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Landeszeitung Lüneburg: Streitkultur als Stärke / Politologe Prof. Greven sieht Grüne auf gutem Weg

Geschrieben am 23-06-2011

Lüneburg (ots) - Stresstest für die Grünen: Die Partei-Spitze will
Ja zum schwarz-gelben Ausstiegskonzept sagen, die weiteren Pläne zur
Energiewende aber als ungenügend ablehnen. Zwar überwiegt vor dem
morgigen Sonderparteitag in Berlin bei den Landesverbänden die
Zustimmung zum grünen Leitantrag, aber es liegen knapp 50
Änderungsanträge und 25 weitere Anträge vor. Kritik kommt von der
Parteijugend und der Anti-Atom-Bewegung. Der Hamburger Politologe
Prof. Dr. Michael Th. Greven sieht die Grünen aber nicht gespalten.

Wem gehört der Atomausstieg?

Prof. Dr. Michael Th. Greven: Ohne die langjährige Mobilisierung
der Grünen und der sozialen Bewegungen, die hinter den Grünen stehen,
stünde dieses Thema so nicht auf der Tagesordnung aller Parteien.
Jetzt sind es eher zufällige Umstände, nämlich das Unglück in Japan,
die dazu geführt haben, dass wir nach einem scharfen Richtungswechsel
der schwarz-gelben Koalition diesen Ausstieg bekommen.

Parteichefin Claudia Roth sagt: "Wir sind nicht gespalten und
zerrissen." Täuscht sie sich da nicht?

Greven: Gespalten und zerrissen sind die Grünen wahrscheinlich
nicht. Es ist in der Parteienkonkurrenz natürlich immer die Frage,
wie man eine Opposition begründen kann. Nachdem Schwarz-Gelb nun
einen Zeitplan und bestimmte Bedingungen für einen Ausstieg
formuliert hat, kann man Opposition eigentlich nur noch dadurch zum
Ausdruck bringen, dass man sozusagen "radikalisiert", also die
Bedingungen und den Zeitrahmen infrage stellt. Innerhalb der Grünen
konnte offenbar so schnell keine Einigkeit erzielt werden. Da wird
auf der einen Seite die radikale Position vertreten, dass der
Ausstieg sofort möglich sei und erfolgen müsse, während andere
moderater sind und sagen, wir sollten dann noch einmal über die
Bedingungen reden, etwa über Finanzierung alternativer Energien, aber
im Grundsatz nicht an der Sache rütteln.

Für die Pläne der Bundesregierung hat der Segen der Grünen nur
symbolische Bedeutung, für die Partei selbst geht es bei dem Votum um
ihre Glaubwürdigkeit. Droht eine ernsthafte Spaltung?

Greven: Nein.

Die Parteiführung hat im Falle eines Neins zu Merkels Atomausstieg
Angst vor dem Stempel "Dagegen-Partei". Was wäre daran so schlimm für
die Partei? Dieses Etikett hat sie doch groß gemacht.

Greven: Ja, das hat sie groß gemacht, aber die Partei zugleich
auch über die Jahre verändert. Man darf einfach nicht übersehen, dass
die Partei und viele ihrer maßgeblichen Vertreter in den Ländern und
auch im Bund einige Jahre Regierungszeit hinter sich haben. Mit einer
reinen Protestpartei kann man bei diesem Ausmaß an
Wählermobilisierung --- immerhin fast ein Viertel der Wählerschaft
--- nicht mehr ernsthaft in die Zukunft gehen. Die Angst, vom
politischen Gegner als reine Protestpartei dargestellt zu werden,
scheint mir berechtigt zu sein.

Es war nicht zuletzt der gemeinsame Protest mit der
Anti-Atom-Bewegung, der die Grünen stark gemacht hat. Die Aktivisten
werfen ihnen nun Verrat an der reinen Lehre vor. Wird dieser Bruch
der Partei schaden?

Greven: Diese Verrats-Diskussion von Minderheiten, die die reine
Lehre verteidigen, begleitet die Geschichte der Grünen als Partei von
Anfang an. Es ist aber nicht richtig, dass die Grünen eine
Ein-Punkt-Partei sind. Sie waren nie nur eine Anti-AKW-Partei. Das
war zwar stets ein Kernpunkt ihrer Programmatik. Aber im Unterschied
zu der Protestbewegung haben die Grünen von Anfang an ein
volksparteiähnliches Themenspektrum entwickelt, das im Lauf der Jahre
noch gewachsen ist. Die Abspaltung von Gruppen wegen einzelner
Streitpunkte --- wie zum Beispiel die Beteiligung Deutschlands an
Militäreinsätzen --- hat es in der Geschichte der Partei immer
gegeben und das hat ihr nicht geschadet. Im Gegenteil, es hat
objektiv zur Integration beigetragen.

Ist die teilweise Lösung von der Anti-AKW-Bewegung der Preis, den
die Öko-Partei für ihre Erfolge in der bürgerlichen Mitte zahlen
muss?

Greven: Die Protestbewegung ist ja auch keine homogene Gruppe. Da
gibt es die militanten Kämpfer gegen alles, was mit Kernkraft zu tun
hat bis hin zu jenen, die sich für eine rationale und politisch
gestaltete Ausstiegslösung eingesetzt haben. Die Anti-Atom-Bewegung
wird sicher nicht als Ganzes abgespalten.

In der Regierungsverantwortung haben die Grünen immer einige
Kröten schlucken müssen, etwa den Kosovo-Krieg, das Kohlekraftwerk in
Moorburg oder Stuttgart 21. Ist die Partei nur in der Opposition
glaubwürdig?

Greven: Nein. Erstens sind Koalitionen immer
Kompromissveranstaltungen. Interessanterweise wird selten gefragt,
welche Kompromisse denn die Koalitionspartner der Grünen - -- zum
Beispiel Ole von Beust in Hamburg --- eingehen mussten. Zweitens
liegt es in der Natur des politischen Prozesses, dass dieser --- wenn
er gestalten will --- nicht nur aus Protest besteht, sondern dass man
auch aus der Sache heraus gezwungen ist, Zugeständnisse zu machen und
schrittweise vorzugehen. Das ist nichts Spezifisches für die Grünen.

Aber sie sind zum Teil mit ihren Kernforderungen gescheitert...

Greven: In Hamburg-Moorburg ging es um ein ganz konkretes
Bauprojekt, das man verhindern wollte. Das hat man nicht geschafft.
Daraus haben die Grünen ja auch gelernt, dass man sich in einzelnen
Sachfragen nicht so festlegen darf, dass man überhaupt keine
Handlungsspielräume mehr hat. Beim Ausstieg aus der Atomkraft war von
Anfang an klar, dass man hier nicht einfach einen Schalter umlegen
kann, sondern Alternativen aufbauen, komplizierte Prozesse umsteuern
muss. Dieses Ziel, für das die Grünen von Anfang an gestanden haben,
war immer nur als ein Prozess zu verwirklichen, bei dem die Partei,
solange sie nicht allein regiert, selbstverständlich auch Kompromisse
eingehen muss. Man darf das nicht künstlich dramatisieren und von
einem Gründungsmythos sprechen, der nun verraten wird. Das ist die
Sprache von unpolitischen Randfiguren.

Das wird man im Wendland aber nicht gern lesen.

Greven: In Niedersachsen kann man vielleicht noch den Eindruck
haben, dass das Wendland der Nabel der Welt ist. Das ist ja eine
hübsche Gegend, aber doch für die ganze Republik eher ein politischer
Randbereich.

Die Castor-Transporte und damit die Endlagerprobleme sind aber
nicht nur dort eine ziemlich zentrale Frage.

Greven: So wichtig diese Fragen sind --- auch mir persönlich: Man
muss sie doch relativieren. Als Politologe habe ich die gesamte
Wähler- und Parteienkonstellation im Blick.

Sehen Sie die Gefahr, dass die Grünen in Gesamthaftung genommen
werden für bisher ungelöste Fragen, für die sie ja gar nichts können,
etwa die Klimabilanz, Sicherheitsstandards oder die Kosten für den
Netzausbau?

Greven: Die Frage möchte ich auf Umwegen mit Ja beantworten. Man
muss sehen, dass die Grünen angesichts des
Laufzeitverlängerungsbeschlusses im letzten Herbst und vor allem nach
der Katastrophe in Fukushima im März ein geradezu selbstläufiges
Meinungsklima vorgefunden haben, das ihnen in Umfragen immer neue
Prozentpunkte und in einzelnen Wahlen auch Erfolge beschert hat. Das
ist ein Trend, der nicht strukturell und langfristig verankert ist.
Hinzu kommt: In dem Maße, in dem sie jetzt in der Regierung in
Baden-Württenberg Kompromisse eingehen müssen, für sie auch sehr
unangenehme, werden sich natürlich einige Leute enttäuscht von ihnen
abwenden und es wird diese Rhetorik vom Verrat in bestimmten Milieus
kursieren. Aber das sind alles ganz normale Prozesse für eine Partei,
die politisch mitregieren will.

Die Selbstzerfleischung ist im linken Spektrum aber besonders
ausgeprägtu

Greven: Ob die Grünen zu den Linken gehören, ist eine ganze andere
Frage. Aber haben Sie schon einmal innerparteiliche Kämpfe in der CSU
erlebt? Sicher gab es bei den Grünen heftige Auseinandersetzungen,
wenn man an Jutta Ditfurth denkt oder den Farbbeutel-Wurf auf Joschka
Fischer auf dem Parteitag 1999 in Bielefeld. Aber das Austragen sehr
unterschiedlicher Meinungen und Richtungskämpfe ist in der
Vergangenheit auch eine Stärke der Grünen gewesen, das hat zum Teil
auch ihre Attraktivität ausgemacht. Eine geschlossene Partei ist
nicht zwangsläufig die bessere Partei. Demokratietheoretisch ist es
ja wünschenswert, dass Parteien die gesellschaftlichen Kontroversen
vor den Augen des Publikums austragen.

Ist die Sorge berechtigt, dass sich die Grünen mit ihrem Marsch
durch die Institutionen überflüssig machen?

Greven: Sie machen sich nicht überflüssig, sondern sie haben sich
etabliert. Alle Untersuchungen zeigen, dass die Grünen eine eigene,
ziemlich treue Stammwählerschaft haben. Sie haben wie alle Parteien
inzwischen das Problem, jugendlichen Nachwuchs zu gewinnen.

Welche Themen müssen die Grüne besetzen, wie müssen sie sich
positionieren, wenn ihr Gründungsmythos Atomkraft in den nächsten
Jahren an Bedeutung verliert?

Greven: Ich glaube, sie müssen sich gar nicht neu positionieren.
Es ist ja nur die aktuelle Diskussion, die dieses Thema so isoliert
in den Vordergrund rückt. In Wirklichkeit haben sich die Grünen ja
schon seit vielen Jahren den ökologischen Umbau der Gesellschaft ---
von der Gebäudesanierung bis zum Verkehr --- auf die Fahnen
geschrieben. Dabei ist die Abkehr von der Atomenergie ja nur ein
Aspekt. Das ist ein Programm, mit dem die Grünen auch in den nächsten
20 bis 30 Jahren ein eigenes Profil gegenüber CDU und SPD haben
werden. Die Grünen sind mitgliedermäßig eine Mittelstandspartei. Eine
radikale Protestpartei sind sie parteiensoziologisch betrachtet schon
lange nicht mehr.

Wäre, wie Winfried Kretschmann es sieht, ein Ja zum schwarz-gelben
Atomausstieg im Hinblick auf 2013 ein Signal für Regierungsfähigkeit?
Müsste also mit Schwarz-Grün gerechnet werden?

Greven: Auf Länderebene wahrscheinlich schon. Aus strategischer
Perspektive ist man natürlich immer besser beraten - -- das war ja
früher die "Kunst" der FDP -- wenn man nach beiden Seiten offen ist,
also Verhandlungsoptionen hat. Die Wahrscheinlichkeit einer
rot-rot-grünen Koalition --- das ist die einzige Mehrheit, die man
sich angesichts der desolaten Lage der Sozialdemokraten im Moment
vorstellen kann --- ist immer noch durch die Haltung der SPD
gegenüber der Linken blockiert. Deshalb würden manche bei den Grünen
sicher sagen, dass man sich die Option zur CDU nicht künstlich
verschließen sollte. Auf Bundesebene sehe ich diese Chance aber als
sehr gering an.

Womöglich brauchen die Grünen irgendwann auch einen
Kanzlerkandidaten. Wer kann diese Rolle ausfüllen? Joschka Fischer?

Greven: Wenn die Grünen Angst vor Karikaturisten haben und
vernünftig sind, werden sie selbst keinen Kandidaten aufstellen. Wenn
sie bei der nächs"ten Bundestagswahl knapp 20 Prozent erreichen,
haben sie ein gutes Ergebnis und brauchen keinen Kanzlerkandidaten.

Sie wollen keinen Namen nennen?

Greven: Solche Fragen dürfen Sie einem Wissenschaftler nicht
stellen. Wer hätte denn drei Jahre vorher gesagt, dass Angela Merkel
Kanzlerin wird und es könnte? Wenn es die Konstellation einmal
erfordert, wird es auch bei den Grünen jemanden geben, der das kann.

Das Gespräch führte Klaus Bohlmann



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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