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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Flüchtlingspolitik

Geschrieben am 20-07-2015

Bielefeld (ots) - Es geht um 60 000 Flüchtlinge - nur
60 000. Denn es werden in diesem Jahr mindestens eine Million
Menschen nach Europa fliehen. Die Gemeinschaft reagiert nicht mehr,
sie versagt. Schockiert und betroffen klingen die Moralpredigten,
wenn wieder einmal Menschen im Mittelmeer ertrinken. Aber Retten und
Zurückschicken gilt als grausam gegenüber den Flüchtlingen, Aufnehmen
als gesellschaftlich nicht verkraftbar gegenüber den eigenen Bürgern.
Die Innenminister der EU, die sich gestern in Brüssel trafen,
beschworen zwar die Solidarität. Doch die Gemeinschaft, die sich nur
allzu gerne auf ihre Werte beruft, reagiert nicht wirklich wert-voll.
Deutschland und ein paar andere Staaten gehen zwar mit gutem Beispiel
und freiwilligen Quoten für die Aufnahme von Flüchtlingen und
Kriegsopfern voran. Doch davon ließen sich zunächst nur wenige
anstecken. Eine Lösung ist das, was da jetzt an Verteilung geplant
ist, nicht. Denn dafür müsste man das komplette Asylrecht
aufschnüren und neu verhandeln. Die Dimensionen des Problems haben
die ohnehin umstrittene Dublin-II-Verordnung längst gesprengt. 72
Prozent aller Asylanträge werden in nur fünf Staaten gestellt.
Österreich, das sich darauf beruft, pro Kopf zehn Mal mehr
Flüchtlinge als Italien und Griechenland aufzunehmen, wird demnächst
den Asyl-Notstand ausrufen. Schon seit Wochen bearbeitet man keine
Anträge mehr. Ungarn siedelt die Zuwanderer in entvölkerten
Randgebieten des Landes an, damit sich Bewohner nicht gestört fühlen.
Italien fühlt sich dermaßen überrollt, dass man die Menschen ohne
offizielle Aufnahme weiterschickt. Und selbst Deutschland gerät
langsam an das Ende seiner Möglichkeiten: Den Gemeinden geht das Geld
aus, Integration und Sprachförderung bleiben auf der Strecke. Vom
wachsenden Extremismus gegen Flüchtlinge ganz zu schweigen. Das
europäische Asylrecht kann nicht mehr greifen, weil die Regeln
vielleicht für 60 000 Asylbewerber passen mögen. Nicht aber für
eine Million. Dass die EU inzwischen mehrgleisig fährt, indem sie auf
der einen Seite die Rettung im Mittelmeer forciert, die
Aufnahmebehörden verstärkt und nun auch noch die Verteilung für ein
begrenztes Kontingent erweitert hat, blieb bisher folgenlos. Europa
bleibt deshalb kaum etwas anderes übrig als zu tun, was niemand will:
retten, aufnehmen und verhindern. Jeder dieser Schritte ist bei
irgendjemandem unbeliebt und wird bekämpft. Aber es gibt keinen
anderen Weg. Die Bundeskanzlerin hat vor einigen Wochen die Lösung
der Flüchtlingsfrage als die vielleicht größte Herausforderung
Europas in ihrer Amtszeit bezeichnet. Sie hat Recht. Doch dazu gehört
viel Mut, weil es nur Antworten gibt, die unpopulär sind. Europas
Ruf als Paradies darf leiden, wenn es dazu beiträgt, Menschen vom
Verlassen ihrer Heimat abzuhalten.



Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261


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