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Rheinische Post: Diese Wahl sagt wenig und viel Kommentar Von Sven Gösmann

Geschrieben am 07-06-2009

Düsseldorf (ots) - Diese Europawahl könnte man mit ein paar Zahlen
erklären und schulterzuckend zum nächsten Wahltermin weiterziehen:
Etwa mit 43 Prozent der desaströsen Wahlbeteiligung als weiterem
Beleg für die Distanz zwischen Europa und dem Bürger. Den 31 Prozent
und ein bisschen für die Kanzlerinnenpartei wahrlich kein sanftes
Ruhekissen. Den 48 bayerischen Prozent und ein bisschen für die
Seehofer-Guttenberg-CSU weniger als früher und trotzdem ein
Mutmacher. Oder den 21 und nix einem historischen Tiefschlag für die
Steinmeier-Opel-Arcandor-SPD. Den 10 Prozent plus x dem europäischen
Rekord-Ergebnis für die Liberalen. Und den 12 Prozent und ein paar
Gequetschten die Altbauwohnungs-Grünen sind zur Wahl gegangen. Doch
diese Europawahl verdient ein genaueres Hinschauen. Also: Viele
werden sagen, der eigentliche Wahlverlierer sei die europäische Idee.
Das stimmt so nicht. 75 Prozent der Deutschen geben an, sehr
zufrieden mit den Segnungen der europäischen Einigung zu sein. Die
meisten Bundesbürger wissen, was sie an Europa haben. Anders als etwa
in den Niederlanden, in Österreich oder Großbritannien hatten
europafeindliche Rechtspopulisten bei uns keine Mobilisierungskraft
und Chance. Die Deutschen nehmen allerdings die europäischen
Institutionen nicht als von ihnen mit zu gestaltende Einrichtungen,
sondern als Behörde wahr. Die Parteien tun zu wenig gegen diesen
Eindruck, indem sie Europawahlen wie auch dieses Mal wieder zu
nationalen Stimmungstests umfunktionieren. So gehen nur die
Interessierten zur Wahl und ein paar ewige Protestierer. Der Rest
bleibt daheim nach dem Motto: Den Leiter des Ordnungsamts in meiner
Gemeinde wähle ich ja auch nicht. Man muss sich ins Gedächtnis rufen,
dass auch Nichtwählen ein demokratisches Recht ist. Großer Verlierer
dieser Wahl sind die Sozialdemokraten. Sie haben nach der hessischen
Landtagswahl im Januar und der Bundespräsidentenwahl im Mai nun schon
zum dritten Mal ihre Dauerkrise manifestiert: ohne erkennbare
Strategie, mit einem erschöpfter als früher wirkenden Müntefering an
der Spitze und einem blassen Kanzlerkandidaten Steinmeier taumeln sie
von Niederlage zu Niederlage. Die sozialdemokratischen Stammwähler
bleiben auf dem Sofa sitzen, so dass man sich schon fragen darf, ob
sie überhaupt noch Stammwähler sind: Immerhin 37 Prozent der
möglichen SPD-Wähler gefällt es zudem laut einer Umfrage nicht, dass
die SPD mit viel Steuergeld große Unternehmen rettet und kaum über
die kleinen Betriebe redet, die derweil untergehen. Wie die SPD mit
den öffentlichen Finanzen hantiert, mag ebenfalls dazu beitragen,
dass die Partei bei den Wählerschichten zwischen 30 und 44 Jahren mit
nur 17 Prozent ein deprimierendes Ergebnis einfuhr, von den Jüngeren
zu schweigen. Diese Generationen wissen, dass sie später die Zeche
für diese Politik zahlen müssen. Vorerst muss sich die SPD mit der
Tatsache trösten, dass die Beteiligung bei Bundestagswahlen immer
fast doppelt so hoch lag wie gestern. Genau diese Tatsache sollte
Union und FDP beim Blick auf den 27. September auch vor verfrühter
Euphorie bewahren. Das gestrige Ergebnis mag Schwarz-Gelb beflügeln,
wahrscheinlicher ist ein bürgerliches Bündnis dadurch noch nicht
geworden. Wahlentscheidungen sind zunehmend unberechenbar. Gestern
gaben immerhin gut 40 Prozent der Wähler an, sich erst am Wahltag
oder kurz davor für eine Partei entschieden zu haben. Da kann ein
Ereignis unmittelbar vor einer Wahl vieles beeinflussen es muss
nicht gleich wie 2002 eine Flutkatastrophe sein. Spielte die
Wirtschaftskrise bei dieser Wahl eine Rolle? Gewiss, jedoch anders
als erwartet. Noch ist die Krise vor allem ein Thema der Eliten,
viele Bürger erreicht sie zeitverzögert: Der alarmierende
Zusammenbruch symbolträchtiger Unternehmen wie Opel wurde vorerst
vermieden, der Ausbau der Kurzarbeit verlangsamt den Anstieg der
Arbeitslosenzahlen, finanziell mildern die im letzten Jahr
ausgehandelten Lohnerhöhungen und fallende Preise bei Gas und Öl
manches ab. So beherrscht die Krise zwar die Nachrichten und viele
Gespräche, aber noch nicht die Realität weiter Teile der
Gesellschaft. Auch das kann im Herbst ganz anders aussehen. Diese
Europawahl also sie war nur ein Zwischenstopp der politischen
Karawane. 111 Tage bis zur Bundestagswahl.

Originaltext: Rheinische Post
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/30621
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_30621.rss2

Pressekontakt:
Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2303


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