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Landeszeitung Lüneburg: Obama muss zunächst ein Präsident der innenpolitischen Reformen werden -- Interview mit dem Politologen Prof. Dr. Christian Hacke.

Geschrieben am 13-11-2008

Lüneburg (ots) - Barack Obama ist nicht zu beneiden. Die
Erwartungen an ihn sind mindestens so groß wie die Aufgaben, vor
denen der erste schwarze Präsident der USA stehen wird. ,,Obama muss
zunächst ein Präsident der innenpolitischen Reformen werden", sagt
der Politologe Prof. Dr. Christian Hacke im Gespräch mit unserer
Zeitung.

Barack Obama hat einen überragenden Wahlsieg errungen. Haben Sie
mit diesem großen Vorsprung gerechnet?
Professor Dr. Christian Hacke: Nein. Ich habe geglaubt, dass die
Vorbehalte ihm gegenüber größer sein würden.
Was war Obamas größte Stärke im Wahlkampf, was hat ihn so überzeugend
gemacht für die Wähler?
Hacke: Es war ein Kampf Charisma gegen Mythos. Das Charisma Obamas
hat sich im Laufe des Wahlkampfes nicht verbraucht, sondern wurde im
Gegenteil immer eindrucksvoller. Sein Charakter, sein differenziertes
Weltbild, die kluge Wahlkampfführung, die Abgewogenheit der
Argumentationen --- all das hat den Wähler wohl überzeugt, dass er --
trotz möglicher Vorbehalte wegen seiner Hautfarbe -- der bessere Mann
für das Präsidentenamt ist. McCains im Vietnam-Krieg entstandener
Mythos hingegen konnte angesichts der neuen politischen
Herausforderungen keine Wirkung mehr erzeugen.

Welche Bedeutung hat es Ihrer Ansicht nach, dass Obama der erste
afroamerikanische Präsident der USA ist?
Hacke: Das hat für die Afroamerikaner eine enorme Bedeutung. Für sie
ist es endlich der Beweis, dass der amerikanische Traum auch für
Schwarze im politischen Bereich bis zum höchsten Amt möglich ist.
Diese unglaubliche Entwicklung fördert die Integration in dem
multirassischen und multiethnischen Staat ganz enorm. Gleichzeitig
wird aber Obama darauf achten müssen, dass er alle anspricht und
nicht nur als schwarzer Präsident regiert. Seine bisherigen
Ausführungen zur Außen- und Innenpolitik zeigen aber deutlich, dass
er alles tun wird, um diesen Eindruck nicht aufkommen zu lassen.

Obama hatte seinen Wahlkampf unter das Motto ,,Change" gestellt.
Nun erwartet ganz Amerika einen Neuanfang. Hat Obama innenpolitisch
angesichts der enormen Probleme wie Finanzkrise und Haushaltsdefizit
überhaupt Spielraum, um die großen Erwartungen zu erfüllen?
Hacke: Der Spielraum ist enorm eingeengt. Aber Obama hat die
Bevölkerung schon da"rauf eingestimmt, dass die USA einen langen Weg
vor sich haben. Die Probleme in der Innenpolitik sind so groß, dass
Obama zunächt ein Präsident der innenpolitischen Reformen werden
muss. Obama wird sich linken und rechten Forderungen aus den Reihen
seiner Partei ausgesetzt sehen. Ich gehe aber davon aus, dass Obama
einen Mittelweg suchen und finden wird. Die außenpolitischen Probleme
sind zwar deutlich, aber leichter zu lösen. Das Ansehen der USA in
der Welt wiederherzustellen, erfordert Stil, Takt und kluge
Entscheidungen. Dies alles ist von Obama zu erwarten. Dann wird sich
das, was sich als Anti-Amerikanismus zeigte, sehr schnell als
Anti-Bushismus in Luft auflösen. Aber die strukturellen Prob-leme in
der Innenpolitik -- vor allem die Staatsverschuldung -- werden Obama
noch schwer zu schaffen machen. Dennoch bin ich sicher, dass er
frischen Wind in die Politik bringt. Es wird ein Aufbruch in eine
neue Zeit.
,,Die Frage, wozu Europa dient, ist nicht mehr aktuell. Wir sind
jetzt Partner", hat der französische Außenminister und
EU-Ratsvorsitzende Bernard Kouchner kürzlich gesagt. Glauben Sie,
dass Europa künftig von den USA als vollwertiger Partner ernst
genommen wird?
Hacke: Das desaströse Erbe der Regierung Bush und die
Führungslosigkeit der USA im westlichen Bündnis und in der
Weltpolitik mag manche in Europa veranlasst haben, diese Schwäche und
Orientierungslosigkeit der USA als Stärke Europas zu interpretieren.
Aber ich denke, dass auch unter Obama mit sehr viel Geschmeidigkeit,
Klugheit und Raffinesse, zugleich jedoch mit klarem Gespür für
amerikanische Interessen, Forderungen an die Europäer herangebracht
werden. Diesen wird sich Europa sehr viel schwerer verschließen
können als früher gegen einen etwas plumpen und arroganten Bush.
Glauben Sie, dass Obama die Politik der Provokationen gegenüber
Russland fortsetzen wird?
Hacke: Mein Instinkt sagt mir, dass er das nicht tun wird. Unter
McCain wären wir allerdings in eine Zeit gekommen, in der wir uns
nach Bush zurückgesehnt hätten. Denn McCain ist der Scharfmacher
gegenüber den Russen gewesen. Das hat sich zuletzt in der
Georgienkrise gezeigt. Obama hat hingegen mit der martialischen
Haltung McCains nichts am Hut. Ich glaube, er wird sehr progressiver
und kooperativer mit den Russen umgehen. Er wird mit größerem
Verständis für die russischen und auch die chinesischen Interessen
agieren. Er wird auch da ein Brückenbauer sein und so handeln, wie es
Bundeskanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Jahren vorexerziert
hat: Abstimmung, Konsultation, Diplomatie. Dies stärkt die Stellung
der USA auch in Gemeinschaftsinstitutionen wie der UNO. Die neuen
globalen Fragen wird er in größerer Kooperation mit den Europäern
angehen.
Russlands Präsident Medwedew hat gerade angekündigt, Raketen an den
NATO-Grenzen aufstellen zu wollen. Kommt auf Deutschland im Hinblick
auf sein relativ gutes Verhältnis zu Russland künftig eine noch
stärkere Vermittlerrolle zu?
Hacke: Das kommt darauf an, ob wir vermitteln können oder ob die
Amerikaner wieder so stark werden, dass sie die Dinge selbst in die
Hand nehmen. Unsere Vermittlerrolle basierte auf der Sprachlosigkeit
zwischen Washington und Moskau, die sich, glaube ich, bald zum
Besseren verändert. Zudem sollten wir unsere
Vermittlungsmöglichkeiten nicht überschätzen. Angesichts der Kriege
in Afghanistan, im Irak und den Problemen in Pakistan wird
Deutschland -- auch im Rahmen der NATO -- künftig sehr viel stärker
gefordert werden. Wir werden uns nicht länger drücken können.

Sie gehen also davon aus, dass wir auch in Pakistan einen Beitrag
leisten müssen?
Hacke: Das Afghanistan-Prob"lem ist nur zu lösen, wenn auch das
Pakistan-Problem gelöst wird -- auch mit nicht-militärischen Mitteln.
Hier erwarte ich von Obama, dass er den Krieg gegen den Terror sehr
viel intelligenter führen wird. Wie das aussehen wird, bleibt
abzuwarten. Klar scheint aber zu sein, dass Obama im Rahmen dieses
Kampfes stärkere Forderungen an Europa stellt. Weltpolitisch hatten
wir lange ein Machtvakuum, hatten keine Führung durch die Amerikaner.
Der Westen war zerstritten. Viele sahen Amerika und Europa als zwei
Teile des Westens, die nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben
müssen. Dieses Machtvakuum wird wieder von den Amerikanern unter
Obama aufgefüllt. Einige in Europa werden zwar Schwierigkeiten haben,
sich wieder daran zu gewöhnen. Aber meiner Meinung nach ist
amerikanische Führung unabdingbar. Vor allem, wenn es um harte
Machtfragen geht und wenn militärische Drohungen angebracht sind.
Glauben Sie, dass Obama die von Bush verfolgte Politik der Annäherung
an Indien fortsetzen wird, um einen Gegenpol zur künftigen Weltmacht
China zu bilden?
Hacke: Ich glaube nicht, dass er diesen Kurs aufgibt. Denn es war
schon ein Gewinn und auch klug von Bush, die Beziehungen zur --
salopp formuliert -- größten Demokratie der Welt zu verbessern. Ich
glaube auch, dass Obama -- nicht zuletzt aufgrund der eigenen
Herkunft -- ein stärkeres Gewicht auf Afrika legen wird. Er wird
gegenüber der Dritten Welt die Vorbildrolle der USA als
zivilisatorische Vormacht herausstellen, als ein Land, das wieder
stärker mit nicht-militärischen Mitteln in der Weltpolitik wirken
will. Das wird dann natürlich auch bei den Europäern gut ankommen.

In Handelsfragen waren die US-Demokraten immer schon eher
protektionistisch veranlagt. Bremst dies die Freude in China über den
Sieg Obamas, der dort populärer ist als McCain?
Hacke: Das muss man abwarten -- und kann es nicht pauschal
beantworten. Denn auch bei den Demokraten gibt es durchaus Anhänger
einer freien Marktwirtschaft. Protektionismus ist keine originär
demokratische Idee, sondern man findet sie auch bei Republikanern mit
isolationistischer, konservativer Prägung. Was in den USA viel
stärker im Vordergrund stehen wird, sind die wirtschaftlichen
He-rausforderungen und die neuen globalen Fragen. Amerikas Wirtschaft
wieder fit zu machen, ist vorrangig -- und geht natürlich nicht von
heute auf morgen.
Großbritanniens Premier Gordon Brown erwartet von Obama eine ,,starke
Führung in der Finanzkrise". Glauben Sie an eine vorsichtige Abkehr
vom angelsächsischen Kapitalismus unter Obama? Hacke: Das ist sehr
schwer zu beurteilen. Denn es gibt verschiedene Kapitalismusmodelle.
Zwar scheint es so, als hätten das Thatcher- oder das Reagan-Modell
ausgedient. Und angesichts der Finanzkrise wird mehr Staat in den USA
gefordert. Doch solche Maßnahmen sind prinzipiell unpopulär: Die
Amerikaner mögen nicht mehr Staat. Auf der anderen Seite wird mehr
Sozialversicherung nötig sein, wird mehr zu tun sein bei der
Bankenaufsicht, wird es viele weitere große Aufgaben geben. Das hat
Obama als erster selbst erkannt. Er ließ sich keine Euphorie nach dem
Wahlsieg anmerken, sondern stimmte die Amerikaner gleich auf eine
lange, harte Zeit ein. Obama ist ein enorm kluger Mann. Er beherrscht
die Zwischentöne. Der Mann weiß, was er will. Und er weiß, was für
das Land gut ist. Ich denke, dass Obama die Amerikaner intelligent
führen wird. Und dass sich die Amerikaner unter seiner Führung sehr
viel sicherer fühlen werden als es unter dem Vorgänger der Fall war.
Das Interview führte Werner Kolbe

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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