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Berliner Morgenpost: Die Grünen fliehen vor Lafontaine nach Jamaika - Leitartikel

Geschrieben am 11-10-2009

Berlin (ots) - Vielleicht wird eines Tages in den
Geschichtsbüchern erklärt, wie viel Zufall und wie viel Überlegung
bei den Entscheidungen Oskar Lafontaines im Spiel waren. Klar ist
schon heute: Die Folgen sind fast immer beträchtlich - aber
machtpolitisch nicht immer zu Ende gedacht. 1995 stürzte der
Saarländer den glücklosen SPD-Chef Scharping und bereitete jenes
Erfolgsduett aus "Innovation und Gerechtigkeit" mit Gerhard Schröder
vor, mit dem die SPD plus Grüne zurück an die Macht im Bund gelangte.
Wenig später trollte sich der Kurzzeitfinanzminister und fügte der
SPD damit jenen Riss zu, den er mit Gründung der Linkspartei zu einem
Canyon weitete. Am Ende stand das demütigende Resultat der
Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl 2009, aber auch die
zementierte Opposition zweier verwirrter Parteien ohne
Machtperspektive. Das Führungsvakuum der Linkspartei unter dem
clownesk-gespenstischen Gregor Gysi wird schon bald offensichtlich.
Als habe er seine Mission erfüllt, trollt sich Lafontaine nun wieder
und verursacht erneut beträchtliche Kollateralschäden. Denn mit
seiner Rückkehr an die Saar verhindert Lafontaine ausgerechnet in
seinem Heimatland das erste rot-rot-grüne Bündnis im Westen. Keine
Frage, Lafontaines diabolischer Faktor beflügelte die Entscheidung
der Saar-Grünen, lieber das kulturell ungewohnte Jamaikabündnis zu
riskieren, als sich von "Lafos" Linken nasführen zu lassen.
Es ist schon Ironie für Feinschmecker, wenn ausgerechnet einer der
begnadetsten Populisten der Republik machtpolitisches
Strategievermögen eines Kreisligisten demonstriert. Denn Lafontaine
treibt die Grünen geradezu aus dem gelernten linken Lager in die
Mitte und ermöglicht dem einstigen Partner nun, seine Machtoptionen
auszuweiten.
Nur in der Mitte wird die dramatisch verbürgerlichte Öko-Partei
dauerhaft erfolgreich sein. Ob Atomkraft, Klimaschutz, Gentechnik
oder gutes Essen - grüne Kernthemen sind ebenso in den Reihenhäusern
der Republik angekommen wie das Personal. Trittin, Künast, Roth,
Özdemir sind keine Schreckgespenster, sondern gehören zum Inventar
von Talk und "Tagesschau".
Bis zu Merkel ist es nicht mehr weit. Nur mal angenommen, die FDP
erfüllt die gigantischen Erwartungen nicht, die derzeit auf ihr
lasten, und manövriert sich bis 2013 wieder unter zehn Prozent. Dann
stünden die Grünen als Koalitionspartner der Union bereit, sofern sie
noch ein Paar Prozente in der linksliberalbürgerlichen Mitte dazu
gewinnen. Dafür werden die Streithähne von SPD und Linkspartei schon
sorgen. Und Jamaika kann ja durchaus auch ein Modell sein. Im
Saarland wird nun erstmals jener lange tabuisierte Grenzübertritt
probiert, gleichsam als Experiment für das ganze Land.
Verlassen die Grünen aber das linke Lager, schwinden die künftigen
Chancen von SPD und Linken dramatisch. Ausgerechnet Lafontaine wird
womöglich eines Tages als Vorbereiter dieser neuen bürgerlichen
Mehrheit wahrgenommen.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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