| | | Geschrieben am 15-09-2011 Landeszeitung Lüneburg: Wir verspielen Europas Vertrauen / Jörg Schönbohm (CDU) teilt Kohl-Kritik an Merkels Euro-Kurs und beklagt Mangel an konservativen Galionsfiguren
 | 
 
 Lüneburg (ots) - In der Euro-Krise mehrt sich die Kritik am
 Führungsstil der Kanzlerin. Jörg Schönbohm vom konservativen Flügel
 der CDU meint, dass der 2002 eingeleitete Modernisierungskurs
 gescheitert ist: "Glaubwürdige, konservative Köpfe haben die Bühne
 verlassen. Die Kurswechsel in Sachen Atom, Wehrpflicht und Euro
 verspielen das Vertrauen der Bürger wie der Nachbarn."
 
 Welche Alleinstellungsmerkmale hat die CDU?
 
 Jörg Schönbohm: Die CDU hat sich für die deutsche Einheit
 eingesetzt, als andere dagegen waren. Und hat die deutsche Einheit
 maßgeblich gestaltet. Und sie war die Partei, die unter Konrad
 Adenauer praktisch unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg begann,
 Europa zu gestalten. Sie versuchte erfolgreich, ein Europa zu
 versöhnen und zusammenzuführen, das aufgrund der Schrecken des
 Zweiten, aber auch des Ersten Weltkriegs gespalten war. Und die CDU
 war die Partei, die die soziale Marktwirtschaft gegen den erbitterten
 Widerstand der Sozialdemokratie eingeführt hat. Die CDU hielt die
 Stellung, wenn die Zeiten hart waren, etwa bei der
 Nachrüstungsdebatte -- der unmittelbaren Vorgeschichte der Einheit.
 Dadurch, dass sich die SPD von ihren Wurzeln entfernt und auf die CDU
 zubewegt hat, ist der Unterschied manchmal nicht mehr deutlich
 merkbar. Aber die CDU ist bei ihrem Kurs geblieben. Die aktuellen
 Irritationen wurden durch die Entscheidung für eine Energiewende
 ausgelöst. Dieser Kurswechsel kann zwar gut begründet werden, doch
 das wurde nicht getan. Hier muss aufgearbeitet werden. Ähnlich ist es
 mit der Abschaffung der Wehrpflicht. Ich war selbst immer einer ihrer
 Befürworter, doch mittlerweile gibt es keinen Grund mehr für sie.
 Deutschland ist nur von Freunden und Alliierten umgeben. Aber wie die
 Wehrpflicht außer Dienst gesetzt wurde, haben viele nicht verstanden.
 Letzter Punkt: Die CDU hat in der Familienpolitik lange Zeit ein
 mäanderndes Bild abgegeben. Jetzt hat sie ihre Klarheit
 zurückgewonnen: Es geht darum, die Familien besonders zu fördern.
 
 Erwin Teufel beklagt fehlendes Profil der CDU, Helmut Kohl
 vermisst einen Kompass. Erleben wir nur einen Aufstand der alten
 Kämpen?
 
 Schönbohm: Nein. Noch vor Teufel hatte ich davor gewarnt, dass wir
 unser Profil verspielen. Unser Hauptproblem ist: Wir haben zu wenig
 Persönlichkeiten, die die Facetten unserer Volkspartei überzeugend
 vertreten können. Was Helmut Kohl über die Europapolitik gesagt hat,
 ist leider richtig. Derzeit reduzieren wir Europa auf
 Finanzausgleich, auf technokratische Fragen. Was wir dabei
 verspielen, ist das Vertrauen, das uns unsere Nachbarn schenkten.
 Dieselben Staaten, die wir im Zweiten Weltkrieg überfallen haben,
 vertrauten Deutschland mehr als viele unserer Intellektuellen und
 viele unserer Politiker, die vor 1989 meinten, Deutschland hätte das
 Recht auf die Einheit verloren. Weil unsere Nachbarn uns ermöglicht
 haben, in einem wiedervereinigten Land zu leben, müssen wir als die
 größte Volkswirtschaft des Kontinents größere Verantwortung für
 Europa annehmen. Man muss sich das unsinnige Blutvergießen in
 Mitteleuropa im 20. Jahrhundert vor Augen halten, um zu verstehen,
 welch historischer Einschnitt die europäische Einigung darstellt. Ich
 würde mir wünschen, dass sich der Bundespräsident oder die
 Bundeskanzlerin dieser grundsätzlichen Bedeutung Europas in Reden
 verstärkt widmen würden.
 
 Ist das Unbehagen an dem Aus-dem-Blick-verlieren zentraler Fragen
 in der CDU verbreitet?
 
 Schönbohm: Das größere Unbehagen besteht in der CDU darüber, dass
 die Partei nicht mehr in drei Sätzen sagen kann, wofür sie steht. Im
 Kalten Krieg war das noch anders: Gegen die Sowjets, für die
 Westbindung, für die Freiheit West-Berlins und für die Option auf die
 deutsche Einheit. Dazu mangelt es an harten politischen
 Auseinandersetzungen, in denen dem Bürger klar gemacht wird, worin
 sich die Parteien eigentlich unterscheiden. Die Zeiten sind eben
 komplizierter.
 
 Verspielt Angela Merkel das konservative Erbe der CDU?
 
 Schönbohm: Frau Merkel hat zwar die Fähigkeit zur harten
 Auseinandersetzung bewiesen, aber immer betont, dass sie nicht
 konservativ sei. Zwar hatte sie mir -- als ich noch im Präsidium der
 CDU saß -- zugesichert, dass sie das konservative Tafelsilber der
 Partei putzen werde, während ich es bewache. Doch es bleibt bei der
 Feststellung: Es mangelt der CDU an Persönlichkeiten, die das
 konservative Element glaubhaft vertreten. Die Abgänge von Volker
 Rühe, Friedrich Merz und Roland Koch hat die Partei nicht verkraftet.
 Dass sie gingen, liegt sicher auch an der Parteivorsitzenden.
 Zumindest kann ich nicht erkennen, dass man die drei halten wollte.
 
 Ist bei einer solchen Personalpolitik der Spagat zwischen
 konservativ und liberal zu halten?
 
 Schönbohm: Nein, den kann man so nicht halten. In der Ära Kohl
 funktionierte das anders: Norbert Blüm verkörperte den sozialen
 Flügel, Gerhard Stoltenberg den wirtschaftlichen sowie konservativen
 und Manfred Wörner beziehungsweise Rühe standen für die Westbindung.
 Wer steht denn heute für die Außen- oder Europapolitik der CDU?
 
 Verliert das "C" im Parteinamen an Bindekraft?
 
 Schönbohm: Diese Diskussion haben wir im Zusammenhang mit der
 Präimplantationsdiagnostik geführt. Doch diese moralische Frage ist
 so komplex, dass ich mir nicht zutraue, zu entscheiden, diese Haltung
 ist christlich und diese nicht. Unzweifelhaft aber ist, dass die CDU
 das christliche Menschenbild pflegt, das von der Unverwechselbarkeit
 eines jeden Individuums ausgeht und von dem Recht eines jeden
 Einzelnen, sein eigenes Glück zu gewinnen. Wohingegen etwa SPD und
 Linkspartei den Menschen starke Hinweise geben wollen, wie sie ihr
 Glück verwirklichen können. Um den christlichen Charakter der CDU
 mache ich mir keine Sorgen. Umgekehrt machte es mir aber meine
 evangelische Kirche durch ihr Politisieren oft schwer. Sie sollte
 sich daran erinnern, dass Glaubensfragen mehr sind als nur soziale
 Fragen. Die Antwort auf die zunehmende Attraktivität des Islam für
 viele Menschen etwa muss von der Kirche kommen.
 
 Die bürgerliche Koalition schafft Wehrpflicht und Atomkraft ab;
 Rot-Grün leistete mit den Steuersenkungen von 2000 den größten
 Beitrag zum Thema "Mehr Netto vom Brutto". Verheddern sich
 konservative Wähler bei so viel Unübersichtlichkeit?
 
 Schönbohm: Angela Merkel hat mal zu Helmut Kohl gesagt: "Neue
 Zeiten erfordern neue Antworten." Wichtiger, als neue Antworten zu
 geben, muss aber sein, sachgerechte Lösungen anzubieten. Um dorthin
 zu kommen, bedarf es aber einer sauberen Analyse. Was nicht sein
 kann, ist, die Alternativlosigkeit des eigenen Kurses zu behaupten,
 um sich der Notwendigkeit zu entheben, für die eigene Position zu
 werben. Nach meinem Verständnis ist es geradezu die Aufgabe von
 Politik, Alternativen aufzuzeigen, Vor- und Nachteile abzuwägen,
 damit die Bürger die Wahl haben. Ein Desaster war der Ablauf der
 Energiewende. Noch vor einem Jahr behauptete man, die Atomkraftwerke
 seien sicher. Dann wurde der Ausstieg beschlossen, aber nicht mehr
 erklärt. So verspielt man Vertrauen.
 
 Sind diese handwerklichen Fehler Folge des Versuchs, Wechselwähler
 zu gewinnen?
 
 Schönbohm: Das war meine grundsätzliche Kritik, als die
 entsprechende Programmatik 2002 geschrieben wurde. Damals wie heute
 gilt: Wer Wechselwähler gewinnen will, muss sich erstmal der
 Stammwähler sicher sein. Derzeit ist es aber so, dass die Stammwähler
 den Urnen fern bleiben und die Wechselwähler ihr Kreuz woanders
 machen, weil wir nicht grüner sein können als die Grünen und nicht
 linker als die Linke. Damit ist die Strategie, die Frau Merkel
 ausgegeben hatte, erkennbar nicht aufgegangen. Ich sehe mit Sorgen
 den Wahlen von 2014 entgegen.
 
 Müssen sich SPD und Union auf Dauer damit abfinden, Volksparteien
 a.D. zu sein? Die Sozialmilieus, aus denen sie bisher ihre
 Stammwähler rekrutierten, trocknen aus.
 
 Schönbohm: Das Wesen einer Volkspartei ist, milieu-übergreifend
 Menschen an sich binden zu können. Dafür braucht man verschiedene
 Flügel und Personen, die sie repräsentieren. Zugleich müssen diese
 Protagonisten aber deutlich machen, dass sie etwas Überwölbendes
 verbindet.
 
 Nochmals nachgehakt: Sind die Zeiten struktureller Mehrheiten
 passé?
 
 Schönbohm: Ja. Und weil es die klassischen bürgerlichen oder
 Arbeitermilieus nicht mehr gibt, werden wir häufiger erleben, dass
 Wählerstimmungen rasend schnell kippen. 2004 haben wir das in
 Brandenburg und Sachsen erlebt, als wir innerhalb von sechs Wochen 15
 Prozentpunkte verloren haben. Wenn Wählermassen so leicht so schnell
 zu beeinflussen sind, ist das kein gutes Zeichen für eine Demokratie.
 In schwierigen Zeiten kommt es noch stärker auf die Glaubwürdigkeit
 der verantwortlichen Personen an. Und die ist verknüpft mit der
 Lebensleistung. Würden die Bürger von dem jeweiligen Politiker einen
 Gebrauchtwagen kaufen? Die Antwort auf diese Frage bekommt mehr
 Gewicht in unsicheren Zeiten.
 
 Das Interview führte Joachim Zießler
 
 
 
 Pressekontakt:
 Landeszeitung Lüneburg
 Werner Kolbe
 Telefon: +49 (04131) 740-282
 werner.kolbe@landeszeitung.de
 
 Kontaktinformationen:
 
 Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
 Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.
 
 Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
 Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.
 
 Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
 Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.
 
 http://www.bankkaufmann.com/topics.html
 
 Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.
 
 @-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
 Schulstr. 18
 D-91245 Simmelsdorf
 
 E-Mail: media(at)at-symbol.de
 
 352612
 
 weitere Artikel:
 
 | 
WAZ: Steinmeier wirft FDP "Angstkampagne" vor Essen (ots) - SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat der  
FDP eine "Angstkampagne" um den Euro vorgeworfen. "Hauptsorge von  
FDP-Chef Philipp Rösler sind weder der Euro noch die Menschen. Er hat 
nur ein Ziel: Die FDP in Berlin über fünf Prozent zu bringen", sagte  
Steinmeier der WAZ-Mediengruppe. Auf diese Liberalen könne man in der 
Europapolitik nicht mehr zählen. Er könne es sich allerdings nicht  
vorstellen, "dass die Altvorderen wie Hans-Dietrich Genscher dem  
Treiben von FDP-Chef Philipp Rösler einfach nur zuschauen." Die Frage mehr...
 
Ostsee-Zeitung: Kommentar zum Besuch Sarkozys und Camerons in Libyen Rostock (ots) - Noch ehe der türkische Ministerpräsident Erdogan,  
der von einer islamischen Union träumt, in Tripolis eintreffen  
konnte, sind ihm gestern Frankreichs Präsident Sarkozy und  
Britanniens Premier Cameron zuvorgekommen. Zwei Männer, die  
wesentlich zum Sturz Gaddafis beitrugen, indem die Luftwaffe ihrer  
Länder die Bevölkerung schützte und zugleich den Rebellen den Weg in  
die Hauptstadt freibombte. Der Dank der Rebellen dürfte ihnen gewiss  
sein. Konzerne wie Total, Shell oder BP dürften künftig einen  
größeren Teil vom libyschen mehr...
 
Westdeutsche Zeitung: Die Proteste einiger Abgeordneter gegen den Papst sind peinlich =
Von Lothar Leuschen Düsseldorf (ots) - Ja, in Deutschland sind Staat und Kirche strikt 
voneinander getrennt. Das hat gute Gründe, ist über Generationen  
eingeübt und funktioniert reibungslos. Daran kann auch ein deutscher  
Papst nichts ändern. Es gibt auch überhaupt keine Anzeichen dafür,  
dass der ehemalige Kardinal Josef Ratzinger das nicht will. 
 
   Umso erstaunlicher sind die Reaktionen von Abgeordneten der SPD,  
der Grünen und vor allem der Linken auf die geplante Rede von  
Benedikt XVI. im Bundestag. Dass gut 100 Mandatsträger das Parlament  
verlassen mehr...
 
WAZ: Das Casino bleibt geöffnet
 - Kommentar von Thomas Wels Essen (ots) - Der Werteverlust gehört zu den erschreckenden wie  
entlarvenden Erkenntnissen dieser Finanzkrise: Milliarden, ach, was  
sind schon Milliarden? Euro-Retter aus der Politik, Zocker aus den  
Banken, sie haben die Maßstäbe geraubt: Ein 31-jähriger  
Investmentbanker hat in der Schweiz 1,5 Milliarden Euro verzockt. Der 
Franzose Kerviel hat es aufs Dreifache gebracht. Was soll also die  
Aufregung? Klar fragen wir uns drei Jahre nach der Lehman-Pleite, die 
uns hat alle in den Abgrund blicken lassen (Peer Steinbrück), ob denn 
da keiner mehr...
 
Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar 
Sehnsucht nach der Großen Koalition
Professionell regieren
ALEXANDRA JACOBSON, BERLIN Bielefeld (ots) - Bundeskanzlerin Angela Merkel ist wahrlich nicht 
zu beneiden. Europa ist wegen der Eurokrise am Schlingern und alle  
starren auf die Kanzlerin. Merkel hat sich nach vielen Windungen und  
Wendungen zu einem Pro-Europa-Kurs durchgerungen. Ihr Weg wird keine  
schnellen Erfolge bringen, weil es auf komplizierte Fragen nun mal  
keine simplen Antworten gibt. Aber Merkel hat zumindest die richtigen 
Ziele formuliert: Für den Euro wird gekämpft und alle 17 Länder in  
der Eurozone halten zusammen. Es ist ein Unglück, dass sich gerade mehr...
 
 | 
 | 
 | Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:
 
 LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre
 durchschnittliche Punktzahl: 0
 Stimmen: 0
 
 
 
 |