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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Auschwitz-Gedenken: Von wegen Schlussstrich von Sebastian Heinrich

Geschrieben am 27-01-2015

Regensburg (ots) - Die meisten Deutschen wünschen sich einen
Schlussstrich unter die Schoah, den Völkermord an Europas Juden: 58
Prozent möchten das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte laut
einer Studie der Bertelsmann-Stiftung definitiv schließen. Es sind
keine neuen Zahlen: 1991 hatten sich sogar 60 Prozent einen
Schlussstrich gewünscht. Und glücklicherweise meinen heute auch mehr
Menschen als 1991, dass die Massenvernichtung durch die Nazis immer
noch relevant ist. Trotzdem ist es ein Alarmsignal, dass so viele
nichts mehr hören wollen von den etwa sechs Millionen Juden, die im
Namen Deutschlands ermordet wurden. Und der Wunsch, es müsse jetzt
einmal gut sein mit der Erinnerung daran, darf nicht erfüllt werden.
Im Gegenteil. Die Deutschen müssen noch öfter und intensiver darüber
reden, was die Schoah war - und was sie bis heute bedeutet. Denn
allzu viele Menschen hierzulande wissen das offenbar nicht. Wir
müssen weiter über die Schoah reden, weil Antisemitismus noch immer
in Deutschland grassiert. Fast jeder fünfte Deutsche glaubt laut
einer Studie der Uni Bielefeld heute, die Juden seien mit ihrem
Verhalten mitschuldig an ihrer Verfolgung. Im Sommer 2014 hallten bei
Protesten gegen israelische Angriffe auf den Gaza-Streifen
antisemitische Parolen durch Deutschlands Straßen - und immer wieder
wird Menschen wegen ihres jüdischen Glaubens Gewalt angetan. Dass
Juden 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz angstfrei in
Deutschland leben können, müsste eigentlich selbstverständlich sein.
Doch das ist es nicht. Wir müssen weiter über die Schoah reden, weil
heute im Namen von Pegida und seinen Ablegern zehntausende Menschen
auf die Straße gehen, die "das Abendland" gegen vermeintliche
Eindringlinge verteidigen wollen. Menschen, die arrogant urteilen
über Menschen aus anderen Ländern. Sie sprechen ihnen die Fähigkeit
ab, in einer modernen, demokratischen Gesellschaft zu leben - grölen
aber selbst Nazi-Vokabular wie "Lügenpresse" und "Volksverräter". Und
offenbar ist diesen Menschen nicht bewusst, dass vor nur zwei
Generationen den Deutschen selbst kaum ein anderes Volk zugetraut
hätte, eine moderne, demokratische Gesellschaft aufzubauen. Dass es
trotzdem geklappt hat, haben wir den Siegermächten des Zweiten
Weltkriegs zu verdanken - vor allem den USA, die viel Geld und
Ressourcen in die Demokratisierung Deutschlands gesteckt haben. Daran
sollten gerade jene denken, die neuerdings bei "Pegada"-Demos gegen
die "Amerikanisierung des Abendlands" auf die Straße gehen. Wer nicht
mehr reden will über die Schoah, sagt oft, dass junge Deutsche von
heute nichts mehr zu tun haben mit dem Unrecht, das ihre Urgroßväter
angerichtet haben. Doch das ist falsch. Persönlich verantwortlich ist
natürlich niemand mehr - das gilt ohnehin für alle, die nach 1935
geboren sind. Aber mit nationalsozialistischen Gräuel wird jeder
Deutsche immer wieder konfrontiert, wenn aus Protest gegen deutsche
Politik die Bundeskanzlerin mit Hitler-Bart gezeigt wird. Und je
unvernünftiger andere mit der deutschen Geschichte umgehen, desto
vernünftiger müssen wir es tun. Das heißt nicht, dass man als
Deutscher solche Nazi-Vergleiche akzeptieren muss - oder sich
aufgrund der deutschen Geschichte zu bestimmten Themen den Mund
verbieten lassen darf. Doch die Verbrechen im Namen Deutschlands
bringen eine große Verantwortung mit sich. Und der muss sich jeder
von uns stellen. "Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz",
hat Bundespräsident Joachim Gauck im Bundestag gesagt. Er hat Recht.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


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