Neue Westfälische (Bielefeld): Aufstand in der Türkei
Ein übler Verdacht
Carsten Heil
Geschrieben am 17-07-2016 |   
 
 Bielefeld (ots) - Der Aufstand von Teilen des Militärs in der  
Türkei war wohl eher ein Pütschlein als ein ernstzunehmender Putsch.  
Wie Amateure sind die Aufständischen vorgegangen. Sie haben sogar so  
dilettantisch gehandelt, dass ein übler Verdacht aufkommt: Die  
Ereignisse von Freitagnacht waren so untypisch für einen ernsten und  
gut geplanten Umsturz und so voller Ungereimtheiten, dass sie auch  
von der Erdogan-Regierung inszeniert sein könnten. Zumal solch ein  
Versuch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in die Hände spielt bei  
dem Ziel, seine Kritiker mundtot zu machen. Jetzt hat der zwar  
demokratisch gewählte, aber seit Jahren nicht mehr demokratisch  
handelnde Präsident freie Bahn, alle Kritiker auszuschalten. Es ist  
zu fürchten, dass er zumindest die Gelegenheit dazu nutzt, wenn er  
sie nicht sogar selbst herbeigeführt hat. Die türkische Armee hat in  
den vergangenen Jahrzehnten seit 1960 drei Mal ernstlich und  
erfolgreich geputscht. Dazu kommt 1997, als schon ein Machtwort des  
Generalstabs für den Rücktritt des damaligen Präsidenten Necmettin  
Erbakan reichte. Nein, diese zweitgrößte Armee der Nato hätte das  
Potenzial für einen erfolgreichen Putsch. Dazu kommen Fragen: Warum  
wusste die Regierung so schnell - noch in der Nacht - wer hinter dem  
Aufstand steckt? Hätte der Geheimdienst die Ereignisse bei so vielen  
angeblich vorliegenden Informationen nicht verhindern können? Bereits 
nachts um zwei Uhr, als der Putsch noch lief, verlas der  
Generalstaatsanwalt schon die Namen der angeblich Verantwortlichen.  
Warum konnte Staatspräsident Erdogan von seinem Urlaubsort am  
Mittelmeer nach Istanbul fliegen, obwohl die Putschisten den Luftraum 
abgeriegelt hatten? Der eigentliche Anhaltspunkt für den üblen  
Verdacht ist jedoch das Verhalten von Staat und Regierung in der  
Türkei nach den aufrührerischen Ereignissen. Schon Stunden später  
wurden rund 3.000 Richter und Staatsanwälte ohne Verfahren, ohne  
Anhörung ihrer Ämter enthoben. Da kommt der Verdacht auf, dass  
unliebsame Köpfe aussortiert werden. Knapp 3.000 Armeeangehörige  
wurden verhaftet. Staatspräsident Erdogan selbst spricht von  
"Säuberungen". Ein Wort, das historisch dermaßen belastet ist, dass  
für die Türkei Übelstes zu befürchten ist. Sein Regierungschef Binali 
Yildirim regt gar an, die Todesstrafe wieder einzuführen. Es ist das  
gute Recht eines demokratischen Rechtsstaates, sich gegen jede Art  
von Umsturz zu wehren. Doch Erdogan ist dabei, die Türkei zu einer  
Präsidialdiktatur umzubauen: Nur weil sie einen Aufruf für die  
Demokratie und freie Meinungsäußerung unterschrieben hatten, wurden  
Professoren und Intellektuelle aus ihren Ämtern gejagt. Journalisten  
dürfen nicht schreiben, was sie recherchiert haben. Viele  
internationale Reporter haben deshalb das Land schon verlassen, so  
auch der Korrespondent dieser Zeitung, weil die Arbeitsbedingungen  
nicht mehr zumutbar waren. Schon vor Monaten wurden Juristen  
entlassen, weil sie eine Korruptionsaffäre aufklären wollten, in die  
mutmaßlich Familienangehörige des Präsidenten verwickelt waren. Die  
Türkei scheint weit davon entfernt zu sein, ein demokratischer  
Rechtsstaat zu sein, unabhängig davon, ob der Putsch inszeniert war.  
Die kommenden Wochen werden für die Türkei - und Europa - viel  
wichtiger als die Stunden des Umsturzversuches. Wie das Land und  
seine Institutionen mit der Situation umgehen, wird wie unter einem  
Vergrößerungsglas zeigen, wo es steht. Und das vor dem Hintergrund  
großer Bedrohung von außen beispielsweise durch den Terror des IS. 
 
 
 
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