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Südwest Presse: Kommentar SPD: Spiel mit dem Feuer

Geschrieben am 08-10-2007

Ulm (ots) - Die SPD hat in den letzten Jahren eine beachtliche
Könnerschaft darin entwickelt, nicht nur grundsätzliche Positionen
der Parteiprogrammatik und des Regierungshandelns in Frage zu
stellen, sondern auch ihre jeweiligen Führungspersönlichkeiten. Auf
der Suche nach einem zeitgemäßen Profil haben die Genossen Abschied
von manchen Gewissheiten genommen und zugleich zahlreiche Vorsitzende
verschlissen. Nun steht ihnen erneut ein Machtkampf ins Haus, von dem
erfahrene Beobachter schon meinen, es könne das letzte Gefecht der
SPD vor der Spaltung oder dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit
sein.
Tatsächlich ist die Lage der ältesten deutschen Partei ernst, und es
geht - anders, als die beiden Hauptgegner beteuern - nicht bloß um
eine einzelne Sachfrage, sondern um mehr. Wenn nämlich Kurt Beck und
Franz Müntefering darüber streiten, auf welchem Weg die SPD für
soziale Gerechtigkeit in diesem Land sorgen soll, um Teilhabe
möglichst aller Menschen am gemeinsam geschaffenen Wohlstand, dann
berührt dieser Konflikt natürlich den Kern sozialdemokratischer
Identität, was denn sonst? Das Prinzip des solidarischen Sozialstaats
war der SPD einmal heilig. Gilt das etwa nicht mehr?
Nun ist ja unbestritten, dass Gerhard Schröders "Agenda 2010" der
eigenen Partei wie ihren Anhängern eine Menge abverlangt hat, dass
sich der ehemalige Kanzler zu wenig darum kümmerte, den
Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu erklären
und um Verständnis für die angeblich unabweisbaren Veränderungen zu
werben. Das Ergebnis war eine tiefe Verunsicherung der SPD, die bis
heute anhält und auch durch erste Erfolge der Reformen nicht
wettgemacht werden kann.
Aber anstatt gemeinsam zu versuchen, der Partei auf dem Fundament der
Schröder-Agenda dauerhaft Halt zu geben, laufen die Genossen schon
wieder auseinander. Während Müntefering zu Recht fürchtet, dass die
Kritiker innerhalb und außerhalb der SPD jeden Anlass nutzen werden,
die Entscheidungen der letzten Jahre zurückzudrehen, schielt Beck auf
Umfragen und gibt dem Druck nach, der von allen Seiten auf die Partei
ausgeübt wird. Der Erfolg, den der Vorsitzende mit seiner Initiative
zu erringen scheint, wird die SPD am Ende teuer zu stehen kommen.
So verständlich Becks Wunsch ist, eigene Führungskraft zu
demonstrieren und die Partei mit wichtigen Gruppen in der
Gesellschaft zu versöhnen, so missraten ist seine
Kommunikationsstrategie. Was der SPD-Chef als "Weiterentwicklung" der
Agenda rühmt, wird überwiegend als "Abkehr" von der rot-grünen
Regierungspolitik empfunden. Was er als "Gebot sozialer
Gerechtigkeit" anpreist, zerpflücken Experten als "Schritt in die
falsche Richtung". Beck nimmt die Beschädigung, wenn nicht sogar den
Rückzug Münteferings in Kauf, obwohl es sich die SPD als
Juniorpartner der Union nicht leisten kann, auf einen starken
Vizekanzler in der großen Koalition zu verzichten.
Zu kitten ist der Riss zwischen den beiden Kontrahenten vor dem
Hamburger Parteitag nicht mehr. Ob sich der Disput zu einer
existenziellen Krise der SPD auswächst, liegt jetzt am Verhalten
aller Beteiligten in der Parteispitze, an ihrer Vernunft und an einem
Verständnis von Verantwortung, das über individuelle Eitelkeiten und
persönliche Loyalitäten hinausgeht. Noch ist die SPD nicht verloren,
aber sie spielt wieder mal mit dem Feuer.

Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
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Pressekontakt:
Rückfragen bitte an:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218


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