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Rheinische Post: Die Krise als Wahlhelfer? von Sven Gösmann

Geschrieben am 09-01-2009

Düsseldorf (ots) - Willkommen im Super-Wahljahr! Die große
Koalition (teil-)verstaatlicht die Commerzbank, SPD-Chef Müntefering
gibt grünes Licht für eine Opel-Bürgschaft, SPD-Finanzminister Peer
Steinbrück will den Eingangssteuersatz senken, CDU-Ministerpräsident
Rüttgers hält 100 Milliarden für seinen Deutschlandfonds bereit; der
Bankenrettungsschirm (500 Milliarden) ist auch noch da, das
Konjunkturpaket II wird gerade geschnürt, das nächste schon ersonnen.
Nach anfänglicher Schockstarre ob der größten Krise aller Zeiten
verteilt die Politik Geld, um die Wähler bei Laune zu halten, dass
denen nach Jahren der Maßhalten-Appelle schwindlig wird. Die
Gewerkschaften kommen bei solch staatlichen
"Die-Kasse-ist-voll-Signalen" gar nicht mehr runter von ihren
Acht-Prozent-Lohnforderungen. Munter treibt das Schiff Deutschland
dem Eisberg der Ernüchterung entgegen, die Kapelle der
Konjunkturprognostiker spielt dazu. Der aktuelle Gassenhauer heißt
"Noch mehr Banken verstaatlichen".
Natürlich: Gut und sinnvoll, dass sich endlich etwas tut. Aber die
Vielfalt der Stimmen sorgt dafür, dass an sich sinnvolle
Einzelmaßnahmen in der Wahrnehmung untergehen, noch ehe sie zu wirken
beginnen können. Das staatliche Handeln in Bund und Land ist längst
mit dem bösen Wort Sammelsurium belegt. So löst es beim Bürger keine
Beruhigung, sondern vielmehr Besorgnis aus. Er fragt sich: Jeden Tag
zwei neue Vorschläge, täglich eine neue Maßnahme steht es wirklich
so schlimm? Prozyklisches Handeln kann aber nur Wirkung entfalten,
wenn es von Führungsstärke und demonstrativer Zuversicht begleitet
wird. Natürlich ist die Krise gefährlich, sie aber zu einer
unbeherrschbaren Naturkatastrophe hochzureden, nimmt jedem
Konjunkturpaket die Wirkung.
Unschön ist auch, dass in dieser Woche der Klausursitzungen das
dahinter stehende Wahlkalkül der Parteien allzu offensichtlich wurde.
Alle zählen auf die Krise als Wahlhelfer. Diese Rechnung könnte noch
am ehesten für die Parteien der großen Koalition aufgehen. Ihre
Überlegung: In unsicheren Zeiten setzen die Menschen auf das Bewährte
und nicht auf linke Abenteuer.
Die Kanzlerin strebt wieder ein Bündnis mit der SPD an es wäre für
sie der bequemste Weg der Machtsicherung. Die Liberalen beschweren
sich nicht erst seit den kraftlosen Koalitionsabsichts-Erklärungen
der CDU-Führung dieser Tage über den immer dünner werdenden
Gesprächsfaden ins Merkel-Lager. Dort träumt man lieber von der
Wiederwahl und der Eröffnung schwarz-grüner Optionen in einigen
Jahren. Schwarz-Grün haben die Kanzlerin und ihre Strategen als den
gesellschaftlichen Mainstream von morgen ausgemacht. Das mag sogar
stimmen, sorgt aber dafür, dass sich der tonangebende Teil der
CDU-Spitze zur Zeit ziemlich weit vor der eigenen Truppe bewegt.
Keine Beruhigung für das tatsächlich bürgerliche Lager im
bürgerlichen Lager kann es sein, dass es in Hessen nach der
Landtagswahl am 18. Januar wahrscheinlich zu einer CDU/FDP-Koalition
kommen wird. Hessen, die Skandalnudel unter den Bundesländern, bleibt
ein Sonderfall und nicht die Blaupause für die Koalitionsarithmetiker
dieses Wahljahres.
Die Sozialdemokraten versuchen das zu nutzen, indem sie die FDP
umgarnen. Sie schaffen Foren der Wiederannäherung. Jüngstes Beispiel:
die gemeinsame Erklärung zur Abrüstung der SPD-Altvorderen Schmidt
und Bahr mit ihrem alten FDP-Widersacher Hans-Dietrich Genscher oder
die Berliner Hinterzimmergespräche mit den Westerwelles und Niebels,
die als Stimmungsaufheller für die Zeit nach der Bundestagswahl
dienen sollen. Die SPD-Führung hat erkannt, dass ihre Partei am 27.
September kaum stärkste Kraft werden und auf Hilfe angewiesen sein
dürfte. Müntefering und Kanzlerkandidat Steinmeier setzen nun auf ein
rot-gelb-grünes Reformbündnis. Die FDP und ihr Chef Westerwelle
wiederum wollen auf jeden Fall zurück an die Macht notfalls mit der
SPD und den Grünen.
Der Verlierer dieser Entwicklung könnte neben der allzu
selbstsicheren Union ausgerechnet die Linkspartei werden, die lange
als Profiteur der Krise galt. Ihr Ruf nach staatlichen Interventionen
ist jetzt Allgemeingut bis hin zum Wirtschaftsflügel der Union; damit
ist sie ihres Alleinstellungsmerkmals aus neoliberaleren Zeiten
beraubt. Immerhin: Ein Gutes würde die Finanzkrise so politisch
bewirken. Alles andere Beschriebene macht weniger Hoffnung.

Originaltext: Rheinische Post
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/30621
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Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2303


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