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Berliner Morgenpost: Die SPD braucht einen Kraftprotz - Leitartikel

Geschrieben am 29-09-2009

Berlin (ots) - Im Mai 1974 schrieb Willy Brandt mit der Hand an
Bundespräsident Gustav Heinemann: "Ich übernehme die politische
Verantwortung für Fahrlässigkeiten im Zusammenhang mit der
Agentenaffäre Guillaume und erkläre meinen Rücktritt vom Amt des
Bundeskanzlers." Damals zog "Verantwortung übernehmen" unweigerlich
einen zweiten Begriff nach sich: "Rücktritt". Loslassen und
Freimachen bilden wesentliche Zutaten der Demokratie, diesem nie
endenden Wechsel der Kräfte. Rücktritt heißt Demut vor dem
Gemeinwesen und Vertrauen in Neues.
Zögerlich folgt die SPD jetzt dieser Tradition. Zuerst
Generalsekretär Hubertus Heil, dann Finanzminister Steinbrück.
Respekt. Parteichef Müntefering zog zwar nach, aber er hat den
idealen Zeitpunkt verpasst. Er hätte, wie 1998 Helmut Kohl, am
Wahlabend abtreten müssen; ein symbolischer Akt, der eine Ära beendet
und den Neuanfang ermöglicht hätte. Das Zaudern des Sauerländers
erschwert vor allem seinem Wunschnachfolger Sigmar Gabriel die
Zukunft.
Als relativer Neuling im zentralen Machtgefüge der SPD entwindet
Steinmeier sich dem Rücktrittsdruck und beansprucht eine Galgenfrist;
zudem kennt er wie kein anderer die Regierungsakteure und kann eine
gerupfte Fraktion langsam aufbauen. Sein gestriges Wahlergebnis von
knapp 90 Prozent ist angesichts des Durcheinanders ein klares Votum.
Strippenzieher Münte wollte nicht abtreten, ohne seinen
Wunschnachfolger Gabriel an die Parteispitze manövriert zu haben und
mit ihm seine Gefolgsleute, gleichsam als Bollwerk gegen die Brigade
Nahles. Der künftige Ex-Umweltminister traut sich zweifellos zu, die
Partei zu führen.
Doch Steinmeiers Wahl mindert Gabriels Chancen, am Ende, beim
November-Parteitag, auch tatsächlich gewählt zu werden. Der SPD-Basis
wird es jedenfalls sehr schwerfallen, dass sie ein Duo kommandiert,
das in Schröders Hannover politisch groß geworden ist. Wie beim
Bundespräsidentenkandidaten könnte also gelten: Wer zuerst genannt
wird, ist schon so gut wie erledigt. Ein aufgeregter SPD-Parteitag
lässt sich sein Abstimmungsverhalten nicht diktieren.
Andererseits wäre eine Doppelspitze, welche auch immer, ohnehin nur
eine Übergangslösung. Es ist ja kein Zufall, dass die erfolgreichen
Regierungsparteien CDU und FDP jeweils von einer einzigen Kraft
geführt werden, Merkel und Westerwelle. Was die SPD braucht, ist ein
moderner Schröder, der das Kunststück fertig bringt, neue Mitte und
alte Linke zu versöhnen, der zugleich für Mindestlohn und niedrigere
Unternehmenssteuern steht, ein charismatischer Kraftprotz, auf den
sich eine Mehrheit wenn auch murrend einlässt. Zur Meisterprüfung
wird der Umgang mit der Linkspartei. Diese Aufgabe ist komplex genug,
noch einige Vorsitzende zu verschleißen. Steinmeiers relativ sichere
Position an der Spitze der Fraktion ist derzeit die beste
Ausgangslage für 2013.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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