Landeszeitung Lüneburg: Ex-SPD-Wahlkampfmanager Heino Wiese im Interview: "Jetzt muss Merkel nur noch Pofalla einsperren"
Geschrieben am 27-08-2009 |   
 
    Lüneburg (ots) - Große Politikentwürfe sind einen Monat vor der  Bundestagswahl nicht erkennbar. Die Parteien führen einen  Wohlfühlwahlkampf, der drängende Fragen wie den Schuldenabbau  ausblendet. Die gezielte Langeweile ist eine kluge Strategie von  Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel, sagt der Unternehmensberater  und frühere Wahlkampfmanager Heino Wiese. Die SPD kann dagegen kaum  etwas ausrichten.
     Sie haben Erfahrung mit Wahlkampf-Kampagnen. Hat die SPD Sie schon um Rat gebeten? Heino Wiese: Die Partei nicht, aber einzelne Politiker der SPD.
     Was raten Sie denen?
     Wiese: Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, wie man sich in  Szene setzt oder ob man ein bestimmtes Thema aufgreifen sollte oder  nicht. Ich bin aber nicht derjenige, der sagt: Ihr müsst jetzt eure  komplette Strategie ändern.
     Die SPD hofft auf eine Aufholjagd, wie sie Gerhard Schröder 2005  gelungen ist. Wie kann Frank-Walter Steinmeier das schaffen?
     Wiese: Anders als der Europawahlkampf, der viel zu aggressiv war,  ist die Strategie der SPD jetzt deutlich besser strukturiert. Der  "Deutschland-Plan" spielt zwar in der täglichen  Wahlauseinandersetzung kaum eine Rolle, weil das alles viel zu  kompliziert ist. Aber hier gibt es ein Programm, das für alle in der  Partei eine Orientierung ist, das anzeigt: In diese Richtung wollen  wir gehen. So vermeidet man, dass jeder die Partei anders darstellt. Der SPD-Kandidat ist glaubwürdig. Er bleibt sich treu. Ich hätte Ulla Schmidt - die ich sehr schätze - rausgeschmissen. Aber Steinmeier ist eben Steinmeier. Er ist fair ihr gegenüber, auch wenn die  "Bild"-Zeitung das Thema jeden Tag neu anheizt.
     Neben der Dienstwagen-Affäre scheint das Ackermann-Abendessen der  einzige "Aufreger" zu sein. Können Sie sich an eine ähnlich  inhaltsleere Vorwahlzeit erinnern?
     Wiese: In der Sommerpause hatten wir bisher immer - übrigens bei  allen Parteien - solche Ausrutscher. Aber so läuft das Spiel eben:  Lass meine Ulla in Frieden, dann lasse ich deinen Ackermann in Ruhe.  Das sind Themen, die mit Politik nichts zu tun haben, das sind  persönliche Kleinstverfehlungen. Bei den wirklich wichtigen Fragestellungen ist es für die SPD schwer. Sagt man, "wir wollen Vollbeschäftigung", entgegnet Angela Merkel wie selbstverständlich, "ich will auch Vollbeschäftigung". Sie hat sogar  das Thema Russland, das kontrovers behandelt wurde, durch ihren  Besuch in Sotschi entschärft und steht letztlich als Gewinnerin da.  Es ist eine ausgesprochen kluge Strategie von ihr, keine  Angriffsflächen zu bieten. Wahrscheinlich hat Christian Wulff ihr  dazu geraten. Er hat das auch schon erfolgreich praktiziert. Wenn man dann jemanden wie Angela Merkel unter der Gürtellinie  attackiert, kommt das nicht gut an. Die Versuche von Franz  Müntefering sind für die Mobilisierung der eigenen Parteimitglieder  sicher sehr hilfreich, aber sie sind in der öffentlichen Wahrnehmung  eher kontraproduktiv.
     Die Umfragewerte für die SPD sind auch ohne Zutun der Union im  Keller - hat Angela Merkel keinen Wahlkampf mehr nötig?
     Wiese: Der Wahlkampf kann auch darin bestehen, dass man präsent  ist, aber nichts Spektakuläres macht. Das ist die Strategie der  Union. Wenn Merkel es jetzt noch schafft, Ronald Pofalla  einzusperren, hat sie große Chancen, ein gutes Ergebnis zu erzielen.  Nur, wenn sich die Parteien - sozusagen in der zweiten Reihe - in  Person ihrer Generalsekretäre noch einmal richtig beharken, könnte  Merkel zu einer Positionierung gezwungen sein.
     An drängenden Fragen mangelt es ja nicht. Die Rekordverschuldung  des Staates etwa, die zu einem drastischen Sparkurs zwingen wird.  Fehlt den Parteien der Mut zur Wahrheit?
     Wiese: Alle Parteien wissen natürlich genau, was auf sie zukommt.  Sie wissen auch, dass man zwar Wunschwege haben kann, dass sie sich  aber auf Kompromisse einlassen müssen. Ohne eine Große Koalition  hätten wir übrigens viele Probleme nie gelöst, auch wenn - etwa bei  der Föderalismusreform - nicht alle Ziele erreicht worden sind.  Gerade in der aktuellen Krisensituation hätte man gegenüber einer  starken Opposition vieles nicht durchsetzen können.
     An den Leistungen von Schwarz-Rot hat auch die SPD ihren Anteil,  aber die Erfolge werden offenbar vor allem der Kanzlerin  zugeschrieben. Sind die Sozialdemokraten die Verlierer der Großen  Koalition?
     Wiese: Als Juniorpartner in einer Großen Koalition hat man es  immer schwer, sich darzustellen. Da kann man nur von Fehlern der  anderen Seite profitieren. Und Angela Merkel hat Fehler vermieden.  Das ist das Prinzip ihrer Politik. Steinmeier und Gerhard Schröder  machen sich in Russland für Opel und die Wadan-Werften stark, und die Kanzlerin heimst die Lorbeeren ein. Das macht sie hoch professionell.
     Auch die Opposition zeigt wenig Biss. Wächst mit der Anzahl  möglicher Koalitionen die Beißhemmung gegenüber dem jeweiligen  Wunschgegner?
     Wiese: Guido Westerwelle weiß genau, dass er seine Chancen zuletzt dadurch verspielt hat, dass er zu viel wollte. Selbst wenn die FDP  nur auf zwölf Prozent kommt, ist das ein Level, das die Partei nie  gehabt hat. Entsprechend wird da jetzt kalkuliert. Wenn die  Opposition so klein ist, hat sie es auch schwer, durchzudringen. Das  wirkt, als wenn sich ein Kläffer an einem großen Baum abarbeitet.  Solange Frau Merkel nicht wieder die neoliberale Meinung von Herrn  Westerwelle übernimmt, hat der FDP-Chef wenig zu melden. Die Grünen  sind eine Programmpartei, sie werden eher als Opposition begriffen,  aber nicht als Partei, die den richtigen Weg weist. Eine  staatstragende Rolle konnte sie nur in der Ära Fischer vermitteln.
     Werden die kleineren Parteien vom Watte-Wahlkampf der großen  profitieren?
     Wiese: Das ist schwer zu sagen. Es wird am Ende die Frage sein, ob die Menschen noch eine Große Koalition wollen. Angesichts der  gewaltigen wirtschaftlichen Herausforderungen werden viele Wähler  sagen, "das lass mal lieber die Großen machen". Das Problem ist, dass wahrscheinlich 80 Prozent der Bürger die Ziele von Schwarz-Gelb  ablehnen würden, aber nicht wirklich genau wissen, welches die Ziele  sind.
     Sehen Sie die Gefahr, dass die fehlende Polarisierung und  Unterscheidbarkeit der Parteien zur Folge haben, dass ein Drittel der Wähler zu Hause bleibt?
     Wiese: Wenn die Unionswähler davon ausgehen, dass die Wahl schon  gelaufen ist und wenn es die SPD gleichzeitig schafft, ihre Wähler zu mobilisieren, ist das noch einmal eine Chance für Steinmeier. Und  davor hat man im Adenauer-Haus auch richtig Angst. Die CDU kann noch  nicht die Champagnerkorken knallen lassen.
     Vera Lengsfeld zeigt Busen, Horst Schlämmer und Martin Sonneborns  "Die Partei" persiflieren den Politikbetrieb im Kino, Franz Müntefering empfiehlt Angela Merkel, schon mal die Umzugskisten zu  packen: Ernsthaftigkeit wird durch Pointen ersetzt. Was sagt das über den Zustand unserer politischen Kultur aus? Wiese: Diese Zuspitzung hat es im Wahlkampf immer gegeben. Thomas  Krüger (SPD) hat vor der Wahl auch schon mal seinen nackten Hintern  gezeigt. Es gab das Guido-Mobil, Karl Ravens ist hinter einem Traktor auf einem Anhänger durchs Land gefahren, Walter Scheel hat "Hoch auf  dem gelben Wagen" zum Besten gegeben - es gab immer Sachen, die ein  bisschen neben der Spur waren. Wenn die Politik im Kino auf die  Schippe genommen wird, ist das in Ordnung. Horst Schlämmer wäre ein  optimaler Koalitionspartner.
     Gibt es eine Wechselstimmung - wenn auch nur in Richtung  Schwarz-Gelb?
     Wiese: Nein. Wenn ich als Unternehmensberater in mittelständische  Firmen gehe, ist davon nichts zu spüren. Da gibt es eher die  Hoffnung, dass in einer Großen Koalition Karl-Theodor zu Guttenberg  eine liberale Rolle übernimmt. Es war sicher klug von der Union,  diesen vermeintlichen Superstar noch schnell aufzubauen.
     Lässt sich Wechselstimmung durch Wahlkampf erzeugen?
     Wiese: Gerhard Schröder hat ja gezeigt, dass das geht. Dazu bedarf es aber einer echten Zuspitzung. Aber entscheidend ist dann, dass die Medien darauf anspringen. Dann kann man jedes Thema aufblasen, zum  Beispiel die Schweinegrippe zur Pandemie machen, auch wenn andere  Grippeviren viel gefährlicher sind. Was hätte die "Bild" aus dem  Ackermann-Abendessen gemacht, wenn das bei einem SPD-Minister  stattgefunden hätte.
     Kommt der Bundestagswahlkampf nach den Landtagswahlen am Sonntag  noch einmal richtig in Schwung?
     Wiese: Wenn sich im Saarland Rot-Rot abzeichnet, wird das sicher  ein Thema sein, das die Union hochzieht. Andersherum könnte es auch  sein, dass ein paar Prozentpunkte Zuwachs der SPD einen  Motivationsschub geben. Es ist noch nichts entschieden. Christian  Wulff hat innerhalb von zweieinhalb Monaten die Stimmung in  Niedersachsen komplett umgedreht. Noch im Dezember 2002 war die  Wahrnehmung: "Der kann das nicht." Im Februar war er dann der  strahlende Sieger. Wenn der richtige Waggon vorbeifährt, muss man auf den aufspringen. Den zu erkennen und zu nutzen, war eine von  Schröders großen Stärken.
  Originaltext:         Landeszeitung Lüneburg Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2
  Pressekontakt: Landeszeitung Lüneburg Werner Kolbe Telefon: +49 (04131) 740-282 werner.kolbe@landeszeitung.de
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