(Registrieren)

taz-kommentar von Jürgen Gottschlich über das Ende der säkularen türkischen Republik: Der Putsch nach dem Putsch

Geschrieben am 17-07-2016

Berlin (ots) - Auf den Plätzen und Boulevards von Istanbul, Ankara
und anderen türkischen Städten wird seit Samstagmorgen der Sieg der
Demokratie gefeiert. Das heißt: Einige feiern, während andere
angsterfüllt zu Hause sitzen. Und gefeiert wird auch nicht mit einem
"Hoch auf die Demokratie", sondern mit lauten "Allahu akbar"-Rufen.
Aufgerufen zur Verteidigung der Demokratie hatten denn auch nicht die
von einem vermeintlichen Militärputsch bedrohten Parteien, sondern
die 85.000 Moscheen des Landes, die diese Aufrufe auch am
Sonntagnachmittag noch fortsetzten.

Dennoch: Am Samstagnachmittag stimmten auch die
Oppositionsparteien in einer Sondersitzung des Parlaments feierlich
einer gemeinsamen Erklärung zur Rettung der Demokratie zu - wohl
wissend, dass es in dieser spezifischen Form der neuen türkischen
Demokratie im besten Fall um ein Diktat der Mehrheit und im Regelfall
um das Diktat eines einzelnen Mannes gehen wird. Schon jetzt wird
Erdoğan in seiner Partei nur noch mit "Führer" angeredet, als
Held des abgewehrten Putschs kommt nun auch noch ein Heiligenschein
dazu.

Entsprechend war die Spitze der kurdisch-linken HDP erst gar nicht
anwesend. Und der säkulare Oppositionsführer Kemal
Kılıçdaroğlu, der gerade erst zu einer hohen
Geldstrafe verurteilt wurde, weil er Erdoğan einen
Möchtegern-Diktator genannt hatte, schaute während der gesamten
Sitzung, als sei ihm schon klar, dass er das "Möchtegern" demnächst
weglassen kann.

Die islamische Demokratie, die da auf den Straßen der Türkei Form
annimmt, nutzt nun den gescheiterten Aufstand, um mit all denen
abzurechnen, von denen sie glaubt, dass sie ihr vielleicht noch
gefährlich werden könnte. Wahrscheinlich wird man im Rückblick
feststellen, dass dieser 15. Juli, den Erdoğan jetzt zum "Tag
der Demokratie" ernennen möchte, das endgültige Ende der säkularen
türkischen Republik eingeläutet hat - und zur Geburtsstunde der neuen
islamischen Republik Erdoğans wurde.

Noch weiß niemand, wie diese genau aussehen wird. Eine neue
Verfassung mit einem allmächtigen Präsidenten wird kommen - und auch
die übrigen Institutionen werden für die neue Republik jetzt neu
aufgestellt. Es ist eine Art Revolution, die in der Türkei ihren Lauf
nimmt. Wie immer bei Revolutionen ist nicht klar, was am Ende dabei
herauskommt.



Pressekontakt:
taz - die tageszeitung
taz Redaktion
Telefon: 030 259 02-255, -251, -250


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

595168

weitere Artikel:
  • Mitteldeutsche Zeitung: zur Türkei Halle (ots) - Der Putsch ermöglicht es Erdogan, jetzt unliebsame Kritiker loszuwerden, um seinem Ziel einer Präsidialdiktatur näherzukommen. Das verstößt gegen die türkische Verfassung und natürlich auch gegen die EU-Beitrittskriterien. Es ist ein Schlag gegen die unabhängige Justiz. Man muss es so deutlich beim Namen nennen: Was Erdogan hier inszeniert, ist ebenfalls ein Umsturz - ein ziviler Putsch des Präsidenten. Der Boss vom Bosporus denkt gar nicht daran, Schritte zur gesellschaftlichen Versöhnung zu unternehmen. Die jungen mehr...

  • WAZ: Nicht die Zeit der einfachen Lösungen - Kommentar von Andreas Tyrock Essen (ots) - Die vergangenen Tage haben die Menschen aufgewühlt wie selten zuvor. Der unfassbare, menschenverachtende Anschlag von Nizza und der gescheiterte Putschversuch in der Türkei mit 265 Toten und mehr als tausend Verletzten sorgen europaweit für Angst, Verunsicherung und Verzweiflung. Die Ereignisse sind Teil der politischen Großlage: der Krise in Europa, die im Brexit-Votum gipfelte; dem Misstrauen gegenüber den politischen Institutionen und "denen da oben", dem Erstarken nationalistischer Gruppen und Parteien; dem mehr...

  • Saarbrücker Zeitung: Altmaier sieht Flüchtlingsabkommen nach Putschversuch nicht in Gefahr Saarbrücken (ots) - Der Putschversuch in der Türkei wird nach Ansicht von Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) das Flüchtlingsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei nicht gefährden. Altmaier sagte der "Saarbrücker Zeitung" (Montagausgabe): "Es gibt bislang keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Abkommen in Gefahr sein könnte." Beide Seiten müssten ihre Verpflichtungen weiterhin erfüllen, ergänzte der Minister. "Das werden sie auch tun." Zugleich betonte Altmaier, die Bundesregierung habe schon vor dem Putschversuch mehr...

  • NOZ: SPD-Generalsekretärin hält Familiengeld für den "richtigen Ansatz" Osnabrück (ots) - SPD-Generalsekretärin hält Familiengeld für den "richtigen Ansatz" Barley: Politik muss berufstätigen jungen Eltern stärker helfen - "Unterstützung für Familienministerin" Osnabrück. - SPD-Generalsekretärin Katarina Barley hat es als "genau den richtigen Ansatz" bezeichnet, dass junge Eltern künftig weniger Stunden arbeiten können und als Ausgleich ein staatliches "Familiengeld" bekommen. In einem Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Dienstag) sicherte Barley diesem Plan von Bundesfamilienministerin mehr...

  • NOZ: Niedersachsen schafft neue Grünlandprämie wieder ab Osnabrück (ots) - Niedersachsen schafft neue Grünlandprämie wieder ab Das 100-Millionen-Euro-Förderprogramm soll 2018 vorzeitig enden Osnabrück. Die Ausgleichszulage für Dauergrünlandbewirtschafter (AGZ) steht in Niedersachsen vor dem Aus. Das berichtet die "Neue Osnabrücker Zeitung" (Dienstag) unter Berufung auf Sprecher des niedersächsischen Agrarministeriums und der EU-Kommission. Demnach soll das 100 Millionen Euro schwere Förderprogramm bereits 2018 vorzeitig enden. AGZ erhalten Landwirte, die in so genannten benachteiligten mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht