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Rheinische Post: Merkels Woche der Wahrheit Kommentar VON SVEN GÖSMANN

Geschrieben am 23-11-2008

Düsseldorf (ots) - Die Friedhofsruhe in der CDU ist vorüber.
Vordergründig geht der Streit innerhalb der Partei und mit ihrer
bayerischen Schwester CSU nur um Steuersenkungen, doch hinter den
Auseinandersetzungen steckt mehr. Die Spitzen der CDU setzen sich vor
dem am Sonntag beginnenden Bundesparteitag in Stuttgart in Szene.
Denn dort werden Präsidium und Vorstand neu gewählt. Die Zahl der
Delegiertenstimmen dient als Gradmesser der eigenen Bedeutung,
gleichzeitig aber auch als Indiz für die Breite der Machtbasis von
CDU-Chefin Angela Merkel. Die Kanzlerin steht also vor einer Woche
der Wahrheit, findet doch im Bundestag auch noch die Debatte über den
Bundeshaushalt statt. Unter dem Einfluss der Finanzkrise hat sich die
große Koalition vom Regierungsziel eines ausgeglichen Haushalts 2011
verabschiedet. Stattdessen werden mehr Schulden gemacht, um die
trudelnde Wirtschaft anzukurbeln. Die dadurch entstandene Unruhe über
die Frage, ob die beschlossenen Konjukturpakete reichen oder ob es
nicht eines großen Wurfs mit einer steuerlichen Entlastung von
Betrieben und der breiten Bevölkerung bedarf, hat Merkel mit
verursacht. Es ist ihr Führungsstil, der es vor allem in der
CDU-Bundestagsfraktion brodeln lässt. Lange hatte Merkel in der
Finanzkrise versucht, daheim ihre Rolle als Moderatorin zu pflegen,
während sie international von Gipfel zu Gipfel eilte. Als ihre
Regierung dann handelte, kamen dabei auch Albernheiten heraus, wie
die Streichung der Kfz-Steuer für Neuwagen, die schon vor
Inkrafttreten allgemein für wirkungslos gehalten wird. Die Aufgabe
ihres zentralen Politikziels, der Haushaltskonsolidierung, entschied
Merkel dann ohne nötige Vorbereitung im eigenen Lager. Das
provozierte schließlich einen Aufstand der Haushälter in ihrer
Fraktion. Für derlei Gefahren existiert kein Frühwarnsystem in
Merkels Umfeld. Hat sie sich mit zu vielen allzu loyalen Anhängern
umgeben? Es wird allenfalls leise gemurrt, etwa wenn
Forschungsministerin Annette Schavan intern den weichgespülten
Leitantrag für den CDU-Parteitag für "intellektuell akrobatisch"
befindet. Auch Merkel selbst wirkt nicht sonderlich sensibel für das
Grummeln in ihrer Partei. Das mag daher rühren, dass sie ihre
Position aufgrund immer noch hoher Popularitätswerte für unanfechtbar
hält. Es scheint, als verlasse sie sich mehr auf den Rückhalt in der
Öffentlichkeit als auf die nur mühsam herzustellende Unterstützung
ihrer Partei. In Zeiten, in denen der Begriff der Markenführung in
die Politik Einzug hält also die Bedeutung eines unverwechselbaren
Profils auf dem Wähler-Markt setzt sie auf die Marke Merkel. Daneben
aber besteht die Marke CDU weiter, ohne dass immer klar wird, wofür
diese steht. Dies hat es in der Ära des CDU-Chefs Helmut Kohl so
nicht gegeben. Kohl war immer auch die CDU. Nicht allen gefiel das.
Es trug die Partei jedoch lange von Wahlsieg zu Wahlsieg. Wenn die
politische Markenführung nicht mit dem Spitzenpersonal übereinstimmt,
führt das mittelfristig zum Machtverlust. Das mussten mit Helmut
Schmidt und Gerhard Schröder zwei der drei sozialdemokratischen
Kanzler erleben, die sich neben ihrer Partei positionierten. Merkel
wiederum scheint vor diesem Hintergrund die Macht der Geschichte in
ihrer Partei zu unterschätzen. Ihre Berater verkörpern eine
großstädtische, liberale Lebensauffassung, während weite Teile der
Unions-Funktionärsebene wie -mitgliedschaft durchaus tradierten
Vorstellungen verhaftet sind. Merkel verkennt zudem, dass es weniger
eigene Stärke war, dafür umso mehr das Fehlen innerparteilicher
Opposition und einer überzeugenden personellen Alternative, welchen
sie ihre beiden großen Erfolge das Erringen der Nachfolge Kohls im
Zuge der Spendenaffäre und der Kanzlerschaft 2005 zu verdanken hat.
Vor dem Parteitag ordnet sich nun das Feld ihrer CDU-internen
Kritiker. Auffällig etwa ist die Besuchsdiplomatie zwischen den
beiden zerstrittenen Landesverbänden NRW und Niedersachsen. Und das
Stehaufmännchen Roland Koch dürfte nach Läuterung und
wahrscheinlichem Wahlsieg am 18. Januar in Hessen ohnehin wieder ein
stärkere Rolle beanspruchen. 2009 werde ein Jahr der schlechten
Nachrichten, hat die Kanzlerin an diesem Wochenende gewarnt. Sie
sagte das mit Blick auf die Finanzkrise. Es könnte aber auch ein Satz
in eigener Sache gewesen sein. Die Zeiten für Angela Merkel werden
unbequemer.

Originaltext: Rheinische Post
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/30621
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_30621.rss2

Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2303


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