(Registrieren)

Mehr Westfirmen profitierten von DDR-Zwangsarbeit politischer Häftlinge/ Nach Ikea jetzt auch Aldi und Volkswagen betroffen / "Report Mainz", heute, 14.1.2014, um 21.45 Uhr im Ersten

Geschrieben am 14-01-2014

Mainz (ots) - Sehr viel mehr westdeutsche Firmen als bisher
bekannt profitierten von der Zwangsarbeit politischer Häftlinge in
der DDR. Das berichtet das ARD-Politikmagazin "Report Mainz", heute,
14.1.2014, 21.45 Uhr, im Ersten, unter Berufung auf eine noch
unveröffentlichte Studie der Behörde des Bundesbeauftragten für die
Stasi-Unterlagen (BStU). Danach ließen zahlreiche BRD-Firmen aus der
Konsumbranche, aus der Möbelindustrie, Versandhäuser, Warenhäuser,
aber auch Unternehmen aus der Auto- und Stahlindustrie Waren oder
Warenbestandteile vor allem während der Ära Honecker in den 70er und
80er Jahren billig in DDR-Betrieben produzieren, die auch Häftlinge
zur Arbeit einsetzten. Das ist das Ergebnis eines einjährigen
Forschungsprojekts der Stasi-Unterlagenbehörde, für das
BStU-Historiker Tobias Wunschik Aktenbestände der Stasi sowie aus dem
Bundesarchiv und den Landesarchiven ausgewertet hat. Seine Studie mit
dem Titel "Knastware für den Klassenfeind. Häftlingsarbeit in der
DDR, der Ost-West-Handel und die Staatssicherheit (1970-1989)" liegt
"Report Mainz" vor.

Der Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, erklärte
im Interview mit "Report Mainz": "Das Forschungsprojekt hat gezeigt:
Ikea war nur die Spitze des Eisberges. Es ist in der Studie deutlich
geworden, dass sehr viel mehr Unternehmen als bis jetzt bekannt
waren, in diesen Handel mit Waren, die durch Häftlinge in der DDR
gefertigt worden sind, beteiligt waren." Historiker Tobias Wunschik
sagte: "Es gab viele westliche Unternehmen, die dick im DDR-Geschäft
waren. Die DDR war aus unternehmerischer Sicht ein Billiglohnland.
Noch dazu geografisch nah und ohne Sprachhürden zu bespielen. Mehrere
hundert westliche Firmen waren im Ost-West-Handel aktiv, viele haben
dabei Waren aus der DDR bezogen, und in sehr viele dieser Waren war
Häftlingsarbeit eingeflossen. Es lässt sich aus Teilzahlen ungefähr
abschätzen, dass jährlich mindestens 200 Millionen DM mit Waren
umgesetzt wurden, die allein auf Häftlingsarbeit beruhten."

Aus den Stasi-Akten geht hervor, dass auch Deutschlands führender
Discounter Aldi Waren von einem DDR-Betrieb bezog, der Häftlinge zur
Arbeit einsetzte. Es handelte sich um den VEB Esda Thalheim, der
Strumpfhosen produzierte. Hier waren auch weibliche Gefangene des
berüchtigten DDR-Frauenzuchthauses Hoheneck zur Zwangsarbeit
eingesetzt. Auf "Report Mainz"-Anfrage bestätigten Aldi Nord und Aldi
Süd jetzt Geschäftsbeziehungen über DDR-Außenhandelsbetriebe mit dem
VEB Strumpfkombinat Esda Thalheim. Weder damalige noch heutige
Mitarbeiter hätten jedoch Kenntnis davon gehabt, dass
Häftlingsarbeiterinnen des Gefängnisses Hoheneck an der Produktion
beteiligt gewesen seien. "Wir bedauern und verurteilen aufs Schärfste
die in der ehemaligen DDR offenbar übliche Praxis, politische
Häftlinge und Strafgefangene unter Zwang für die Produktion von Waren
einzusetzen", heißt es in der Stellungnahme von Aldi Nord. Ähnlich
äußerte sich auch Aldi Süd.

Außerdem gibt es jetzt erste Belege, dass auch der
Volkswagen-Konzern im Zusammenhang mit DDR-Zwangsarbeit von
Häftlingen betroffen ist. Auf Anfrage von "Report Mainz" bestätigte
VW, im Zuge von Kompensationsgeschäften Lampen, Abdeckkappen,
Radschrauben oder Nebelscheinwerfer und Nebelschlussleuchten vom
DDR-Betrieb VEB Kombinat Fahrzeugelektrik Ruhla erhalten zu haben.
Dieses sei mit der Herstellung von Rundscheinwerfern für den Golf und
den Transporter sowie von Nebelscheinwerfern und -schlussleuchten,
aber auch von Scheibenwischerpumpen von einem DDR-Handelsunternehmen
beauftragt gewesen. Im DDR-Betrieb VEB Fahrzeugelektrik Ruhla waren
nach DDR-Dokumenten auch Gefangene zur Arbeit eingesetzt. VW erklärte
dazu auf Anfrage von "Report Mainz": "Volkswagen war und ist weder
bekannt, in welchem Betriebsteil des Kombinats welches Produkt
gefertigt wurde, noch bestehen und bestanden Kenntnisse darüber, dass
möglicherweise Häftlinge in DDR-Betrieben für Lieferungen an
Volkswagen mitgearbeitet haben. Volkswagen hat den Einsatz von
Häftlingen in DDR-Betrieben weder veranlasst noch wissentlich
gebilligt oder gar davon profitiert."

Auch wenn die Geschäftsbeziehungen der westdeutschen Firmen mit
der DDR meist über Außenhandelsbetriebe abliefen und die DDR den
Einsatz von Häftlingen geheim zu halten versuchte, sieht Historiker
Tobias Wunschik durchaus eine Verantwortung bei den Unternehmen: "Man
ging eben nicht bis in die Betriebe und ließ sich die ganze
Produktionsstrecke zeigen. Das wäre ja möglich gewesen. Die DDR war
derart erpicht auf Devisen, dass gerade große Abnehmer eben auch eine
bestimmte Macht gehabt hätten, wenn man wirklich daran interessiert
gewesen wäre." Der Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen, Roland
Jahn, erklärte: "Wer sich mit der Diktatur eingelassen hat, Geschäfte
gemacht hat, der konnte nie sicher sein, unter welchen Bedingungen
die Produkte gefertigt worden sind." Im Interview mit "Report Mainz"
forderte Jahn die Unternehmen auf, ihre Archive zu öffnen und die
weitere Aufklärung finanziell zu unterstützen. "Die westdeutschen
Firmen sollten mehr beitragen zur Aufklärung, damit Wiedergutmachung
geleistet werden kann. All das muss im Detail aufgeklärt werden,
damit auch dann Firmen in Verantwortung genommen werden können,
angemahnt werden können, dass sie sich beteiligen an Bereitstellung
auch von Finanzen. Man könnte sich einen Fonds vorstellen, der hier
dafür sorgt, dass den Menschen Wiedergutmachung geschieht."

Weitere Informationen unter SWR.de/report. Zitate gegen
Quellenangabe "Report Mainz" frei. Fragen bitte an "Report Mainz",
Tel. 06131/929-33351.


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

506104

weitere Artikel:
  • Gauland: Bedürfnisse der Soldaten Ernst nehmen / Der stellvertretende Sprecher der Alternative für Deutschland, Alexander Gauland, zeigt sich besorgt über die aktuelle Entwicklung in der Bundeswehr Berlin (ots) - Immer mehr Soldaten kehren der Bundeswehr den Rücken. Die Zahl der Anträge auf Vorruhestand ist derzeit auf Rekordniveau. Das ist nicht weiter verwunderlich angesichts der gravierenden Versäumnisse der beiden letzten Verteidigungsminister in Sachen Familienfreundlichkeit der Bundeswehr. Diese haben die familiären Bedürfnisse ihrer Soldaten schlichtweg ignoriert. Was in der freien Wirtschaft längst zu den Minimalanforderungen für Unternehmen gehört, fehlt bei der Truppe nach wie vor: Familienfreundliche Versetzungen, mehr...

  • SolidarSolar: Grüner Strom Label e.V. startet Förderprogramm für gemeinwohlorientierte Einrichtungen Bonn (ots) - 200.000 Euro stehen für Solaranlagen und damit zusammenhängende Speicher, Energieeffizienz- und kommunikative Maßnahmen bereit Zum Jahresbeginn startet der Ökostromzertifizierer Grüner Strom Label e.V. (GSL) das Förderprogramm SolidarSolar für Photovoltaikanlagen auf Gebäuden. Das Programm ist mit 200.000 Euro ausgestattet und richtet sich an gemeinnützige Vereine sowie Einrichtungen aus dem sozialen, karitativen, bildungspolitischen oder kirchlichen Bereich. Auch kommunale und genossenschaftliche Baugesellschaften mehr...

  • phoenix-LIVE: Statement von Bundesinnenminister de Maizière nach Treffen mit Sicherheitsbehörden - heute, Dienstag, 14. Januar 2014, 14.30 Uhr Bonn (ots) - phoenix überträgt am heutigen Dienstag, 14. Januar 2014, ab 14.30 Uhr LIVE das Statement von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nach dessen Treffen mit Leitern deutscher Sicherheitsbehörden zur Sicherheitslage und künftigen Arbeitsschwerpunkten. Bei diesem Gespräch dürfte auch der Skandal über Abhöraktionen des US-Geheimdienstes NSA und Folgerungen daraus zur Sprache kommen. Medienberichten zufolge droht das Geheimdienstabkommen zwischen Deutschland und den USA zu scheitern. An dem Treffen in Berlin nehmen mehr...

  • phoenix-LIVE: Regierungsbefragung im Bundestag - Mittwoch, 15. Januar 2014, 13.00 Uhr Bonn (ots) - phoenix überträgt am Mittwoch, 15. Januar 2014, ab 13.00 Uhr LIVE die Regierungsbefragung im Deutschen Bundestag. Pressekontakt: phoenix-Kommunikation Pressestelle Telefon: 0228 / 9584 192 Fax: 0228 / 9584 198 presse@phoenix.de mehr...

  • FREIE WÄHLER: Das Verhalten der Amerikaner schadet der Freundschaft Berlin (ots) - Mit Befremden haben die FREIEN WÄHLER Medienberichte zur Kenntnis genommen, wonach sich die NSA weigert, ein Geheimdienstabkommen konstruktiv zu gestalten. Unter anderem werde verweigert, die Telefone der deutschen Regierung nicht mehr abhören zu dürfen. FREIE WÄHLER Bundesvorsitzender Hubert Aiwanger: "Ja, wo leben wir denn?! Das schadet der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Kanzlerin Merkel sollte die kürzlich von Obama ausgesprochene Einladung in die USA nunmehr absagen, um ihr Missfallen auszudrücken." mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht