Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Jochen Wittmann zu Großbritannien/Theresa Mays Amtsantritt
Geschrieben am 13-07-2016 |   
 
 Regensburg (ots) - Ob sie sich als eine neue Margaret Thatcher,  
als eine "Eiserne Lady" sähe, wurde Theresa May gefragt, als sie sich 
Anfang Juli als Kandidatin für den Posten des Parteivorsitzes  
vorstellte. "Ich bin meine eigene Frau", protestierte die 59-Jährige. 
"Ich bin Theresa May und ich denke, dass ich die beste Person bin, um 
Premierministerin dieses Landes zu werden." Sie will sich nicht in  
Schubladen einordnen lassen. Auch den Vergleich mit Angela Merkel mag 
die kinderlose Pfarrerstochter nicht gerne hören. Aber es gibt schon  
eine ganze Reihe von Charakteristiken, die May mit Thatcher oder auch 
Merkel verbinden würde: Kompetenz, Verhandlungsgeschick,  
Nüchternheit, Nervenstärke, Detailwissen und nicht zuletzt: ein  
stählerner Machtwille gepaart mit einem unbedingten Glauben an sich  
selbst. Sie wird ihn brauchen, denn es liegt eine Menge Arbeit vor  
ihr. : Die erste Aufgabe wird sein, ihr neues Kabinett  
zusammenzustellen. Es wird erwartet, dass der Außenminister Philip  
Hammond und der Schatzkanzler George Osborne in einer Rochade ihre  
Posten tauschen werden. Boris Johnson, der große Verlierer des  
Brexit-Machtkampfs, darf sich wenig Hoffnung auf einen Posten machen, 
und auch Michael Gove dürfte seinen Job als Justizminister verlieren. 
Eine der wichtigsten Ernennungen betrifft ein neu geschaffenes  
Ressort: das Ministerium für die Brexit-Verhandlungen, das May  
versprochen hat, mit einem Brexit-Befürworter zu besetzen. Für den  
Posten würde sich der ehemalige Justizminister Chris Grayling  
anbieten. Der neue Brexit-Minister wird sich einem Problem  
gegenübersehen, das der Quadratur des Kreises gleichkommt: Mays  
Vorgabe, einen möglichst günstigen Zugang zum EU-Binnenmarkt zu  
erzielen, mit ihrer anderen Vorgabe zu versöhnen: nämlich wieder  
Kontrolle über die Einwanderung zu erreichen. Die EU-Gesprächspartner 
werden über eine Einschränkung der Personenfreizügigkeit kaum mit  
sich verhandeln lassen wollen. Immerhin ein günstiges Zeichen gibt es 
bereits nach dem Chaos der letzten Wochen: Die Märkte reagieren  
positiv auf die neue Premierministerin. Das Pfund hat seinen Absturz  
gestoppt, die Aktien des FTSE 250 Index erholten sich. Denn Theresa  
May, so erhofft man allerseits, bedeutet erst einmal Stabilität.  
Alles neu macht die May? Das wird von ihr nicht erwartet. Da mag man  
richtig liegen, besonders im Vergleich zu den letzten drei Wochen,  
als ein politisches Erdbeben nach dem anderen das Königreich  
erschütterte. May steht einerseits sicherlich für Kontinuität, war  
sie doch im Referendumswahlkampf eine Vertreterin des "Remain"-Lagers 
und hat versprochen, Camerons Kurs der Sozialreformen weiterzuführen. 
Doch die neue Premierministerin hat auch signalisiert, dass  
gravierende Veränderungen bevorstehen. Sie strebe ein Großbritannien  
an, "das für jeden funktioniert und nicht nur für die wenigen  
Privilegierten", sagte sie in einer Grundsatzrede. Sie will das  
Gehalt der Bosse beschneiden, Aktionären ein bindendes Votum über  
Managergehälter geben und mehr Arbeitnehmerrechte einführen: Sitze  
für Arbeitervertreter in Unternehmensvorständen nach deutschem  
Vorbild. May signalisierte "tiefe ökonomische Reformen", man muss  
abwarten, wie das im einzelnen aussehen soll. Für eine Politikerin,  
die seit Amtsantritt der Konservativen vor sechs Jahren  
ununterbrochen im Kabinett sitzt, weiß man wenig über Theresa May.  
Sie sei, gab sie zu, keine gute Small-Talkerin und sitze lieber über  
Akten, als in Pub-Besuchen politische Kontakte zu pflegen und  
Seilschaften zu organisieren. Den Spitznamen "Eiskönigin" trägt sie,  
weil sie sich im dienstlichen Umgang betont unnahbar gibt. Im  
Privatleben jedoch, berichten ihre Vertrauten, sei sie aufgeschlossen 
und warmherzig. May hat seit 2013 mit einer Erkrankung an Diabetes zu 
kämpfen, und das mag erklären, dass sie sich in erster Linie auf die  
Dinge konzentrieren will, die es zu erledigen gilt.Die Frau, die  
schon im Alter von zwölf Jahren der Konservativen Partei beitrat, ist 
auch politisch nicht so einfach zuzuordnen. Sie vertritt stramm  
rechte Positionen bei klassischen konservativen Politikfeldern wie  
Verteidigung, Einwanderung oder Recht und Ordnung. Sie hat sich aber  
auch als sozial liberal geoutet, als sie vehement für die Einführung  
der gleichgeschlechtlichen Ehe stritt. Und sie war diejenige, die bei 
den Konservativen das Projekt begann, die Partei zu modernisieren und 
in die Mitte der Gesellschaft zu holen. "Wisst ihr", sprach sie 2002  
als Generalsekretärin zu den Delegierten des Konservativen  
Parteitags, "wie die Leute uns nennen? Die fiese Partei." Das hat  
sich mittlerweile geändert. Aus den einstmals homophoben,  
sozialdarwinistischen und mit strammst rechten Positionen  
liebäugelnden Konservativen ist eine Volkspartei geworden, die einen  
"mitfühlenden Konservatismus" propagiert. May hatte diese Entwicklung 
angeschoben, David Cameron, der 2006 Parteivorsitzender wurde, hat  
sie weiter vorangetrieben, und man darf sich sicher sein, dass die  
neue Premierministerin das Projekt einer sozial liberalen Ausrichtung 
weiter verfolgen wird. Indem sie die Konservative Partei weiter in  
die Mitte und teilweise sogar auf sozialdemokratisches Terrain rückt, 
verfolgt sie auch eine klare Machtstrategie: Sie will damit der  
Labour-Partei das Wasser abgraben.Was ihr jetzt, wo sich die  
Labour-Partei gerade selbst zerfleischt, leichter denn je fallen  
sollte. Theresa May hat in den letzten Tagen viel darüber gesprochen, 
die Partei vereinen zu wollen und auch das Land, das zu fast gleichen 
Teilen in Brexit-Befürworter und EU-Freunde zerfallen ist, wieder mit 
sich auszusöhnen. Bei der Konservativen Partei wird ihr dies am  
ehesten gelingen, denn die Tory-Abgeordneten respektieren klare  
Machtverhältnisse und werden der neuen Chefin gehorchen. Eine harsche 
Facette ihres Charakters offenbarte May, als sie auf die Situation  
der rund drei Millionen in Großbritannien lebenden EU-Bürger  
angesprochen wurde. Ob die nach dem Brexit bleiben dürften, wurde sie 
gefragt. May zuckte mit den Schultern und sagte, dass sie nichts  
versprechen könne. Deren Schicksal, so gab May zu verstehen, sei  
Verhandlungsmasse, immerhin müsse ja auch geklärt werden, ob die rund 
zwei Millionen Briten, die in EU-Ländern leben, ihr Bleiberecht  
behalten dürfen. Das hat zu scharfen Vorwürfen geführt. Das Land war  
angesichts dieser Hartherzigkeit erst einmal entsetzt. Die "Times"  
donnerte in einem Leitartikel: "Menschen als Druckmittel zu benutzen  
ist gewissenlos." Die Aussöhnung im eigenen Land dürfte für Theresa  
May deutlich schwieriger werden als die ihrer Partei. 
 
 
 
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