(Registrieren)

Landeszeitung Lüneburg: ,,Deutschland sendet das falsche Signal" -- Interview mit dem Strategieexperten Prof. Albert Stahel über Rüstungsgeschäfte

Geschrieben am 14-07-2011

Lüneburg (ots) - Patrouillenboote nach Angola, die neuesten
Leopard-2-Kampfpanzer nach Saudi-Arabien: Deutsche Rüstungsexporte
sorgen für Schlagzeilen. Besonders der Panzer-Deal mit dem
ultrakonservativen Königshaus in Riad ist umstritten. Waren es doch
saudische Panzer, die den Aufstand in Bahrain niederwalzten. Der
Schweizer Strategieexperte Prof. Albert Stahel kritisiert die
fehlende strategische Tiefe in der deutschen Außenpolitik.

Der nicht offziell bestätigte Panzer-Deal sorgt in Deutschland für
Aufregung. Aus der neutralen Schweiz betrachtet: Ist die Aufregung
gerechtfertigt?

Prof. Albert A. Stahel: Ja, das würde ich sagen. Mich wundert dies
zum ersten, weil die saudische Armee bis dato weitgehend mit
amerikanischem Material ausgerüstet ist. Von daher ist der Leopard 2
nicht gerade kompatibel. Zum zweiten erfolgt diese Waffenlieferung in
eine geopolitisch heiße Gegend. Das ist nicht das Signal, das aus
Europa kommen sollte.

Die Golf-Anrainer rüsten sich bei westlichen Waffenschmieden
massiv auf..

Prof. Stahel: Hintergrund ist die traditionelle Rivalität zwischen
Saudi-Arabien und Iran. Verschärfend wirkt sich der anstehende Abzug
der Amerikaner aus dem Irak aus. Die schiitische Bevölkerungsmehrheit
des Irak hegt freundschaftliche Gefühle gegenüber dem schiitischen
Iran. Von Riad ist dagegen eine Unterstützung aufständischer Sunniten
zu erwarten. Eine Waffenlieferung angesichts eines derartig
aufgeheizten politischen, religiösen und ethnischen Gegensatzes ist
nicht geeignet, die Lage zu beruhigen.

Droht ein Waffengang? Prof. Stahel: Nein, aber eine politische
Konfrontation, die eskalieren kann. Man darf auch nicht außer Acht
lassen, dass beide Akteure in Afghanistan gegensätzliche Interessen
verfolgen.

Wächst in Riad die Furcht vor einer Vormacht Iran am Golf, seit
die USA den Konkurrenten Irak aus dem Spiel genommen haben?

Prof. Stahel: Ja, wie damals der saudische König US-Präsident Bush
sagte: "Ihr habt den Irak dem Iran auf einem Silbertablett serviert."
Die Vorherrschaft der sunnitischen Minderheit unter Saddam Hussein
wurde abgelöst durch eine Herrschaft der schiitischen Mehrheit. Hinzu
kommt das Problem Syrien: Obwohl säkular, lehnt sich das Regime Assad
stark an Teheran an. Die Situation für Saudi-Arabien ist kompliziert.

Wird sie noch zusätzlich verkompliziert durch die Möglichkeit
eines israelischen Schlages gegen Irans Atomanlagen?

Prof. Stahel: Diese Option besteht. Wobei das iranische
Atomprogramm durch den eingeschleusten Stuxnet-Wurm offenbar
erheblich zurückgeworfen wurde. Derzeit steht ein solcher Schlag wohl
nicht kurzfristig bevor, er wird zudem in Israel kontrovers
diskutiert. Doch auch ohne diesen Konflikt ist die Lage explosiv.
Schon allein, weil das Gros der schwindenden Erdölvorräte der Welt
ebenso in dieser Region liegt wie Schifffahrtsrouten, die für den
Westen überlebenswichtig sind.

Steigern deutsche Kampfpanzer die bisher schwache Kampfkraft der
saudischen Armee so sehr, dass sie sich gegen Iran behaupten könnte?

Prof. Stahel: Ich würde den militärischen Wert nicht so hoch
veranschlagen. Aber da Waffen zur Schau gestellt werden, wirkt sich
die militärische Unterstützung durch Deutschland politisch aus.
Schlussendlich ist für Riad der Schutz durch die US-Luftmacht
entscheidend. Aber die direkte Einmischung einer
kontinentaleuropäischen Macht in der Region verändert die
psychologische Lage.

In der Vergangenheit waren deutsche Waffenexporte nach
Saudi-Arabien oft abgelehnt worden mit dem Verweis auf die besondere
deutsche Verantwortung für Israel...

Prof. Stahel: Für Israel ist diese Panzer-Lieferung nicht wirklich
von Bedeutung. Als militärische Groß- und Nuklearmacht sind sie kaum
verwundbar. Sie verfügen zudem über das einzige funktionierende
Abwehrsystem gegen Boden-Boden-Raketen.

Muss man von einer Zustimmung Jerusalems zum Panzer-Deal,
vielleicht sogar einer stillen Allianz von Saudi-Arabien und Israel
gegen Iran ausgehen?

Prof. Stahel: Es gibt seit längerem einen stillen Pakt zwischen
Israel und Saudi-Arabien, weil sie einen gemeinsamen Feind haben: die
Schiiten im Iran sowie in der Hisbollah, die vom Libanon aus
operiert.

Wäre Europa nicht besser beraten, das sich "demokratisierende"
Ägypten zum sunnitischen Prellbock gegen Teheran aufzubauen statt die
ultrakonservativen Saudis?

Prof. Stahel: Zunächst wäre vor allem europäische soft power
gefragt -- die Vorbildfunktion, die diplomatisch in die Waagschale
geworfen werden kann. Und dann müsste in der Tat vor allem Ägypten
gestützt werden, nicht in erster Linie wegen der Gefährdung durch den
Iran, sondern weil Ägypten der Schlüsselstaat der Region ist. Es wäre
sinnvoll, diesen Angelpunkt Arabiens mit allen Mitteln zu
unterstützen.

Sollte der Westen sogar auf die zurzeit unterdrückte iranische
Opposition setzen?

Prof. Stahel: Unbedingt. Diese Soft-Power-Karte sollte der Westen
spielen. Die gebildete Jugend Irans ist westlich orientiert. Sie
sollte nicht vernachlässigt werden. Schon gar nicht angesichts der
fehlenden Stabilität des Mullah-Regimes. Fehlende wirtschaftliche
Perspektiven und Machtkämpfe zwischen Theokraten und
Revolutionswächtern haben dazu geführt, dass das Regime das Volk
längst nicht mehr so allumfassend kontrolliert wie noch vor 15, 20
Jahren. Nur, wenn sich der Westen jetzt für die Opposition engagiert,
wäre er für den Fall gewappnet, dass das Regime implodiert.

Die Leo2-Panzer der neuesten Generation sollen sich laut SIPRI
besonders gut zur Einschüchterung Aufständischer eignen. Unterläuft
Deutschland seine eigenen Waffenexport-Standards?

Prof. Stahel: Kampfpanzer haben als Hauptwaffen moderner Kriege
ausgedient. Wichtiger sind heute Hubschrauber, Kampfjets und Drohnen.
Kampfpanzer sind heute Unterstützungswaffen und werden natürlich auch
eingesetzt zur Niederschlagung von Aufständen. Auch in diesem Sinne
setzt man ein falsches Signal.

Waffen an libysche Aufständische zu liefern, war für Berlin tabu.
Waffen für diejenigen, die den Aufstand in Bahrain niederwalzten,
sind dagegen ok....

Prof. Stahel: Das ist das Paradoxe. Ich verstehe diesen Kurs
nicht. Lange wurde der Irak als Gegengewicht zu Teheran aufgerüstet.
Mit bekanntem Ergebnis. Fehlt es westlicher Außenpolitik an
strategischer Tiefe? Prof. Stahel: Das ist das Merkwürdige.
Einerseits behauptet Berlin, Realpolitik zu betreiben, indem es den
strategischen Partner Saudi-Arabien unterstützt. Andererseits
betreibt man Wertepolitik. Strategisches Denken ist in der
Europäischen Union inexistent.

Der deutsche Außenminister ermunterte die ägyptischen
Aufständischen, verweigerte den libyschen Rebellen Hilfe und stützt
jetzt die Saudis. Wie bewerten sie Berlins Kurs während der
arabischen Rebellion?

Prof. Stahel: Diffus und unklar. Zugleich Aufständische zumindest
verbal und ein extrem rückwärtsgewandtes Regime real mit Waffen zu
unterstützen kann nur, wer keine Linie hat. So kann das deutsche
Engagement in Afghanistan unter anderem mit dem Einsatz für die
Rechte der Frau begründet werden und zugleich das Frauen
unterdrückende Regime in Riad hofiert werden. Das Interview führte
Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

342701

weitere Artikel:
  • Rheinische Post: Neues Risiko Stromausfall Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Reinhard Kowalewsky: Viele Jahre lang war die Stabilität von Deutschlands Stromnetzen mit die höchste der Welt, Stromausfälle wie immer wieder in den USA oder oft in Entwicklungsländern gab es fast nie. Der Stromausfall in Hannover zeigt, dass sich die Zeiten ändern können - und dass die Republik aufpassen muss. Wegen des Wegfalls von acht Kernkraftwerken muss mehr Strom importiert werden und es muss mehr Strom innerhalb des Landes hin und her transportiert werden. Je stärker regenerative mehr...

  • Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Abhörskandal in England Heuchlerisches Aufräumen JOCHEN WITTMANN, LONDON Bielefeld (ots) - Das Wort ist groß, aber es ist nichts weniger als eine Revolution, die Großbritannien zurzeit durchmacht. Der einflussreichste Pressezar des Landes musste kapitulieren. Rupert Murdoch sieht sich einer breiten Front von aufgebrachter Öffentlichkeit und entschlossenen Politikern gegenüber. Die Kosten bisher: Eine Zeitung wurde dichtgemacht und die geplante Übernahme der Fernsehkette BSkyB abgeblasen. Schlimmeres könnte folgen, wenn nachgewiesen werden kann, dass auch andere Zeitungen seines Imperiums kriminell gehandelt mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu NRW / Koalition / Bilanz Osnabrück (ots) - Von Mehrheit zu Mehrheit Ihre Arbeit wirkt weder besonders glanzvoll noch völlig blamabel, die rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen hangelt sich seit einem Jahr von Mehrheit zu Mehrheit. Relativ geräuschlos regiert Hannelore Kraft in Düsseldorf, und mitunter braucht sie die Hilfe der Linkspartei. Doch der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin gelang es durch ihren Kurs, wesentlich höhere Sympathiewerte als ihre Partei zu gewinnen. Inhaltlich hat sie vor allem viele Reformen der Regierung mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Afghanistan / Konflikte Osnabrück (ots) - Gefährliche Illusionen Die Schreckensnachrichten vom Hindukusch reißen nicht ab: Die Zahl der zivilen Opfer hat im ersten Halbjahr einen bitteren Rekord erreicht. Rund 1500 Männer, Frauen und Kinder wurden getötet. Für 80 Prozent der Toten machen die Vereinten Nationen die Taliban verantwortlich. Hier zeigt sich, dass die Fanatiker vor keiner Grausamkeit zurückschrecken. US-Präsident Obama muss sich angesichts der steigenden Zahl ziviler Opfer fragen lassen, wie er darauf kommt, dass sich die Sicherheitslage mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu USA / Finanzen Osnabrück (ots) - Bittere Lehren Wie peinlich und bitter für die USA: Ausgerechnet das kommunistische China drängt die Vereinigten Staaten zu verantwortungsvollen Beschlüssen in der Haushaltspolitik. Was ist nur los mit den einst so kraftstrotzenden und stolzen Amerikanern, dass sie sich öffentlich abmahnen lassen müssen? Die Rückschau fällt ernüchternd aus. Es ist noch gar nicht lange her, da haben die USA Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet, 60 Milliarden Dollar waren es im Jahr 1998. Heute sieht alles ganz anders aus. Allein mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht