Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Christian Kucznierz zu Türkei/Erdogan
Geschrieben am 17-07-2016 |   
 
 Regensburg (ots) - Als das osmanische Reich in den letzten Zügen  
lag, machte der Begriff vom "kranken Mann vom Bosporus" in Europa die 
Runde. Er drückte die Sorge darüber aus, wie dieses Land weiter  
agieren würde, was an der Schnittstelle zwischen Orient und Okzident, 
zwischen Asien und Euopa geschehen würde. Heute, 100 Jahre später,  
ist die Sorge um die Türkei so aktuell wie damals. An der Reaktion  
auf den gescheiterten Putsch gegen Recep Tayyip Erdogan wird sich  
zeigen, mit was für einem Land wir es zu tun haben. Es gibt  
Anzeichen, in welche Richtung der Staatschef denkt. Die Inhaftierung  
von mittlerweile 6000 Menschen nach dem Aufstand, die Haftbefehle  
auch gegen Richter haben den Charakter einer Säuberungsaktion, und  
das, obwohl die Zahl der Putschisten offenbar gering genug gewesen  
ist, um ihr Vorhaben mehr einem verzweifelten Versuch, denn einem  
geplanten Vorgehen gleichen zu lassen. Geplant aber scheint die  
Reaktion Erdogans, oder zumindest dürften die Ereignisse der  
Freitagnacht einen willkommenen Anlass geliefert haben, mit Gegnern  
in allen Ebenen der türkischen Gesellschaft abzurechnen. Der  
Staatschef arbeitet seit Jahren daran, sein Land nach seinen  
Vorstellungen umzugestalten. Widerstände, wie die Proteste 2013, ließ 
er niederknüppeln, Freiheiten einschränken. Es ist eine ironische  
Wendung, dass derselbe Mann, der am liebsten das Internet abschalten  
lassen würde, weil dort Protest gegen ihn organisiert und Kritik an  
ihm geäußert werden kann, auf der Flucht via Smartphone Kontakt zu  
seinen Anhängern aufnahm. Erdogan ist kein Demokrat im westlichen  
Sinne. Er benutzt den Krieg gegen den IS vor seiner Haustüre, um  
gegen die kurdische Opposition vorzugehen. Er nutzt die Flüchtlinge  
auf ihrem Weg nach Europa als Druckmittel für seine außenpolitischen  
Vorstellungen und als Hebel zur Einflussnahme auf andere Staaten -  
siehe die Affäre Böhmermann. Mit dem Putsch kann Erdogan seine  
autokratischen Fantasien vollends ausleben. Es ist richtig, dass ein  
großer Teil der türkischen Bevölkerung mit seiner Unterstützung für  
den Staatschef eine große Rolle beim Scheitern des Putsches spielte.  
Dass aber nun zehntausendfach auf Twitter per Hashtag die  
Wiedereinführung der Todesstrafe für die Aufständischen gefordert  
wird, und Erdogan selbst mit dieser Idee liebäugelt, zeigt, wie  
brisant die Lage ist - und wie sehr eine moderierende Kraft an der  
Spitze des Staats notwendig wäre. Die Türkei unter Erdogan ist immer  
schon ein gespaltenes Land, das zwischen Moderne und  
Rückwärtsgerichtetheit schwankt. Der Präsident will eine Annäherung  
an die Europäische Union und hat mit dem Flüchtlings- deal einen  
großen Schritt in diese Richtung gemacht. Doch ein Land, dass die  
Todesstrafe einführen möchte, ein Land, dass nun vollends zu einer  
gelenkten Demokratie werden dürfte, ist kein Partner für Europa. Ein  
Staat, in dem das Militär aus Sorge um die Demokratie gegen die  
Regierung putscht, ist genauso besorgniserregend wie ein Staat, in  
dem ein Putsch von wem auch immer inszeniert wurde, um diesen als  
Vorwand für eine Revolution von oben zu nutzen. Vieles hängt jetzt  
davon ab, ob Erdogan überhaupt noch für den Rat eines anderen Staats- 
oder Regierungschefs offen ist, ob er sich in seinem Zorn mäßigen  
lässt oder nicht. Besonnenheit, nicht Härte wären infolge des  
Putsches nötig. Der türkische Staatspräsident muss sich im Klaren  
darüber sein, dass es seine Bürger waren, die sich gegen die  
Putschisten gestellt haben - egal ob freiwillig oder nicht. Er darf  
ihnen zum Dank die Freiheiten, die sie noch genießen, nicht in einer  
Erdokratie entziehen. 
 
 
 
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