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ÄRZTE OHNE GRENZEN verlässt Somalia / Missbrauch und Manipulation humanitärer Hilfe machen Weiterarbeit unmöglich

Geschrieben am 14-08-2013

Nairobi/Berlin (ots) - Nach 22 Jahren medizinischer Nothilfe im
Land schließt ÄRZTE OHNE GRENZEN sämtliche Projekte in Somalia. Das
teilte die internationale medizinische Hilfsorganisation am Mittwoch
in Nairobi mit. Grund für den Rückzug sind zahlreiche äußerst
gewalttätige Angriffe auf Mitarbeiter bis hin zu Entführungen und
Ermordungen und ein Umfeld, in dem bewaffnete Gruppen und zivile
Autoritäten solche Angriffe zunehmend unterstützen, tolerieren oder
stillschweigend dulden. Bislang arbeiteten mehr als 1.500 Mitarbeiter
von ÄRZTE OHNE GRENZEN in Somalia. Sie versorgten jährlich
Hunderttausende Menschen.

"Indem diese bewaffneten Gruppen Mitarbeiter von
Hilfsorganisationen töten, angreifen oder entführen, haben sie und
die zivilen Autoritäten, die deren Vorgehen tolerieren, das Schicksal
unzähliger Menschen in Somalia besiegelt", sagte Dr. Unni Karunakara,
internationaler Präsident von ÄRZTE OHNE GRENZEN. "Wir beenden unsere
Programme in Somalia, weil die Situation im Land zu einem unhaltbaren
Ungleichgewicht geführt hat zwischen den Risiken, die unsere
Mitarbeiter eingehen müssen, und unseren Möglichkeiten, der
somalischen Bevölkerung zu helfen."

Zu den jüngsten Vorfällen in Somalia zählen die brutale Tötung
zweier Mitarbeiter in Mogadischu im Dezember 2011, deren verurteilter
Mörder anschließend vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, sowie die
gewaltsame Entführung von zwei Mitarbeiterinnen aus dem
Flüchtlingslager Dadaab in Kenia. Die Entführung endete erst
vergangenen Monat nach 21-monatiger Geiselhaft in Süd- und
Zentral-Somalia. Seit 1991 erlebte die Organisation Dutzende Angriffe
auf Mitarbeiter, Krankenwagen und medizinische Einrichtungen. Seit
1991 wurden insgesamt 16 Mitarbeiter getötet. In einigen Fällen waren
dieselben Akteure, mit denen ÄRZTE OHNE GRENZEN minimale
Sicherheitsgarantien für die medizinische, humanitäre Arbeit
verhandeln musste, direkt an Übergriffen auf Projektmitarbeiter
beteiligt oder haben diese stillschweigend gebilligt. Dies war
insbesondere, aber nicht ausschließlich, in Süd- und Zentral-Somalia
der Fall.

ÄRZTE OHNE GRENZEN war seit 1991 in Somalia aktiv und verhandelte
in all den Jahren mit bewaffneten Akteuren und Behörden aller Seiten.
Die gewaltige humanitäre Notlage in Somalia haben die Organisation
und ihre Mitarbeiter dazu bewegt, beispiellose Risiken in Kauf zu
nehmen. Diese wurden zu einem großen Teil von den somalischen
Mitarbeitern getragen. Die Organisation ging zudem auch große
Kompromisse in Bezug auf ihre Prinzipien der Unabhängigkeit und
Unparteilichkeit ein.

In Somalia zu arbeiten, bedeutete für ÄRZTE OHNE GRENZEN auch, auf
bewaffnete Sicherheitsleute zurückgreifen zu müssen. Dies tut die
Organisation in keinem anderen Land. Zudem waren die Möglichkeiten,
die Bedürfnisse der Bevölkerung unabhängig zu untersuchen und
entsprechend medizinische Hilfe zu leisten, stark eingeschränkt.

"Letztendlich zahlt die Zivilbevölkerung in Somalia den höchsten
Preis", sagte Karunakara. "Ein Großteil der Somalier hat das Land
noch nie ohne Krieg oder Hungersnot erlebt. Die Bevölkerung erhält
ohnehin weit weniger Hilfe als notwendig. Durch die Angriffe
bewaffneter Gruppen auf humanitäre Hilfsorganisationen, die von den
zivilen Repräsentanten akzeptiert werden, verliert die somalische
Bevölkerung nun noch den letzten Zugang zu medizinischer Versorgung."

Humanitäre Arbeit erfordert von allen Konfliktparteien und
Gesellschaftsgruppen ein Mindestmaß an Akzeptanz. Die Bereitstellung
medizinischer Hilfe muss erlaubt und die Unabhängigkeit und
Unparteilichkeit humanitärer Organisationen müssen akzeptiert werden.
Darüber hinaus müssen alle Parteien bereit und fähig sein,
ausgehandelte minimale Sicherheitsgarantien für Patienten und
Mitarbeiter aufrecht zu erhalten. Diese Bereitschaft ist in
Konfliktgebieten immer schwach ausgeprägt und in Somalia heute nicht
mehr gegeben.

ÄRZTE OHNE GRENZEN wird alle medizinischen Programme in Somalia
schließen. Das betrifft unter anderem Projekte in der Hauptstadt
Mogadischu und den Vororten Afgooye und Daynile, in Kismayo, Balad,
Dinsor, Galkayo, Jilib, Jowhar, Marere und Burao. Bislang arbeiteten
mehr als 1.500 Mitarbeiter der Organisation im Land. Sie boten
kostenlose medizinische Grundversorgung an, behandelten
mangelernährte Kinder und leisteten Schwangerenvorsorge. Sie führten
chirurgische Eingriffe und Impfkampagnen durch, bekämpften Epidemien
und stellten sauberes Wasser und Hilfsgüter bereit. Allein im Jahr
2012 haben die Teams mehr als 624.000 medizinische Behandlungen
durchgeführt, 41.100 Patienten in Krankenhäuser aufgenommen, 30.090
mangelernährte Kinder behandelt, 58.620 Menschen geimpft und die
Geburt von 7.300 Kindern begleitet.

Durch die 22-jährige Tätigkeit in Somalia sind die Mitarbeiter von
ÄRZTE OHNE GRENZEN sehr vertraut mit der Not der somalischen
Bevölkerung. Die Organisation setzt sich weiterhin dafür ein, dass
den enormen Bedürfnissen durch medizinische und humanitäre Hilfe
begegnet wird. Doch alle Akteure in Somalia müssen durch ihr Handeln
beweisen, dass sie bereit und fähig sind, humanitäre Hilfe für die
somalische Bevölkerung zu ermöglichen und Sicherheitsbedingungen für
die humanitären Helfer, die ihr Leben dafür riskieren, zu schaffen.



Pressekontakt:
Interviews mit Frank Dörner, Geschäftsführer von ÄRZTE OHNE GRENZEN
in Deutschland, sind möglich.

Fotos aus Somalia können zur Verfügung gestellt werden. Kontakt:
Barbara Sigge, 030 700 130 234, barbara.sigge@berlin.msf.org

Video-Footage aus Somalia kann unter folgendem Link heruntergeladen
werden:
ftp://ForThePress:Canard25@ftp.msf.be/Somalia_withdrawal_Aug_2013

In einer Telefon-Pressekonferenz heute um 15:30 Uhr stehen Dr. Unni
Karunakara, internationaler Präsident von ÄRZTE OHNE GRENZEN, und
Arjan Hehenkamp, Geschäftsführer des Operationalen Zentrums Amsterdam
von ÄRZTE OHNE GRENZEN, für Fragen zur Verfügung (auf Englisch).
Einwahl: +1-703-639-1123

Pressekontakt: Svenja Kühnel / Stefan Dold, 030 700 130 230/239;
svenja.kuehnel@berlin.msf.org


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