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BERLINER MORGENPOST: Eine Wohlstandsdebatte / Leitartikel von Birgitta Stauber zur Impfpflicht gegen Masern

Geschrieben am 05-05-2019

Berlin (ots) - Kurzform: Wie reagieren Impfgegner eigentlich auf
Berichte aus Entwicklungsländern, in denen gegen Cholera,
Kinderlähmung, Masern, Kinder- und Müttersterblichkeit mithilfe der
Weltgemeinschaft gekämpft wird? Ob sie spenden, die natürlichen
Verhältnisse loben oder das Elend ignorieren - ihre Haltung, die aus
dem eigenen Wohlstand heraus resultiert, kann nur zynisch sein, denn
gerade Impfgegner gehören zu den gut gebildeten und verdienenden
Schichten. Die 2500 Euro Strafe, die Gesundheitsminister Spahn jetzt
androht, wird sie womöglich nicht von ihrer Verweigerungshaltung
abbringen.

Der vollständige Leitartikel: Wer kennt sie noch - die eiserne
Lunge? An dieses Gerät wurden Kinder angeschlossen, die nach einer
Polio-Infektion, der sogenannten Kinderlähmung, erkrankten und nicht
mehr allein atmen konnten. Wenn sie überlebten, blieben sie oft
körperbehindert. Und wer erinnert sich noch an Diphtherie, die
Krankheit, die Ärzte früher oft mit einem Luftröhrenschnitt behandeln
mussten? Es ist den flächendeckenden Impfungen zu verdanken, dass
diese grausamen Krankheiten in Deutschland kein Thema mehr sind. Die
Pocken - eine der gefährlichsten Infektionen überhaupt - gelten sogar
als ausgerottet. Insofern erschüttert es schon, wie leichtfertig
manche Eltern diesen medizinischen Fortschritt ignorieren und
verhindern, dass auch bei den Kinderkrankheiten eine Herdenimmunität
erreicht wird - denn die würde auch Säuglinge oder andere geschwächte
Personen schützen, die nicht geimpft werden dürfen. In sozialen
Medien schieben Impfgegner Argumente, die immerhin die Gesundheit der
gesamten Bevölkerung im Blick haben, schlicht beiseite und verbreiten
diffuse Ängste. Regelrecht hysterisch werden längst widerlegte
Theorien verbreitet, wonach Impfungen zu Autismus führten. Dazu passt
der Trend, mit sich und der Welt "ganz natürlich" im Einklang zu
sein. Einen Arzt bei der Geburt? Ein Krankenhaus gar? Braucht ein
Teil der Eltern nicht. Sie haben offenbar nicht mehr vor Augen, wie
hoch noch vor Jahrzehnten die Zahl der Mütter war, die im Kindbett
starben. Und wie viele lebensbedrohliche Krankheiten ein Kind
überstehen musste, um das Schulalter zu erreichen. Sie haben
vergessen, dass von acht Geschwistern oft nur die Hälfte überlebte,
weil es keine Antibiotika gab oder eben Impfungen. Wie reagieren
Impfgegner eigentlich auf Berichte aus Entwicklungsländern, in denen
gegen Cholera, Kinderlähmung, Masern, Kinder- und Müttersterblichkeit
mithilfe der Weltgemeinschaft gekämpft wird? Ob sie spenden, die
natürlichen Verhältnisse loben oder das Elend ignorieren - ihre
Haltung, die aus dem eigenen Wohlstand heraus resultiert, kann nur
zynisch sein, denn gerade Impfgegner gehören zu den gut gebildeten
und verdienenden Schichten. Die 2500 Euro Strafe, die
Gesundheitsminister Spahn jetzt androht, wird sie womöglich nicht von
ihrer Verweigerungshaltung abbringen. Natürlich ist die Sorge der
Impfgegner auch verständlich: Immerhin werden den Kindern
Mehrfachimpfstoffe gespritzt. Sie weinen danach oft und/oder bekommen
Fieber. Es fällt schwer, dies den Kindern zuzumuten - zumal oft genug
gerade erst eine Mittelohrentzündung überstanden ist oder eine
Pseudo-Krupp-Attacke. Und doch ist die Verweigerung der Impfung eine
Art innerfamiliäres Kreisen um sich selbst - und das greift nicht nur
im medizinischen Bereich um sich. Der Hype ums Kind, das zwar nicht
geimpft, dafür aber von allen vermeintlich schädlichen Einflüssen
ferngehalten wird, treibt sonderbare Blüten. Zu Fuß in die Schule?
Viel zu gefährlich. Lieber fahren Eltern den Nachwuchs mit dem SUV -
auch wenn sie dabei Zufahrtswege verstopfen und andere Kinder
gefährden. Ein Monatsticket für Bus und Bahn? Lieber nicht -
wer weiß, wer da so alles mitfährt. Es gibt kein Gesundheits- oder
Bildungssystem, kein Verkehrskonzept und kein Stadtplanungsprogramm,
das es diesen "Helikopter-Eltern" recht machen kann. Vielleicht hilft
der Rat: Einfach mal tief durchatmen, wenn der Arm nach der
Masern-Impfung anschwillt, das Schulessen nicht schmeckt, der Bus
voll ist. Das mag lästig sein, gehört aber zum Alltag. Im Fall der
Masern-Impfung nützt es sogar der ganzen Gesellschaft.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell


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