(Registrieren)

Rheinische Post: Kommentar: Nein zu Europa - Ja zum Grexit

Geschrieben am 05-07-2015

Düsseldorf (ots) - Griechenland hat sich gestern gegen Europa
entschieden. Die Mehrheit der Wähler hat ihrem Regierungschef, der
die Gläubiger als kriminelle Vereinigung diffamiert und europäische
Politik als Durchsetzung nationaler Interessen missverstanden hat,
den Rücken gestärkt. Damit haben Angela Merkel und die
Pro-Griechenland-Fraktion in Europa, die sich immer wieder für neue
Verhandlungen und gegen den Grexit ausgesprochen haben, verloren. Das
Votum ist eine Wendemarke in der Geschichte der europäischen
Integration. Nach den gescheiterten Referenden in den Niederlanden
und Frankreich zur EU-Verfassung vor zehn Jahren stellt sich erstmals
ein Mitgliedsland mit einer Volksbefragung gegen die große Mehrheit
in Europa. Und gegen den grundsätzlichen Konsens, dass finanzielle
Solidarität in der Euro-Zone immer auch mit Reformen im eigenen Land
einhergeht. Das "Ochi" der Griechen ist deshalb mehr als eine
Abstimmung gegen Renten-Reformen oder Privatisierungspläne. Es ist
ein Votum gegen ein Europa, das sich als politischer Ort gemeinsamer
Werte und Regeln zum größtmöglichen Nutzen aller versteht. Als Ort
der Verhandlungen und des Kompromisses. Alexis Tsipras hat das
Referendum ja gegen den Willen der Partner aus dem Hut gezaubert. Er
hat gezockt, gepokert - und gewonnen. Aber müssen deswegen Europas
Staatschefs ein neues Spiel mit ihm eingehen? Niemand könne ein Nein
des griechischen Volkes ignorieren, sagte Alexis Tsipras gestern. Bei
allem Respekt: Niemand kann 18 Euro-Staaten zu einer Politik zwingen,
die gegen jede bisherige europäische Gepflogenheit verstößt und im
Zweifel gegen die Interessen ihrer eigenen Bevölkerungen gerichtet
ist. Es waren die gewählten Vertreter Irlands, Portugals und
Spaniens, die in den Verhandlungen mit Athen besonders hartnäckig
waren und auf Reformen pochten. Diese Länder ziehen erfolgreich harte
Sanierungsprogramme durch und müssten bei Referendums-Rabatten für
Athen einen Aufstand der eigenen Wähler befürchten. Europas
Glaubwürdigkeit in der Welt wäre überdies massiv beschädigt, wenn
sich die Euro-Staaten von dem Weg in eine international
wettbewerbsfähige Fiskal- und Wirtschaftsunion abbringen ließen.
Sicher hat die Troika in Griechenland Fehler gemacht, die sozialen
Kürzungen überbetont und Konjunkturimpulse unterschätzt. Aber das
letzte Angebot der Gläubiger an Athen korrigierte diese Schieflage.
Europa bot Griechenland unter anderem ein milliardenschweres
Wachstumspaket, einen De-facto-Schuldenschnitt durch die Verlängerung
der Rückzahlungsfristen und neue Budgethilfen. All das zusätzlich zu
den bisher rund 220 Milliarden Euro an geleisteten Finanzhilfen.
Dieses Angebot haben die Griechen nun abgelehnt. Was soll Europa denn
noch tun? Einfach alle Schulden erlassen? Ob es Griechenlands
Regierungschef will oder nicht: Das Nein seiner Bevölkerung zu den
Reformplänen der Gläubiger ist somit auch ein Ja zum Grexit.
Griechenland ist pleite. Die Auszahlung von Renten und Löhnen hängt
vom guten Willen des IWF, der EZB und der EU etwa bei der
Verlängerung der Notkredite ab. Von jenen Institutionen also, die von
Mitgliedern der griechischen Regierung als kriminell und
terroristisch beschimpft wurden. Die Gläubiger werden den
(vorübergehenden) Austritt Griechenlands aus dem Euro und die
Einführung einer neuen Parallelwährung nun forcieren. Wer will es
ihnen verdenken? Die neuen Verhandlungen der Euro-Gruppe mit Tsipras,
die es trotz allem geben sollte, werden den Geist der Trennung atmen.
Und sollten die Euro-Staatschefs in den Gesprächen mit Tsipras ein
Druckmittel benötigen, könnten sie ja ein zweites Referendum in
Aussicht stellen. Dieses Mal allerdings in den Ländern der Gläubiger.



Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2621


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

570811

weitere Artikel:
  • Neue Westfälische (Bielefeld): Europa-Politiker Elmar Brok: "Tsipras hat ein Volk manipuliert" Bielefeld (ots) - "Das ist kein schöner Tag", so die konsternierte Reaktion von Elmar Brok auf die ersten Hochrechnungen aus Athen. Das sagte er der Neuen Westfälischen Zeitung in Bielefeld (Montagausgabe). Brok saß wegen des Unwetters im Zug zwischen Bielefeld und Berlin fest. Eigentlich sollte er in der Live-TV-Sendung von Günther Jauch zum Ausgang des Griechen-Referendums Stellung nehmen. Das persönliche Ungemach ist für ihn jedoch ein kleines Übel im Vergleich zu dem, was den Griechen seiner Ansicht nach bevorsteht. "Es kann auf mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Ende des Poststreiks Bielefeld (ots) - Endlich! Endlich kommt die Post wieder. Viele Bürger haben dringend auf einen Brief oder ein Päckchen gewartet oder sie wollten - umgekehrt - sicher sein, dass ihre (wichtigen) Sendungen pünktlich beim Empfänger ankommen. So mancher Online-Händler sah sich sogar in seiner Existenz bedroht. Die nun erfolgte Einigung ist ein Kompromiss. Es ist gut und wichtig, dass beide Parteien nicht auf ihre Maximalforderungen bestanden haben. Und doch kommt das Ende des Tarifkonfliktes im Grunde fast zu spät. Die Post mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur AfD Bielefeld (ots) - Dass in einer Partei Streit auf offener Bühne tobt, ist kein Alleinstellungsmerkmal der AfD. Das kennt man auch von den anderen. Allerdings: Die verbale Rohheit, die Hemmungslosigkeit, die sich am Wochenende auf dem Parteitag der Alternative in Essen gezeigt hat, ist bezeichnend. Wie ein räudiger Hund wurde Bernd Lucke vom Hof gejagt, ausgebuht und angepöbelt. Dieser krawallige Stil ist kein Ausrutscher, kein Lapsus - sondern auch ein Fingerzeig, welche Richtung die AfD künftig unter der neuen Vorsitzenden Frauke Petry mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): Bundesrechnungshof kritisiert zu geringe Ausgaben für Straßen Wichtige Hausaufgaben MATTHIAS BUNGEROTH Bielefeld (ots) - Normalerweise meldet sich der Bundesrechnungshof zu Wort, wenn er verschwenderische Ausgaben der Politik für irgendwelche Großprojekte ausgemacht hat. Der Neubau des Berliner Hauptstadtflughafens lässt grüßen. Umso bemerkenswerter ist es, wenn die oberste Kontrollinstanz in Sachen Verwendung von Steuergeldern in einer aktuellen Stellungnahme mehr Ausgaben für einen bestimmten Zweck anmahnt: die Instandhaltung des Straßennetzes. Diesen Appell kann man nur als schallende Ohrfeige für Bundesverkehrsminister Alexander mehr...

  • Rheinische Post: Unionsfraktionsvize Fuchs hält "Grexit" für immer wahrscheinlicher Düsseldorf (ots) - Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Fuchs (CDU), hält ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro für immer wahrscheinlicher. "Die Wahrscheinlichkeit für einen Grexit ist ganz sicher gestiegen", sagte Fuchs der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Montagausgabe). Angesichts der offenbar mehrheitlichen Ablehnung der europäischen Reformvorschläge beim griechischen Referendum sagte Fuchs: "Das ist ein katastrophales Ergebnis. Die Griechen haben sich von Europa abgewendet." mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht