Ich bin überzeugt, das geht.
Schließlich wird niemand als Rechtsextremist geboren.
Ein Bodensatz fremdenfeindlichen Gedankengutes findet sich unter den
unterschiedlichsten politischen Bedingungen. Braucht die Demokratie
einfach nur gelassene Resistenz?
Edathy: Man muss wissen, dass es immer einen gewissen Prozentsatz der
Bevölkerung geben wird, der eine antidemokratische Gesinnung
aufweist. Man muss allerdings darauf achten, dass diese Gruppe
möglichst klein gehalten wird. Mein besonderes Anliegen ist hierbei,
dass nicht Kinder und Jugendliche in eine Szene abrutschen, in der
Menschenwürde keinen Wert hat. Als Demokraten haben wir gegenüber
Heranwachsenden die Verantwortung, sie vor solchen Einflüssen zu
schützen oder sie so fit zu machen, dass sie mit solchen Einflüssen
umgehen können.

Umstritten ist in der Koalition nicht nur das Vorgehen gegen die
NPD, sondern auch der Datenschutz. Die Union will den Gesetzesentwurf
entschärfen. Zeigen die Spitzelaffären bei Lufthansa, Telekom und
Bahn, dass es gerade Konzernen an Sensibilität fehlt?
Edathy: Das geltende Datenschutzgesetz stammt aus den 70er-Jahren.
Das war die Zeit der Lochkarten und nicht die Zeit von
Hochleistungsrechnern. Insofern besteht in der Tat Anpassungsbedarf.
Die Bundesregierung hat dem Parlament einen Gesetzentwurf zugeleitet,
über den wir derzeit im Innenausschuss debattieren. Strittig ist
derzeit, inwieweit Unternehmen mit Daten von Bürgern handeln dürfen,
die diese freiwillig etwa im Rahmen von Kaufverträgen abgeben. Der
Gesetzentwurf ist in der Hinsicht sehr restriktiv, was ich für
richtig halte. Es wäre unglaubwürdig nach all den Diskussionen, die
wir aufgrund der vielen Datenskandale geführt haben, wenn am Ende
Wirtschaftsinteressen stärker wiegen als Bürgerinteressen. Man muss
sicherlich eine Balance finden, maßgeblich sollte aber das Recht des
Verbrauchers auf Souveränität über die Verwendung seiner persönlichen
Daten sein.

Ist das Datenschutzgesetz ein zahnloser Tiger?
Edathy: Das ist sicherlich nicht der Fall, aber das Gesetz bedarf der
Überarbeitung. So sollten betriebliche Datenschutzbeauftragte
gestärkt und ein allgemeines Arbeitnehmerdatenschutzgesetz entworfen
werden. Entsprechend sollten Arbeitgeber verpflichtet werden, bei der
Korruptionsbekämpfung verhältnismäßig und das heißt vor allem
beschränkt auf konkrete Verdachtsfälle vorzugehen, wenn etwa Konto-
oder Telefondaten abgeglichen werden. Diese Verhältnismäßigkeit ist
von Konzernen wie Lidl und der Bahn AG mit Füßen getreten worden, da
ist jedes Maß verloren gegangen. Hier haben wir es auf der einen
Seite mit klaren Rechtsverstößen zu tun, auf der anderen Seite mit
Regelungslücken. Rechtsverstöße müssen stärker geahndet werden, zum
Beispiel durch eine Heraufsetzung des Bußgeldrahmens. Und die
Regelungslücken müssen geschlossen werden, damit Arbeitnehmer nicht
durch ihre Arbeitgeber ausgespäht werden.

Stehen die Datenschützer auf verlorenem Posten angesichts einer
Generation, die Mengen intimster Daten freiwillig ins Internet
stellt?
Edathy: Es gibt natürlich auch eine Mitverantwortung jedes
Einzelnen, was er freiwillig von sich preisgibt. Da würde ich mir
gerade von Jugendlichen mehr Zurückhaltung wünschen. Dennoch muss
gelten, dass derjenige nicht bestraft wird, der selbst durchaus auf
die sparsame Verwendung seiner Daten Wert legt. Wer gewillt ist, für
jedes Preisausschreiben sein Kaufverhalten offenzulegen, wird auch
durch noch so intensive Aufklärung nicht davon abzubringen sein. Aber
derjenige, der dies nicht wünscht, darf deswegen nicht in einen
Nachteil geraten.

Selbstinszenierung prägt nicht nur Auftritte im Internet, sondern
ist auch eine Haupttriebfeder von Amokläufern. Muss eher die
Berichterstattung als der Verkauf von Ego-Shootern geregelt werden?
Edathy: Tatsächlich haben die Medien eine besondere Verantwortung,
bei der Berichterstattung umsichtig vorzugehen. Ich war erschrocken
über einen SPIEGEL-Titel mit dem Porträt des Amokläufers von
Winnenden oder den Internet-Auftritt der BILD, wo man einen
virtuellen Rundgang auf den Spuren des Täters durch Schule und
Fußgängerzone machen konnte. Derartig voyeuristische
Berichterstattung brauchen wir nicht. Ebenso wenig eine, die
potenziellen Nachahmern den Eindruck vermittelt, sie könnten posthum
zu einer Art Medienstar werden.

Nach dem jüngsten Amoklauf haben Sie eine Verschärfung des
Waffenrechtes abgelehnt. Was ist an Waffenbesitz so schützenswert?
Edathy: Ich glaube fest an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Winnenden ist nicht möglich geworden durch eine Gesetzeslücke,
sondern durch einen Gesetzesverstoß. Nämlich den des Vaters, der
seine Waffe nicht unzugänglich aufbewahrt hatte. Nur bei drei Prozent
der Straftaten, die mit Waffen begangen werden, werden legale Waffen
benutzt. Ein Problem haben wir bei den geschätzt 20 Millionen
illegalen Waffen in Deutschland, nicht bei den Schützen und Jägern,
die derzeit einem Generalverdacht ausgesetzt werden, der
ungerechtfertigt ist. Man kann über verstärkte Kontrollen der Länder
nachdenken und über aussagekräftigere Nachweise vorhandener
Stahlschränke für die Waffen. Aber viele andere derzeit diskutierte
Vorschläge sind wenig durchdacht.

Das Interview führte Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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