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Landeszeitung Lüneburg: Nahost-Experte Dr. Muriel Asseburg zum Krieg im Gaza-Streifen: "Hamas ist ein Teil der Lösung"

Geschrieben am 15-01-2009

Lüneburg (ots) - Aufrufe zur Mäßigung verhallen im Gazastreifen
ungehört. Israel verschärft seine Offensive. Die Hamas sendet
widersprüchliche Signale über ihre Verhandlungsbereitschaft aus.
Welche Chancen gibt es für eine Befriedung des Konfliktes? Dr. Muriel
Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik, dem größten Think
Tank in Europa: "Ohne eine politische Einbindung der Hamas läuft
nichts."

Wird Israel im Gazastreifen gelingen, was im Libanon scheiterte:
Kann der Feldzug die Hamas schwächen, nachdem die Hisbollah 2006 eher
noch an Renommee gewann?

Dr. Muriel Asseburg: Politisch wird die Hamas wohl nicht
geschwächt aus dem Krieg hervorgehen. Aber es wird Israel gelingen,
die Infrastruktur der Hamas zu schwächen -- das betrifft allerdings
nicht nur die militärische, sondern auch die zivile Infrastruktur.
Die Frage ist allerdings, ob das wirklich als Erfolg zu werten ist
oder ob es nicht vielmehr eine Gefahr darstellt. Nämlich die Gefahr,
dass mit den Angriffen auf die Infrastruktur auch die Ordnungs- und
Regierungsfähigkeit im Gazastreifen zerstört wird -- wie dies auch
schon zu Beginn der zweiten Intifada in den gesamten
palästinensischen Gebieten der Fall war. Dies kann letztlich zu einer
Situation führen, in der es im Gazastreifen keine Führung mehr gibt,
die einen Waffenstillstand aushandeln und auch durchsetzen kann.

Erschafft Israel mit seinen Schlägen auch gegen Zivilisten die
nächste Generation Terroristen ?

Dr. Asseburg: Es liegt auf der Hand, dass die jetzige
Militäraktion nicht 1,5 Millionen Israel-Freunde im Gazastreifen
hinterlassen wird, sondern eine zutiefst traumatisierte,
desillusionierte und zum Teil sicherlich auch radikalisierte
Bevölkerung. Gruppierungen, die radikaler sind als die Hamas, werden
erheblichen Zulauf bekommen. Mit diesen Gruppen wird man nicht
verhandeln können, weil sie keine nationalen Interessen verfolgen.
Das kann nicht in Israels Sinn sein.

Hamas ist nicht nur eine Terrororganisation, sondern auch eine
soziale Bewegung -- für deren Zulauf Israel selbst sorgte. Wie kann
dies gestoppt werden?

Dr. Asseburg: Vor allem ist die Hamas auch eine politische
Organisation, die bei den letzten Parlamentswahlen haushoch gewonnen
hat. Es wird kein Weg daran vorbeigehen, die Hamas als politische
Kraft einzubinden. Die Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas ist
letztlich die Voraussetzung für Fortschritte -- in den
Palästinensergebieten und bei einer Konfliktregelung mit Israel. Nur
wenn es einen Ausgleich gibt, werden Neuwahlen stattfinden können.
Nur so kann es wieder eine handlungsfähige Regierung geben. Nur so
kann der palästinensische Präsident die Unterstützung für
Verhandlungen haben. Nur so können Regelungen über die Öffnung der
Grenzen des Gazastreifens gefunden werden. Und die sind notwendig, um
Handel und wirtschaftliche Entwicklung überhaupt zu ermöglichen. Auf
Dauer kann ja nicht die internationale Gemeinschaft in den
Palästinensergebieten Almosen verteilen, damit die Bevölkerung
überlebt.

Muss auch der Westen mit der Hamas verhandeln, um nicht
doppelzüngig zu wirken? Immerhin hat die Hamas Wahlen gewonnen...

Dr. Asseburg: Momentan geht es nicht primär darum, dass der Westen
offizielle Gespräche mit der Hamas führt. Es geht eher darum, dass er
klarmacht, eine innerpalästinensische Aussöhnung nicht länger zu
blockieren -- wie noch nach dem Wahlsieg der Hamas. So sollte die EU
vor allem gegenüber der Fatah und dem paläs"tinensischen Präsidenten
ihre Bereitschaft signalisieren, mit einer Regierung der nationalen
Einheit wieder zusammenzuarbeiten, wenn sie denn gebildet wird. Die
Illusion, die Hamas würde sich in Luft auflösen, darf nicht genährt
werden, etwa durch Gedankenspiele, nach der Gaza-Invasion eine
Fatah-Herrschaft im Gazastreifen zu installieren.

Welche Ziele verfolgt die Hamas mit den Raketenangriffen auf
Israel?

Dr. Asseburg: In erster Linie wollte die Hamas den Teil des
Waffenstillstandsabkommens einfordern, der im Juni 2008 zugesagt,
aber bisher nicht umgesetzt worden war. Also das Ende der nahezu
vollständigen Blockade des Gazastreifens durch die Öffnung der
Grenzübergänge nach Israel und Ägypten.

Demnach agiert die Hamas nicht als verlängerter Arm Teherans?

Dr. Asseburg: Sicherlich verfolgt der Iran auch eigene
Inte"ressen, indem er Gruppierungen wie die Hamas unterstützt. Doch
die Hamasführung kalkuliert sehr genau, welches ihre eigenen
Interessen sind -- und die sind nicht deckungsgleich mit denen
Teherans. Überschneidungen gibt es unter anderem bezüglich dessen,
dass die Hamas sich im Gazastreifen weiter konsolidieren will und den
Preis für eine Aussöhnung mit der Fatah und einen Waffenstillstand
mit Israel in die Höhe zu treiben, also hierbei ihre Hauptforderungen
durchzusetzen.

Wird Israel den Gazastreifen erneut besetzen müssen, um vor
Raketenangriffen sicher zu sein?

Dr. Asseburg: Ich denke, daran hat Israel dauerhaft kein
Interesse. Vielmehr will Israel die internationale Gemeinschaft dazu
bewegen, Verantwortung für den Gazastreifen zu übernehmen, um sich
selbst dieser entledigen zu können.

Keine Verantwortung wollen die arabischen Staaten übernehmen.
Zeigt dies, wie isoliert die Hamas ist?

Dr. Asseburg: Einerseits ja, andererseits zeigt es auch, wie
ängstlich die arabischen Regime darauf achten, dass weder Hamas noch
Hisbollah in ihren Bevölkerungen Vorbildstatus gewinnen können. Denn
dies könnte den islamistischen Oppositionsparteien in diesen Ländern
zugute kommen. Zudem sind viele Regime in der Region über den
wachsenden Einfluss des Iran besorgt.

Barack Obama hat angekündigt, sich unmittelbar nach seiner
Amtsübernahme des Nahost-Konfliktes annehmen zu wollen. Bekommt
dieser endlich auch in der US-Politik gebührenden Stellenwert
eingeräumt?

Dr. Asseburg: Ich wäre sehr zurückhaltend, hier allzu große
Hoffnungen zu wecken. Hält man sich die jüngsten Resolutionen sowohl
im Senat als auch im Repräsentantenhaus vor Augen, die ganz eindeutig
zugunsten Israels Partei ergreifen und Hamas die alleinige
Verantwortung für den Krieg zuschieben, wird deutlich, dass die neue
Administration keine allzu großen Spielräume hat, einen völlig neuen
Kurs einzuschlagen. Ich bezweifle zudem, dass die
Obama-Administration das tun wird, was notwendig ist, um tatsächlich
substantielle Fortschritte im Friedensprozess zu erzielen: nämlich
alle Konfliktparteien zu versammeln, an die Hand zu nehmen und aktiv
zu einem Verhandlungsergebnis zu führen. Dies ginge nur, wenn
Washington eine Blaupause für den Endstatus vorlegen und konsequent
Druck in Richtung Konfliktregelung ausüben würde.

Ein neuer Kurs soll auch gegenüber Iran eingeschlagen werden.
Endet die Zeit, in der die Konflikte der Region isoliert betrachtet
wurden?

Dr. Asseburg: Das steht zu hoffen. Allerdings befürchte ich, dass
wir keine Fortschritte in Richtung Frieden sehen werden, solange
Washington nicht die arabischen Staaten und Israel gleichermaßen zu
einem Ausgleich drängt.

Bedarf Washington der Äquidistanz zu den Gegnern?

Dr. Asseburg: Nein, das ist nicht nötig, aber es müssen die
legitimen Interessen aller Konfliktparteien einbezogen werden.
Vorrangig geht es doch darum, die Prinzipien für eine
Zwei-Staaten-Lösung, die alle bereits auf dem Tisch liegen und von
den Konfliktparteien weitgehend verhandelt worden sind, in eine
konkrete Regelung umzusetzen. Zum anderen bedarf es eines
Politikwechsels in Bezug auf Hamas und Syrien. Ziel Washingtons darf
es nicht länger sein, die Kluft zwischen Fatah und Hamas zu vertiefen
und Hamas und Syrien als Teil des Problems statt als Teil der Lösung
zu behandeln.

Welche Chancen bestehen, Syrien in eine Nahost-Friedensarchitektur
einzubinden?

Dr. Asseburg: Die Chancen sind sehr gut, weil Damaskus großes
Interesse hat, die bislang indirekten Gespräche mit Israel auf eine
neue Ebene zu heben. Es wäre für Syrien ein großer Erfolg, nach
Verhandlungen unter US-Vermittlung die Golanhöhen zurückzugewinnen.
Durch einen solchen Friedensprozess könnte sich Syrien zudem aus der
Isolierung durch den Westen befreien.

Die Frequenz der Waffengänge in der Region steigt. Droht ein
großer Showdown zwischen Israel und Iran?

Dr. Asseburg: Ich sehe trotz der jüngsten Meldungen über einen
unterbundenen Präventivschlag Israels gegen iranische Atomanlagen
nicht, wie eine der beiden Seiten annehmen könnte, eine militärische
Auseinandersetzung könnte die Kräfteverhältnisse wirklich dauerhaft
klären. Die Gefahr allerdings besteht weiter, dass durch kleinere
Auseinandersetzungen oder von den Regierungen nicht kontrollierte
Gruppierungen eine Eskalation ausgelöst wurde -- wie es etwa beim
Libanonkrieg 2006 der Fall war. Die Vielzahl ungelöster, offener
Konflikte, das massive Waffenarsenal im Nahen Osten sowie Machthaber,
die Krieg als Mittel der Politik begreifen, lassen einem zögern, die
Hand dafür ins Feuer zu legen, dass es keinen großen Krieg gibt.

Kennt der Nahe Osten keine Kriegsmüdigkeit?

Dr. Asseburg: In großen Teilen der Bevölkerung ist die
Kriegsmüdigkeit sehr groß. Das erklärt zum Beispiel die Zurückhaltung
der Hisbollah in dem aktuellen Konflikt. Denn in der libanesischen
Bevölkerung hätte sie derzeit keinen Rückhalt für einen Waffengang.
Leider hat sich bei vielen Paläs"tinensern die Einsicht durchgesetzt,
dass es keine realistische Option für einen friedlichen Ausgleich mit
Israel gibt. Nach ihren Erfahrungen haben Verhandlungen sie ihren
Zielen nicht nähergebracht. Und in Israel steht die Bevölkerung
nahezu geschlossen hinter dem Waffengang.

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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