(Registrieren)

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Christine Strasser zur Ukraine

Geschrieben am 23-02-2014

Regensburg (ots) - Es sind historische Stunden, die sich am
Wochenende in der Ukraine abspielten. Die Ereignisse überschlugen
sich. Der Präsident muss gehen. Julia Timoschenko spricht auf dem
Maidan. Der Umsturz ist geschafft. Mit beeindruckendem Mut hat sich
das ukrainische Volk gegen Willkür, Korruption und schlechte Führung
gestellt. Doch die eigentliche Revolution steht jetzt erst noch
bevor. Das lehrt auch der Blick in die Vergangenheit. Denn eine
ähnliche Einleitung haben etliche Kommentatoren schon vor zehn Jahren
geschrieben. 2004 stand in Kiew schon einmal eine Menschenmenge und
jubelte über den Sieg der orangenen Revolution. Im Unterschied zu
heute verlief die Revolution damals friedlich. Im Rückblick sind das
zehn verlorene Jahre. Denn nach 2004 wurde eine große Chance vertan.
Europa zauderte. Es gab zwar viele ermutigende Worte, doch
finanzielle Unterstützung blieb aus. Das darf diesmal nicht so sein.
Die Europäische Union steht im Zentrum der Erwartungen. Erst das
Freiheitsversprechen der EU entfachte bei den Menschen in der Ukraine
wieder Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Nun müssen die Europäer
einlösen. Ein ehrgeiziges Partnerschaftsabkommen liegt ja bereits
fertig in der Schublade. "Die EU ist am Zug", sagte der
Osteuropa-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD).
Brüssel solle sich mit Russland über ein gemeinsames Vorgehen
verständigen, wobei der Internationale Währungsfonds eingeschaltet
werden müsse. Der Ukraine droht die Staatspleite. Russland hat
Notkredite für Kiew in Milliardenhöhe eingefroren. Doch noch in
diesem Jahr muss Kiew 13 Milliarden Dollar an seine Gläubiger
zurückzahlen. Der IWF ist nicht das Problem. Der steht schon bereit,
um über finanzielle Hilfen, gekoppelt an Wirtschaftsreformen, zu
beraten. Doch Russland wird um seinen Einfluss ringen. Präsident
Vladimir Putin teilt die Welt in Einflusszonen auf und die Ukraine
war bislang ein wichtiger Bestandteil seiner Einflusszone. Das
Einfrieren der Kredite ist da nur ein erster Schritt. Zu befürchten
ist, dass Russland nun viele ukrainische Produkte boykottieren wird.
Entscheidend wird sein, welches Modell - das europäische oder das
russische - die einflussreichen Oligarchen unterstützen. Und es
spricht vieles dafür, dass sie sich für das europäische entscheiden.
Russland wird von ihnen eher gefürchtet als geachtet oder gar
geliebt. Putin verfährt in Russland extrem willkürlich mit
aufstrebenden Oligarchen. Es ist stets möglich, plötzlich im
Gefängnis zu landen. Da verspricht das EU-Modell der
Rechtstaatlichkeit ein angenehmeres Leben - auch wenn das dann
bedeutet, Steuern zahlen zu müssen. Was nachdenklich stimmt, ist die
tiefe Zersplitterung der Opposition. Die Parlamentarier wollen in der
Rada über das Verbot der bisher regierenden Partei der Regionen sowie
der Kommunisten diskutieren. Ein emotional verständlicher, aber ein
falscher Weg. Die Opposition muss vielmehr eine Sprache finden, die
das Land eint. Eine unangreifbare, neutrale Führungsfigur wäre
hilfreich. Die aus der Haft entlassene Julia Timoschenko ist das
nicht. Die charismatische Politikerin wird von einem Teil der
Bevölkerung so verehrt, wie sie vom anderen gehasst wird. Die Ukraine
mit ihrer europäischen Kultur und ihrer russischen Prägung braucht
jetzt Zeit, um ihren eigenen Weg zu finden und so zu einem
Brückenstaat zwischen Ost und West zu werden. Koalitionen müssen auch
einmal scheitern dürfen. Nur so kann sich eine eigene politische
Kultur entwickeln. Wenn das gelingt, ist das der Beweis, dass 25
Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs das Blockdenken endlich
überwunden ist.



Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

513440

weitere Artikel:
  • Westdeutsche Zeitung: Ukraine braucht die nationale Versöhnung = von Anja Clemens-Smicek Düsseldorf (ots) - Auf den Freudentaumel nach der Entmachtung von Viktor Janukowitsch könnte schnell die Ernüchterung folgen. Das Volk hat sich zwar seines korrupt und autoritär herrschenden Regimes entledigt, doch die eigentliche Revolution steht noch bevor. Die Ukraine liegt wirtschaftlich am Boden, und die Staatspleite droht, weil Moskau nach den jüngsten Entwicklungen den Geldhahn zugedreht hat. Was das Land nach dem Blutvergießen auf dem Maidan aber erst einmal am dringendsten braucht, ist eine nationale Versöhnung. Niemand mehr...

  • WAZ: Das NRW-Wissenschaftsministerium spielt ein schmutziges Spiel - Kommentar von Ulrich Reitz Essen (ots) - Aus dem nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerium heraus wird nicht nur ein seltsames, sondern ein schmutziges Spiel gespielt. Uni-Rektoren sprechen von Schlammschlacht. Das Durchstechen der Rektoren-Gehälter ist eine echte Intrige. Deren Ziel: Das neue Hochschulgesetz durchzudrücken, mit dem die NRW-Unis aus ihrer Freiheit wieder an die Kette des Ministeriums und seiner augenscheinlich machtgierigen Bürokraten gelegt werden sollen. Mit höheren Gehältern lässt sich vortrefflich Sozialneid schüren. Motto: mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Ukraine Bielefeld (ots) - Viktor Janukowitsch vom Hof gejagt, Julia Timoschenko direkt aus dem Straflager auf die Bühne des Maidan geschoben: Der von einem Teil des ukrainischen Volkes erzwungene Machtwechsel lässt an Deutlichkeit nichts vermissen. Gänsehaut bei den Beobachtern aus der Ferne; tiefe Ergriffenheit bei denen, die diesen Sieg errungen haben; Mittun hoffentlich auch in den Landesteilen, die immer noch mehr an Russland als an Europa glauben. Dabei ist noch nichts sicher in Kiew. Vieles geht sogar entschieden zu schnell. Bloß mehr...

  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den Olympischen Winterspielen Bielefeld (ots) - Endlich hat ein Politiker mal Klartext gesprochen. Klasse statt Masse brauchen wir, Olympia »ist Leistungssport und kein Breitensport - und wir reden nicht über Nächstenliebe«, erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Na dann wissen die Hochleistungssportler, die sich Jahrzehnte quälen, ohne dabei jahrelang einen müden Euro aus dem Staatssäckel zu bekommen, das jetzt endlich auch. Viele aus dem deutschen Team werden sich gedacht haben: Klasse statt Masse täte Deutschland auch auf Ministerstühlen gut. Zu mehr...

  • Schwäbische Zeitung: Mut machen die Begegnungen Ravensburg (ots) - Was können Olympische Spiele? Die Welt heilen? Nein, muss die Antwort auch - und gerade - nach Sotschi heißen: Können sie nicht. Zu lange, zu sehr gibt es Abhängigkeiten. Der Handel diesmal: Wladimir Putin sonnt sich in der Strahlkraft der fünf Ringe, Olympia profitiert von einer Sportstätten-Infrastruktur, die Ihresgleichen sucht. Vorteil Athlet! Kosten? Gigantomanie? Menschenrechtsverletzungen? Nachhaltigkeit? Sache des Gastgeberlandes. Thomas Bach, der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht