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Südwest Presse: Kommentar zum Thema Vertreibung

Geschrieben am 17-11-2009

Ulm (ots) - Was hatte Erika Steinbach im Frühjahr nicht für
Anerkennung auf sich gezogen. Als sie im Februar erklärte, den Sitz
im Beirat der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" vakant zu
lassen, glaubten viele, die in Polen umstrittene Präsidentin des
Bundes der Vertriebenen habe ihre persönliche Ambitionen zu Gunsten
der Sache, der Arbeit des Stiftungsprojektes, hintangestellt. Weit
gefehlt. Die CDU-Politikerin zog nur deshalb zurück, weil der
Widerstand der SPD zu entschieden war. Das hat die jetzt wieder
aufgeflammte Debatte über ihre Nominierung für den Stiftungsbeirat
verdeutlicht, und das zeigt auch das gestrige Taktieren.
Doch die Rechnung, dass ihr die neue schwarz-gelbe Regierung den Weg
ebnet, könnte nicht aufgehen. Ausgerechnet der noch unerfahrene
Chefdiplomat Guido Westerwelle legt ihr Steine in den Weg. In seiner
noch kurzen Amtszeit hat der FDP-Politiker die Beziehung zum
Nachbarland Polen als Herzensangelegenheit entdeckt. Was nach dem
Zweiten Weltkrieg in Bezug auf Frankreich geglückt ist, nämlich die
Aussöhnung zweier Erzfeinde, müsse auch mit dem Nachbarn im Osten
möglich sein.
Viele Schritte der Annäherung wurden seit der Unabhängigkeit Polens
unternommen. Die Bundesregierung hat sich für die Aufnahme des
Reformstaates in die EU stark gemacht, es gab Begegnungen und kluge
Worte, symbolische Zeichen wie die Einladung an die Kanzlerin, 70
Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges auf der polnischen
Westerplatte zu sprechen.
Selbstverständlich sind solche Gesten nicht. Denn das Misstrauen in
Polen sitzt tief. Dass das nationalsozialistische Deutschland Polen
von der Weltkarte tilgen wollte, ist im kollektiven Gedächtnis
lebendig. Auch das Leiden während der Besatzungszeit ist in dem
geschichtsbewussten Land nicht vergessen. Vor allem in der älteren
Generation lassen sich Ängste rasch aktivieren. Und vor Erika
Steinbach haben nach einer Umfrage vom Frühjahr 38 Prozent der Polen
Angst.
Die 66-Jährige steht im Nachbarland für all das, was mit dem
hässlichen Deutschen verbunden wird. Sie gilt als revanchistisch,
weil sie sich 1991 im Bundestag gegen die Anerkennung der
Oder-Neiße-Linie ausgesprochen hat. Sie ist Reizfigur, weil sie sich
für eine zumindest symbolische Entschädigung der aus Polen
Vertriebenen einsetzt. Sie wird angefeindet wegen ihres Werbens für
Empathie mit deutschen Vertriebenen, das Polen als Relativierung
ihres Leidens verstehen.
Polen arbeitet sich ab an Erika Steinbach. Dabei gibt es auch eine
Steinbach, die Hardlinern der Preußischen Treuhand die Stirn bot, als
diese vor Gericht Entschädigungen von Polen erstreiten wollten.
Das jedoch ändert nichts: Erika Steinbach ist Polen nicht
vermittelbar. Ein Projekt, das in der Erinnerung an Vertreibung
Versöhnung will, hat mit ihr an verantwortlicher Stelle keine Chance.
Als Brückenbauerin geht die schneidige Vertriebenenchefin nicht
durch.
Das Kabinett täte gut daran, Guido Westerwelle in diesem Punkt zu
unterstützen. Erinnern und Versöhnen liegen in hohem Maße im
Interesse Deutschlands, die Ambitionen Erika Steinbachs nicht. Auch
ohne ihre Berufung werden die Anliegen der Vertriebenen gehört. Der
Bund der Vertriebenen hat drei Sitze im 13-köpfigen Beratergremium
und sicher mehr als genügend qualifizierte Anwärter. Erika Steinbach
könnte dem Stiftungsprojekt dienen, ließe sie anderen den Vortritt.
Dass nicht die Liebe zum Stiftungsprojekt sie dazu treiben könnte,
sondern allenfalls die Einsicht in Machtverhältnisse, hat der harte
Streit der vergangenen Tage gezeigt. Erika Steinbach hat dabei nichts
gewonnen: Sie hat Misstrauen genährt in Polen und in der deutschen
Bevölkerung.

Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_59110.rss2

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218


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