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Berliner Morgenpost: Wir sind schon lange nicht mehr Papst - Leitartikel

Geschrieben am 18-04-2010

Berlin (ots) - Fünf Jahre ist es her, dass der deutsche Kardinal
Joseph Ratzinger zum Papst ernannt, dass der scharfzüngige Hardliner
in atemberaubendem Tempo zum sanften Hirten umgedeutet wurde. "Wir
sind Papst", die berühmte "Bild"-Schlagzeile, gibt die Stimmung jener
Tage wieder: eine Art katholisches Sommermärchen, von dem auch
Nicht-Katholiken ganz ergriffen waren.
Vorbei. Der Stolz auf den deutschen Papst ist der Scham über die
Wortkargheit dieses intellektuellen Mannes gewichen - zumindest wenn
es um die schier endlose Missbrauchsaffäre geht, die seine Kirche
erschüttert wie kein anderes Ereignis der vergangenen Jahrzehnte.
Dass Benedikt XVI. vor zwei Jahren in den USA auf Missbrauchsopfer
zuging, dass er sich gestern bei seinem Besuch auf Malta erneut mit
Missbrauchsopfern traf - zu zaghaft sind die Gesten, zu akademisch
ist der Diskurs des Papstes. Es geht ihm in erster Linie immer um die
Verteidigung des Katholizismus, den er als Kurpackung gegen den
"Relativismus" versteht, der unsere Welt beherrsche. Diskussionen um
den Zölibat, wie sie nach den zahllosen bekannt gewordenen
Übergriffen durch Priester und Patres überall geführt werden,
erreichen den Papst nicht. Das ist nicht sein Thema. In der Welt des
katholischen Klerus werden die in Jahrhunderten tradierten
Glaubensregeln nicht ernsthaft in Frage gestellt. Es würde ihn selbst
in Frage stellen. Der deutsche Papst verfolgt das Gegenteil dessen,
was sich ein großer Teil der katholischen Basis wünscht: Er will die
Kirche nicht noch weiter öffnen, er will sie lieber klarer abgrenzen
von anderen Religionen und von Modernismen.
Das prägt auch den Umgang der Kirche mit Regelverstößen. So ist es
möglich, dass ein Bischof erst die mutmaßlichen Opfer seiner Schläge
der Lüge bezichtigt, um dann Wochen später selbstbewusst die "ein
oder andere Watsch'n" einzuräumen. So ist es möglich, dass Bischof
Mixa auf die einhellige Empörung seinen Kritikern unterstellt, sie
würden "künstlich eine Lüge konstruieren" - wo es sich doch bloß um
eine Erinnerungslücke handele. So ist es möglich, dass sich Bischof
Mixa nicht in Grund und Boden schämt. Und dass er nicht zurücktritt.
Das Vertuschen, Leugnen, Kleinreden ist es, das selbst fromme
Katholiken abstößt - und zweifeln lässt. Widerspricht es doch der
hohen moralischen Messlatte, die gerade Benedikt XVI. in
Glaubensfragen gerne anlegt. Noch immer scheint in weiten Teilen der
Kirchenführung der ernsthafte und überzeugende Wille zur Aufklärung
der Gewaltexzesse und sexuellen Übergriffe zu fehlen. Und erst recht
der Wille zum Diskurs darüber, was für den Alltag der Kirche und
ihrer Vertreter zu folgen hat - jenseits von Ermittlungen, Sanktionen
und Rücktritten.
Diesen Diskurs bleibt der deutsche Papst schuldig. Er hat andere
Themen und eine klare Mission: Seine Kirche soll ein Bollwerk gegen
die Beliebigkeit sein - stark im Glauben, abgeschottet gegen
Einflüsterungen der modernen Welt.
Von der Lebenswirklichkeit deutscher Katholiken ist das denkbar weit
entfernt.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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