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Berliner Morgenpost: Merkel haut auf den europäischen Tisch

Geschrieben am 28-04-2010

Berlin (ots) - Es ist wie verhext: Nicht Griechenland und die
Misere, die es der EU bereitet, stehen im Feuer der Kritik, sondern
die deutsche Kanzlerin wird angegriffen. Man muss sie verteidigen
gegen diese anbrausende Flut von Feindseligkeit. Man kennt den
Mechanismus: Immer, wenn es ans Eingemachte geht, wird nicht die
bittere Wahrheit selbst, sondern der Stil, in dem sie vorgetragen
wird, zum Thema. Nein, Angela Merkel ist keine "Mrs. No", nur weil
sie den vor einem Staatsbankrott stehenden Griechen nicht gleich die
Milliarden - deutsche Steuergelder! - in den Rachen werfen wollte.
Und die deutsche Regierung ist auch nicht, nur weil sie endlich
einmal "basta!" sagt, antieuropäisch oder gar nationalistisch
gesinnt, sondern proeuropäisch wie immer schon. Die Menschen in
Deutschland spüren, dass es nicht nur um wahltaktische Manöver geht:
Ganz im Gegenteil ist dieses Verhalten endlich richtig europäisch,
weil realistisch. Jahrzehntelang hat Deutschland um des europäischen
Friedens willen eine sehr zurückgenommene Politik in Europa gefahren.
Wir machten uns kleiner und waren zahlungswillig. Natürlich hat
Deutschland davon profitiert. Doch es war immer auch ein Hauch
Verkrampftheit dabei: Man wollte der beste Europäer sein. Deutsch
sein wollte man nicht. Doch die Krise, deren Anfang wir gerade
erleben und deren Ausgang ungewiss ist, hat ein neues deutsches
Selbstbewusstsein und ein neues Verantwortungsgefühl - ein nationales
wie ein europäisches - zutage gefördert. Das ist das Gegenteil von
Großmannsucht oder Nationalismus. Denn was Griechenland und auch
andere Länder wie Portugal, Irland und Spanien mit aller Wucht
erleben, lauert auch in den kerneuropäischen Ländern: Überschuldung,
zu hohe Staatskosten, zu wenig Innovation. Die Wahrheit musste
endlich einmal auf den Tisch: Alle Länder müssen sparen, sparen,
sparen. Das tut weh und ist unpopulär, also hat man die Reformen
überall in Europa verschleppt. Griechenland hält den Europäern, wenn
auch verzerrt, einen Spiegel vor. Und was sehen wir da? Ein bisschen
griechisch sind wir alle - und das ist nicht mehr gut so. Und was
sehen wir noch? Die EU ist eben kein paradiesischer Verein, in dem
die Transfers nur so sprudeln und die Solidarität auf immer und ewig
blüht. Turbo-Modernisierung und Gleichmacherei sind an die Wand
gefahren. Länder wurden um des politischen Friedens willen
aufgenommen, die anderen Kriterien nicht genügen. Kontrollmechanismen
wie der Stabilitätspakt waren zu lax. So wird die Causa Griechenland
der Auftakt zu einer intensiven Debatte nicht nur über die Kontrolle
der EU-Haushalte. Sie könnte zu einer neuen Selbstvergewisserung über
Stärken und Schwächen, aber auch über Anfang und Ende einer
überfrachteten Idee führen. Die Jasager jedenfalls haben ausgedient.
Wenn das Bild von der europäischen Familie greift, dann hat
Deutschland (warum eigentlich nur Deutschland?) das getan, was in
jeder Familie vorkommt, wenn es reicht: Es hat - einmal wenigstens -
auf den Tisch gehauen.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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