(Registrieren)

Radikalisierung: Muslimfeindlichkeit und Islamismus verstärken sich gegenseitig / Studie "Hassliebe: Islamfeindlichkeit, Islamismus und die Spirale gesellschaftlicher Polarisierung" vorgestellt

Geschrieben am 29-06-2018

Berlin (ots) - Feindlichkeit gegen Muslime und islamistischer
Fundamentalismus sind eng miteinander verknüpft und verstärken sich
gegenseitig. Mobilisierungs- und Radikalisierungsstrategien beider
Lager ähneln sich und auch ideologisch gibt es Gemeinsamkeiten. Dies
zeigt sich besonders in der Internetpropaganda in sozialen
Netzwerken. Zu diesen Ergebnissen kommt eine heute in Berlin im
Vorfeld des bundesweiten Tags gegen antimuslimischen Rassismus am 1.
Juli vorgestellte neue Studie des Jenaer Instituts für Demokratie und
Zivilgesellschaft in Zusammenarbeit mit dem Londoner Institut für
Strategischen Dialog, die vom Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde.

Die Analyse islamistischer und rechtsextremer Beiträge in sozialen
Netzwerken zeigt, dass die Themen der beiden radikalisierten Milieus
miteinander interagieren. Wechselseitige Bezüge dienen der Behauptung
einer durch die jeweils andere Gruppe bedrohten Opferidentität.
Gleichzeitig werden sie gebraucht, um Feindbilder zu konstruieren und
aufrecht zu erhalten. Die sich gegenseitig bestärkende Rhetorik
gipfelt in der Beschwörung eines Bürgerkriegs. Der Studienautor und
Politikwissenschaftler Maik Fielitz stellt fest: "Extreme Rechte und
Islamisten lehnen Freiheit, Pluralismus und Liberalismus ab. Es geht
ihnen darum, die Demokratie notfalls mit Gewalt abzuschaffen und
durch einen Führerstaat oder die Scharia zu ersetzen." Die Studie
weist auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Islamismus und
Rechtsextremismus hin: Beide treffen sich ideologisch im
Antisemitismus, in Verschwörungsmythen und im Ziel homogener
Gesellschaften entlang von Dogmen, die sich bei den Rechten
rassistisch und bei den Islamisten religiös begründen.

Muslimfeindliche Beiträge im Vergleich radikaler und verbreiteter

Linguistische Analysen der Beiträge islamistischer und
rechtsextremer Konten zeigen, dass es Überlappungen im Vokabular der
beiden Spektren gibt. Überraschend dabei: Islamische Begriffe wie zum
Beispiel "kuffar" (Ungläubige) werden häufiger von rechtsextremen als
von islamistischen Usern verwendet. Die Untersuchung stellte bei
diversen Gruppen und Begriffen auch fest, dass islamistische
Netzinhalte von den sozialen Netzwerken effektiver entfernt als
rassistische und rechtsextreme Botschaften werden. Die Londoner
Extremismusexpertin Julia Ebner hebt hervor: "Unsere Analysen zeigen,
dass islamistische Kommunikation stark eingeschränkt und ihre
Rhetorik deutlich gemäßigter ist als noch Anfang 2017. Dies trifft
deutlich weniger auf die Propaganda und Netzwerke von Rechtsextremen
zu. Das Ausmaß offen rechtsextremer und muslimfeindlicher Inhalte
übertrifft das Ausmaß islamistischer Inhalte bei Weitem."

Vor allem im Nachgang von islamistischen Terroranschlägen steigt
die Zahl antimuslimischer Beiträge in den Sozialen Medien an und neue
Begriffe zur pauschalen Abwertung von Muslime werden in das Vokabular
der Rechtsextremen übernommen. Soziologe und Institutsdirektor
Matthias Quent schlussfolgert: "Rassismus, rechter Populismus und
Extremismus bildet die nationalen Resonanzräume des internationalen
Dschihadismus. Die Wirkung islamistischer Anschläge wird durch die
rechtsextreme Agitation vor allem im Netz erheblich verstärkt."

Rechtsextremismus und Islamismus brauchen sich gegenseitig

Demgegenüber reagieren auch Islamisten auf Ereignisse wie
rechtsextreme Demonstrationen oder die Wahlergebnisse der AfD, um das
Bild eines muslimfeindlichen Westens zu verstärken und als Argument
zur Radikalisierung von Muslimen zu verwenden. Jakob Guhl,
Extremismusforscher am ISD in London, analysiert: "Diese Prozesse
reziproker Radikalisierung finden nicht nur in Deutschland, sondern
in vielen westlichen Gesellschaften statt. In sozialen Netzwerken
agieren islamistische und muslimfeindliche Extremisten
grenzübergreifend. Sie begründen die Betroffenheit und
Zusammengehörigkeit ihrer Bezugsgruppen durch Ereignisse auf der
ganzen Welt."

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass beide Seiten in einem
wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen, um ihren
extremistischen Narrativen Glaubwürdigkeit und ihren Aktivitäten
Legitimität zu verleihen. Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu
Antonio Stiftung, fordert, dass diese Zusammenhänge in der
politischen Debatte sowie in der Präventionsarbeit berücksichtigt
werden sollten: "Die Studie zeigt, dass antimuslimische Vorurteile
und Stimmungsmache letztlich jenen islamistischen und rassistischen
Fanatikern in die Hände spielen, die den gesellschaftlichen
Zusammenhalt spalten wollen. Islamistische Radikalisierung,
antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus müssen zusammengedacht
und gemeinsam begegnet werden. Viele Präventionsprojekte haben dies
bereits verinnerlicht. In öffentlichen Diskursen wird häufig der
Eindruck erweckt, dass rechte Islamfeinde der Gegenpol zu radikalen
Islamisten sein. Das stimmt nicht: Beide Spektren ähneln sich und
bedrohen die offene Gesellschaft."

Über die Studie:

Auf Grundlage einer Metaanalyse internationaler Studien sowie
qualitativer und quantitativer Erhebungen in sozialen Netzwerken hat
das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena, das in
Trägerschaft der Amadeu Antonio Stiftung arbeitet, in Kooperation mit
dem Londoner Institut für Strategischen Dialog (ISD) islamfeindliche
und islamistische Netzinhalte analysiert. Dazu wurden über 10.000
islamistische und rechtsextreme Facebook-Inhalte und mehr als eine
Million deutschsprachige muslimfeindliche Twitter-Beiträge aus dem
Zeitraum zwischen 2013 und 2017 analysiert. Ermöglicht wurde das
Forschungsprojekt durch das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben!"
und das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport im Rahmen
des Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit.

Die Studie steht zum Download bereit unter: https://www.idz-jena.d
e/fileadmin/user_upload/IDZ_Islamismus_Rechtsextremismus.pdf



Pressekontakt:
Robert Lüdecke (Pressesprecher der Amadeu Antonio Stiftung)
030/240 886 16
robert.luedecke@amadeu-antonio-stiftung.de

Original-Content von: Amadeu Antonio Stiftung, übermittelt durch news aktuell


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

644465

weitere Artikel:
  • Arbeitgebertag Zeitarbeit des BAP / "Die Zeitarbeit ist nicht das Problem, sondern die Lösung" Berlin (ots) - Der fortschreitende demografische Wandel und die Digitalisierung gehören zu den beiden Megatrends, die die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt derzeit am stärksten beeinflussen. Wie wird die Zukunft der Arbeit aussehen? Wie wird sich Künstliche Intelligenz, auf die Arbeitswelt und das Leben auswirken? Können wir Menschen den Fortschritt lenken und den Wandel mitgestalten? Diese und weitere Fragen wurden beim diesjährigen Arbeitgebertag Zeitarbeit des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP) mit über mehr...

  • Pols: Haushaltsausschuss stärkt Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa Berlin (ots) - Sicherung der Kirchenburgen Siebenbürgens im Fokus Mit der Bereinigungssitzung zum Bundeshaushalt 2018 in dieser Woche wurde die Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa erneut gestärkt. Dazu erklärt der Vorsitzende der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Eckhard Pols: "Die Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa erfährt im Rahmen des Bundeshaushalts 2018 eine erneute Aufwertung. Ihre große nationale wie mehr...

  • Rheinische Post: Schläpfer-Stücke könnten beim Ballett am Rhein bleiben Düsseldorf (ots) - Der Schweizer Choreograf Martin Schläpfer ist bereit, seine für das Ballett am Rhein in Düsseldorf und Duisburg entwickelten Stücke am Rhein zu belassen, wenn entsprechende Bedingungen für die Einstudierung der Werke geschaffen werden. "Schön wäre, wenn mein Repertoire am Rhein gepflegt würde, punktuell oder regelmäßig, ohne dass Düsseldorf eine zweite Schläpfer-Dependance würde", sagte der 58-Jährige der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Samstag). Wenn etwa der jetzige Co-Direktor der Kompanie, Remus Sucheana, mehr...

  • Baden-württembergischer AfD-Landtagsabgeordneter Daniel Rottmann verlangt von Innenminister Thomas Strobl (CDU) Aufklärung über verratene Abschiebetermine Stuttgart (ots) - Der migrationspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, Daniel Rottmann, erfragte unlängst bei der Landesregierung, wie es sein könne, dass auf der Homepage der Freiburger "Aktion Bleiberecht" - einer Vereinigung der Anti-Abschiebe-Industrie - mehrere Abschiebetermine auf den Balkan öffentlich angekündigt waren. Denn das Innenministerium hatte noch vor wenigen Wochen versichert, er gebe Abschiebetermine nicht heraus. Beängstigende Inkonsequenz des Ministers "Die erschreckende mehr...

  • Amalgam: Alternativen für Kinder und Schwangere / Neue EU-Verordnung tritt zum 1. Juli in Kraft Berlin (ots) - Dentalamalgam darf nach der EU-Quecksilberverordnung ab 1. Juli 2018 grundsätzlich nicht mehr für zahnärztliche Behandlungen von Milchzähnen, von Kindern unter 15 Jahren und von schwangeren oder stillenden Patientinnen verwendet werden. Eine Ausnahme von der Regelung besteht nur dann, wenn der Zahnarzt eine solche Behandlung wegen spezifischer medizinischer Erfordernisse als zwingend notwendig erachtet. Hintergrund der neuen Bestimmung ist das Übereinkommen von Minamata, das Gesundheit und Umwelt vor Emissionen und mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht