| | | Geschrieben am 27-01-2011 Landeszeitung Lüneburg: Gewalt ist immer eine Möglichkeit - Sozialpsychologe Prof. Harald Welzer befürchtet Verteilungskriege um knappe Ressourcen als Folge des Klimawandels
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 Lüneburg (ots) - Klima macht Geschichte. Hannibals Elefanten
 erfroren nicht in den Alpen, weil sein Feldzug in eine Warmzeit fiel.
 Eine Kaltzeit mit Missernten und unterernährten Menschen erhöhte die
 tödliche Virulenz der Pest. Trotz aller Warnungen glauben viele
 Menschen, der Klimawandel könnte mit höheren Deichen und zusätzlichen
 Versicherungen abgewettert werden. Wie die Welt im Klimawandel
 tatsächlich aussehen wird, erläutert der Sozialpsychologe Prof.
 Harald Welzer im Interview.
 
 Eine Warmphase begünstigte den Aufstieg Roms, Missernten
 begünstigten Revolutionen. Wieso verharren die
 Industriegesellschaften in dem Irrglauben, die Klimaerwärmung ließe
 sie ungeschoren?
 
 Prof. Harald Welzer: Weil man erstens an dem Zustand hängt, den
 man kennt. Man kann sich nicht vorstellen, dass die gewohnten
 Bedingungen sich fundamental ändern. Und zweitens, weil der
 Klimawandel für die Sinneserfahrung nicht unmittelbar erschließbar
 ist.
 
 Wie werden kapitalistische Gesellschaften reagieren, wenn der
 Klimawandel ihnen das Versprechen ewigen Fortschritts nimmt?
 
 Prof. Welzer: Hier ist die Futur-Form gar nicht angebracht. Wir
 können ja derzeit sehen, wie sie reagieren: nämlich im Fortschreiben
 ihres business as usual. Die Zulassungszahlen bei den SUV, den
 schlimmsten Umweltverbrauchern unter den Autos, sind aktuell in
 Deutschland um 20,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen.
 Imposante Wachstumsraten feiern auch die energieintensiven
 Industriebranchen. Und die Verbraucher scheint das nicht sonderlich
 zu stören, sonst würden sie klimaschädliche Produkte nicht kaufen.
 Insofern reagieren kapitalistische Gesellschaften gar nicht oder nur
 sehr begrenzt. Erneuerbare Energien werden zwar gefördert, ebenso
 Energiesparen, aber in Richtung einer grundlegenden Änderung von
 Lebensstilen und Ressourcenverbrauch ändert sich nichts.
 
 Im Treibhaus Erde zählt Afrika zu den Verlierern. Sind die
 Flüchtlingstragödien im Mittelmeer nur Vorboten großer
 Wanderungsbewegungen?
 
 Prof. Welzer: Ganz sicher, wobei man sich davor hüten muss, dies
 zu quantifizieren. Es gibt keine belastbaren Zahlen über das
 Anwachsen der Flüchtlingszahlen. Einfach hochrechnen lassen sich die
 aktuellen Zahlen jedenfalls nicht, weil man weder weiß, wie die
 Menschen auf Wüstenbildung und Extremwetter reagieren noch
 einschätzen kann, zu welchen Gegenmaßnahmen die Länder im Norden
 greifen. Wir können aber sicher davon ausgehen, dass es infolge der
 Migration und der Abwehrreflexe gegen die gefühlte Bedrohung mehr
 Quellen für Gewalt geben wird.
 
 Bietet der Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen in Europa
 einen Ausblick darauf, wie Demokratien reagieren, wenn sie unter
 Stress geraten?
 
 Prof. Welzer: Was man sehen kann -- etwa in der Schweiz mit der
 Ausschaffungsinitiative -- ist ein Versagen der demokratischen
 Eliten, weil diese nichts dagegen tun, dass rechtspopulistische
 Positionen Oberhand gewinnen und auch keine Gegenpositionen aufbauen.
 Etwa, indem sie die Schizophrenität benennen, einerseits die schiefe
 Alterspyramide unserer Gesellschaft zu bejammern und andererseits mit
 aller Kraft zu versuchen, junge, hochmotivierte Flüchtlinge am Zuzug
 zu hindern. Nur das Versagen der Deutungseliten ermöglichte auch den
 Erfolg des unsäglichen, Vorurteile bedienenden Buches von Sarrazin.
 Prinzipiell geraten Gesellschaften immer unter Stress, wenn es
 tiefgreifende Veränderungen gibt. Die traditionellen Demokratien des
 Westens erleben derzeit aber multifaktoriellen Stress, den sie so
 seit Jahrzehnten nicht mehr kannten: Die Finanz- und
 Wirtschaftskrise, der demografische Wandel, die Migration und der
 Klimawandel fordern die Gesellschaften in einer Phase heraus, in der
 der Westen einen schleichenden Bedeutungsverlust erleidet.
 
 Die USA verschanzen sich hinter einem Grenzzaun, Europa hinterm
 Mittelmeer. Beendet der Klimawandel die Ära, in der sich Demokratien
 als Schutzhafen für Verfolgte sahen?
 
 Prof. Welzer: Nimmt man eine ganz negative Perspektive ein,
 befinden wir uns noch in einem glücklichen Zustand, weil die Folgen
 des Klimawandels noch nicht manifest geworden sind. Wenn eintritt,
 was die Klimaforscher prognostizieren, werden wir extreme
 Ungleichheiten in den Auswirkungen haben. Es wird Verlierer und
 Gewinner geben, wobei zumeist die stärker leiden, die schon zu den
 benachteiligten Ländern zählen und die Länder glimpflich davonkommen,
 die die meisten Emissionen produziert haben. Wir werden erleben, wie
 sich die Einwohner der glücklichen und unglücklichen Länder verhalten
 und wie sie versuchen werden, ihre Konflikte zu regulieren oder eben
 nicht.
 
 Sie sehen in Gewalt zwar keine anthropologische Konstante, aber
 eine soziale. In einer Welt, in der Flussdeltas wie die des Nils und
 des Ganges überflutet werden, wird Hunger herrschen. Wird es zu
 Verteilungskämpfen kommen?
 
 Prof. Welzer: Ja, und auch da muss man vom Futur ins Präsens
 überwechseln. Selbstverständlich besteht immer Konkurrenz beim Zugang
 zu Ressourcen. Je stärker es an die Lebensgrundlagen geht, desto
 größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass dabei Gewalt gebraucht wird.
 Die Spanne der Konfliktformen reicht von wirtschaftlicher Erpressung
 bis zu militärischer Gewalt, je nachdem, wie groß die
 Handlungsspielräume noch sind.
 
 Also wird Krieg auch das Mittel der Wahl sein, bei knapper
 werdendem Trinkwasser? Abschmelzende Gletscher lassen Flüsse
 versiegen ...
 
 Prof. Welzer: Es gilt der klassische Satz, dass man keine
 Psychologie braucht, um zu erklären, warum Menschen stehlen, die
 Hunger haben, sondern man braucht Psychologie, um zu erklären, warum
 sie es nicht tun. Geht es für einen Staat an die
 Überlebensgrundlagen, wird er Gewalt anwenden, um diese
 sicherzustellen. Die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte lehrt,
 dass es noch nicht mal wahrhaft lebensbedrohlicher Szenarien bedarf,
 sondern dass es schon ausreicht, dass eine Nation sich in ihrer
 territorialen Integrität bedroht sah. Wir hatten einen
 Bundespräsidenten, der sein Amt niedergelegt hat, weil er darüber
 räsonierte, dass sich Deutschland den Zugang zu lebenswichtigen
 Ressourcen auch mit Gewalt bahnen können sollte. Wenn es um
 Ressourcen geht, ist Gewalt immer eine Option.
 
 Sie haben in einer Studie über den Nationalsozialismus
 nachgewiesen, wie schnell sich moralische Werterahmen verschieben.
 Humanistisch erzogene Deutsche bereicherten sich bedenkenlos am
 Besitz ihrer deportierten jüdischen Mitbürger. Bietet die
 Erfolgsgeschichte der BRD keinen Schutz gegen ähnlichen Werteverfall?
 
 Prof. Welzer: Das weiß ich nicht. Die zentrale Lehre aus dem
 Nationalsozialismus ist, alle Verkehrsformen strikt nach
 rechtsstaatlichen Prinzipien zu strukturieren. Solange
 rechtsstaatliche Prinzipien eingehalten werden, ist die Gefahr
 gering. Dass Rechtspopulisten versuchen, den moralischen Rahmen einer
 Gesellschaft zu verschieben, ist so lange nicht schlimm, wie die
 rechtsstaatlichen Regulierungen stark genug sind, um Einhalt zu
 gebieten. Wird diese Haltung aufgeweicht, sodass Vorurteile nicht
 mehr konterkariert, sondern zu Anlässen staatlicher Politik werden,
 ist der Barbarei Tür und Tor geöffnet.
 
 Überfordert ein radikaler Wandel, der sich schleichend vollzieht
 wie der Klimawandel, den menschlichen Geist?
 
 Prof. Welzer: Vielleicht sollte man gar nicht so große Fragen
 stellen, sondern darauf verweisen, dass es viele kleine und große
 Gruppen gibt, die am Fortbestehen des ,,business as usual"
 interessiert sind. Zudem ist unser ganzes Wirtschaftssystem auf die
 Erzeugung von beständigem Wachstum ausgerichtet. Selbst, wenn man
 jetzt zu dem Schluss kommt, dieses System ist falsch, sind Änderungen
 sehr schwierig, weil die gesamte Infrastruktur auf dieses Prinzip
 ausgerichtet ist. Dennoch muss etwas fundamental geändert werden,
 ansonsten sind unsere Gesellschaften nicht zukunftsfähig.
 
 Was muss passieren, damit die von Ihnen geforderte Abkehr von der
 Leitkultur der Verschwendung und von der Zivilreligion des Wachstums
 vollzogen wird?
 
 Prof. Welzer: Man muss erstmal, auch wenn sich das blöd anhört,
 selbst denken. Nämlich um zu erkennen, dass unser Verhalten oft
 idiotisch ist: So zeigen die Konsumstatistiken, dass sich unser
 Verbrauch von Möbeln und Kleidung in den vergangenen 20 Jahren
 verdoppelt beziehungsweise verdreifacht hat. Die Gebrauchszyklen
 wurden kürzer, es werden Sachen gekauft, die offenbar gar nicht
 gebraucht werden. Ein Schreibtisch wurde noch in den achtziger Jahren
 mit der Perspektive gekauft, ihn für Jahrzehnte zu besitzen. Heute
 landet er oft schon nach zwei, drei Jahren auf dem Sperrmüll. Wenn
 man sich diesen Irrsinn einmal bewusst macht, beginnt man, sein
 Konsumverhalten zu ändern.
 
 Dabei setzen Sie auf eine hoch motivierte, aktive
 Zivilgesellschaft mit verstärkter demokratischer Teilhabe. Ist der
 "Wutbürger" für Sie ein Hoffnungsschimmer?
 
 Prof. Welzer: Ja, aber ich würde ihn nie als "Wutbürger"
 bezeichnen. Das ist eine denunziatorische Bezeichnung. Menschen, die
 für ihre Überzeugungen eintreten und dafür die Form des öffentlichen
 Protestes wählen, sind schlicht demokratische Bürger. Das fällt uns
 nur deswegen so auf, weil der demokratische Bürger ansonsten nicht
 mehr in Erscheinung tritt, sondern nur vor einer Polit-Talkshow sitzt
 und flucht. Derjenige, der auf die Straße geht, hält die Demokratie
 am Leben, revitalisiert sie. Selbst zu denken und versuchen, etwas zu
 bewegen, ist demokratische Wahrnehmung von Verantwortung.
 
 Das Interview führte
 
 Joachim Zießler
 
 
 
 Pressekontakt:
 Landeszeitung Lüneburg
 Werner Kolbe
 Telefon: +49 (04131) 740-282
 werner.kolbe@landeszeitung.de
 
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