Badische Zeitung: Alles schon erlebt? / Warum die Polen leicht lethargisch ins neue Jahr gehen
Ein Unterm Strich von Gabriele Lesser
Geschrieben am 01-01-2014 |
Freiburg (ots) - Mit einem "Jakos to bedzie", "Es wird schon
irgendwie werden", sprechen sich Polen von klein auf Mut zu. Auch
das Vertrauen zu Gott und den vielen Heiligen, die man jederzeit um
ein kleines Wunder bitten kann, ist groß. Wenn dann am Ende das
Unmögliche wieder einmal möglich wurde, blitzt vielen Polen der
Schalk aus den Augen. "Polak potrafi!", "Ein Pole schafft das!",
triumphieren sie. Doch in den vergangenen Wochen und Monaten hat
sich die Stimmung vieler Polen verdüstert. Ohne großen Enthusiasmus
starten sie ins Jahr 2014. Zwar stehen ein paar historisch wichtige
Jahrestage an, die man routiniert feiern wird. Dann die
Heiligsprechung von Papst Johannes Paul II, außerdem EU- und
Kommunalwahlen. Hübsch und nett, aber faszinierender waren die erste
Mondlandung, Dolly, das erste geklonte Schaf und auch 1989 die ersten
freien Wahlen nach knapp 50 Jahren Kommunismus. Das Krakauer
liberalkatholische Magazin Tygodnik Powszechny diagnostiziert daher
bei den Polen eine bislang unbekannte "No Future"-Lethargie. Viele
hätten das Gefühl, seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts bereits in
der Zukunft zu leben. Die polnische Kultur - Film, Musik, Literatur -
komme ohne Zukunftsvisionen aus. Politiker machten Reformen wieder
rückgängig. Viele Polen hätten ihre Konsumbedürfnisse nach
Smartphones, Computern und neuen Autos bereits erfüllt und erwarteten
von der Zukunft nichts anderes als die Wiederholung des ewig
Gleichen. Kein Wunder, dass Boguslaw Chrabota, Chefredakteur der
konservativen Zeitung Rzeczpospolita, Angst vor dem kommenden Jahr
hat: Ihm geht der Wandel zu langsam. Ohne Ideen für Innovationen
werde es in Polen nur ein minimales Wachstum geben. Die
Gleichgültigkeit vieler Polen könnte sich 2015, wenn Parlamentswahlen
anstehen, zu einer realen Gefahr für Polens Demokratie auswachsen.
Das Tygodnik Powszechny rät seinen Lesern nun, die Sinnfrage des
Lebens neu zu stellen: "Träumt wieder mehr! Und lebt dann Euren
Traum!"
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