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Südwest Presse: Kommentar zur Koalition

Geschrieben am 25-10-2009

Ulm (ots) - Ein Traumstart sieht anders aus. Aber Politik lässt
wenig Raum für Phantasien von Harmonie und Glückseligkeit, nicht
einmal für eine Wunschkoalition, die sich lange gesucht und nun - um
einige Jahre verspätet - doch noch gefunden hat. Union und FDP legen
eher stolpernd los. Ihr zunächst bis 2013 befristeter Ehevertrag
verrät beileibe nicht alles über die "neue Richtung", die das traute
Paar der Republik verordnen will. Einen Masterplan für den Weg aus
der Krise und den Aufbruch zum Gipfel ökonomischer Leistungsfähigkeit
haben die Verhandlungspartner jedenfalls nicht vorgelegt.
Offenkundig waren die Schubladen des bürgerlichen Lagers nicht gerade
üppig gefüllt mit Konzepten und Blaupausen für den ersehnten Tag der
gemeinsamen Machtübernahme. Die liberalen Zauberlehrlinge mussten
erst einmal Fühlung mit der Realität aufnehmen und verwandten ihre
ganze Energie darauf, das großspurige Wahlversprechen von
milliardenschweren Steuersenkungen gegen den Widerstand einer seit
2005 regierenden Partei durchzusetzen, die ihre Mitverantwortung für
die Rekordverschuldung des Bundes nicht einfach in Abrede stellen
kann.
So liest sich der 124 Seiten starke Koalitionsvertrag wie eine
schwarz-gelbe Mischung aus Hoffen und Bangen, aus Neustart und
Kontinuität. Dass der Text eine klare Handschrift trägt, lässt sich
daher nicht behaupten; er ist - keineswegs überraschend - eine
Ansammlung christdemokratischer, christsozialer und liberaler
Gefälligkeiten an die Adressen der jeweils umworbenen Klientel. Und
bisweilen fördert der Zwang zum Kompromiss so unsinnige
Konstruktionen zutage wie den nur noch sechsmonatigen Schnupperkurs
für Wehrpflichtige beim Bund.
"Mut zur Zukunft" - dieses nicht sonderlich einfallsreiche Leitmotiv
der Koalition klingt nach reiner Selbstbeschwörung. Was ist schon
mutig daran, den Glauben an die segensreiche Wirkung sinkender
Steuern für Wachstum, Arbeitsplätze und Staatsbudget wie eine
Monstranz vor sich her zu tragen und die Augen vor dem Abgrund
explodierender Kreditlasten zu verschließen? Das ist in Wahrheit
tollkühn. Die katastrophale Wirklichkeit der öffentlichen Finanzen
wird nicht anerkannt, sondern passend gemacht, notfalls durch
kreatives Schuldenmanagement.
Schon klar, Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Gleichzeitig
versteigt sich die Koalition zu der Versicherung, "Deutschland in
Bildung, Wissenschaft und Forschung an die Weltspitze" zu führen.
Wie, bitte, soll dieser Quantensprung in absehbarer Zeit gelingen,
wenn die Bundesrepublik im internationalen Schulvergleich nur
gehobenes Mittelmaß repräsentiert und die zuständigen Länder unter
chronisch leeren Kassen leiden? Hier nimmt die politische Klasse den
Mund mal wieder voll, um von verheerenden Versäumnissen der jüngeren
Vergangenheit abzulenken.
Das Gütesiegel der Nachhaltigkeit muss sich die neue Regierung erst
noch verdienen. Das gilt vor allem für ihre Haushaltsführung, die
maßgeblich darüber entscheidet, unter welchen Bedingungen künftige
Generationen leben werden. Das gilt ebenso für die Sozialpolitik, die
im Zeichen eines schleichenden Ausstiegs aus dem System der
solidarischen Daseinsvorsorge steht.
Auch hier versucht die Koalition, ihre tatsächlichen Absichten
wortreich zu verschleiern, um dem Vorwurf der "sozialen Kälte" zu
entgehen. Ein "Schutzschirm für Arbeitnehmer" wird ausgelobt - das
hört sich fast nach einer staatlichen Jobgarantie an. Dabei werden
durch die Beitragszuschüsse an die Sozialversicherungen nicht nur die
Beschäftigten entlastet, sondern die Arbeitgeber ebenso. Mut zur
Zukunft? Mut zur Wahrheit wäre besser.

Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_59110.rss2

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218


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