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DER STANDARD-KOMMENTAR "Reform und Charakter" von Eric Frey

Geschrieben am 20-06-2013

Die Persönlichkeit von Rohani, Erdogan und Co ist wichtiger
als ihre Ideologie - Ausgabe vom 21.6.2013

Wien (ots) - Der Wahlsieg des relativ gemäßigten
Präsidentschaftskandidaten Hassan Rohani im Iran macht eine der
spannendsten Fragen der politisch-historischen Analyse aktuell: Warum
werden manche Vertreter eines repressiven Regimes zu Reformern, die
am Ende das ganze System umstürzen? Und warum erweisen sich andere
Hoffnungsträger als Enttäuschung oder werden gar zu reaktionären
Verhinderern? In solchen Situationen Prognosen abzugeben ist eine der
schwierigsten Aufgaben nicht nur für Experten und Journalisten,
sondern auch für andere Staatsführer, die wissen wollen, ob sie es
mit einem Wolf im Schafspelz oder einem wahren Reformer zu tun haben.
Denn ein Regimewechsel von innen, das zeigt die Geschichte, ist einem
gewaltsamen Umsturz stets vorzuziehen. Wenn er gelingt, kann er den
Lauf der Geschichte verändern. Der Fokus auf den ideologischen
Hintergrund und politischen Werdegang solcher Figuren oder das
Zitieren früherer Aussagen helfen dabei nur wenig. Michail
Gorbatschow war einst genauso ein lupenreiner Kommunist wie Boris
Jelzin, und dennoch brachen sie beide mit der alten Sowjetunion.
Willem de Klerk hegte keine Zweifel an Südafrikas Apartheid, bis er
sich in der Position der Macht wiederfand und dem großen Versöhner
Nelson Mandela gegenüberstand. Zwei Faktoren spielen beim Wandel
politischer Persönlichkeiten eine besonders Rolle: die
Anhängerschaft, auf die sie sich stützen, und ihre eigene
Persönlichkeit. Unter dem Druck der Massen wurden die braven
Reformkommunisten Imre Nagy und Alexander Dubcek einst zu
Widerstandskämpfern gegen das KP-Regime. Und auch Jelzins
Bereitschaft zum Bruch mit der Diktatur lässt sich mit den
Erfahrungen von August 1991 erklären, als er auf dem Panzer stehend
als Held der Straße gefeiert wurde. Solche Augenblicke prägen mehr
als jahrelange Ideologieseminare. Noch wichtiger ist der Charakter.
Der geschwätzige Idealist Gorbatschow und der Gefühlsmensch Jelzin
neigten vom Temperament her zum Pluralismus; als er dann entstand,
verteidigten sie ihn instinktiv. Es war diese innere Qualität, die
eine stramme Rechte wie Margaret Thatcher einst in Gorbatschow
erkannte. Wladimir Putin hingegen ist von Natur aus ein autoritärer
Charakter, der die totale Kontrolle über Menschen und Ereignisse
sucht. Nur in gut etablierten Demokratien sind solche Typen
gezwungen, Grenzen zu respektieren. Das Gleiche gilt wohl für den
türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan, dessen Hinwendung zur
Repression wenig mit seiner Religion und viel mit seinem Charakter zu
tun hat. Auch die Unterdrückung der Pekinger Studentenproteste 1989
war keine ideologisch ausgemachte Sache, sondern entsprang dem
Naturell von Deng Xiaoping, der Reformen wollte, aber nur nach den
eigenen Regeln zuließ. Bei allen Reformern stellt sich auch die
Frage, ob sie sich gegen die alten Kräfte durchsetzen können. Das
macht es so schwer, die Zukunft von Burma unter dem reformbereiten
Ex-General Thein Sein abzuschätzen. Und auch bei Rohani im Iran ist
sein Geschick im Umgang mit dem eigentlichen Machthaber Ali Khameini
mindestens so wichtig wie seine politische Präferenzen. Doch die
Tatsache, dass ihn eine starke Reformbewegung ins Amt gespült hat und
er wie ein Mann des Ausgleichs und der Versöhnung wirkt, gibt Grund
zu Hoffnung - jedenfalls mehr als für die Türkei unter Erdogan.

Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70 DW 445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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