(Registrieren)

Landeszeitung Lüneburg: Landeszeitung Lüneburg: Dr. Michael Bräuninger vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI): ,,In dieser Situatiion müssen wir den Kaufkraftverlust akzeptieren."

Geschrieben am 10-07-2008

Lüneburg (ots) - Die Angst vor weiteren Preissteigerungen geht um
in Deutschland. Vor allem Energie, aber auch Nahrungsmittel sind die
Preistreiber -- und bedrohen die konjunkturelle Entwicklung.
Angesichts der hohen Inflationsrate fordern die Gewerkschaften
bereits einen Lohnausgleich. ,,In dieser Situation müssen wir leider
den derzeitigen Kaufkraftverlust akzeptieren", sagt der
Wirtschaftsexperte Michael Bräuninger vom Hamburgischen
WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) im Gespräch mit unserer Zeitung.
Ihr Institut hat vor knapp vier Wochen die Prognose für dieses Jahr
leicht auf 2,2 Prozent erhöht. Im kommenden Jahr sollen es dann noch
1,1 Prozent sein. Ist das angesichts der jüngsten Entwicklung nicht
zu optimistisch? Dr. Michael Bräuninger: Für dieses Jahr ist die
Wachstumsrate hoch. Das liegt im wesentlichen am ersten Quartal, in
dem die Wirtschaft überraschend stark zugelegt hat. Daher muss man
von Wachstumsraten von mehr als zwei Prozent ausgehen, obwohl wir
jetzt schon eine deutliche konjunkturelle Schwäche sehen.
Normalerweise sinken bei nachlassender Weltkonjunktur die Preise.
Doch derzeit geschieht das Gegenteil. Wie groß ist die Gefahr einer
solchen Stagflation in Deutschland? Bräuninger: Wir haben einen
deutlichen Preisanstieg. Die schlechte Konjunktur ist zum Teil durch
diese hohen Preise bedingt. Diese Situation ist vergleichbar mit der
der 70er-Jahre: hohe Rohstoffpreise haben die Inflationsrate nach
oben schnellen lassen, die Teuerung ist also nicht konjunkturell
bedingt. Wir gehen davon aus, dass die Preise noch eine Zeitlang so
hoch bleiben, aber wir werden keine weiteren Preissteigerungsraten
erleben. Eher ist mit einem gewissen Rückgang zu rechnen.
Die Zahl der Arbeitslosen sieht das HWWI in diesem Jahr bei 3,3
Millionen, im kommenden Jahr bei 3,2 Millionen. Lässt sich diese
Prognose noch halten vor dem Hintergrund der jüngsten Meldungen,
wonach durch die Rekordölpreise mindestens 50000 Firmen in ihrer
Existenz gefährdet sind? Bräuninger: Trotz der hohen Ölpreise dürfte
sich die Beschäftigung weiterhin positiv entwickeln, wenn auch mit
geringerem Tempo. Unser Glück ist, dass uns dieser Preisschock in
einer konjunkturell sehr güns"tigen Phase trifft. Insgesamt ist die
Beschäftigung in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Das hat
auch mit der Lohnzurückhaltung zu tun, die Deutschland wieder
wettbewerbsfähig gemacht hat. Diese positiven Effekte haben die
negativen Vorgaben des Weltmarktes bisher zum Teil kompensieren
können.
Mit der hohen Inflationsrate werden auch die Forderungen der
Gewerkschaften wieder steigen. Der Vorsprung, den Deutschland sich
erarbeitet hat, wäre dann wieder gefährdet. Bräuninger: Richtig, das
ist ein großes Risiken. Wir hatten über mehrere Jahre
Lohnzurückhaltung. Die neuen Abschlüsse sind zwar deutlich höher,
aber vor dem Hintergrund der besseren Beschäftigungslage und der
gestiegenen Produktivität in einzelnen Branchen noch zu
rechtfertigen. Nicht zu rechtfertigen wären Lohnforderungen mit der
Begründung von Preissteigerungen, die vom Weltmarkt kommen. Gegen
diese können wir uns nicht wehren -- wir müssen sie akzeptieren. Das
heißt, wir müssen den derzeitigen Kaufkraftverlust hinnehmen, denn
die Kaufkraft geht von uns zu den Rohstoffproduzenten. Die große
Gefahr für die Konjunktur ist, dass die Gewerkschaften in dieser
Situation einen Lohnausgleich fordern und durchsetzen. Genau vor
diesen Zweitrundeneffekten warnt auch die Europäische Zentralbank.
Die EZB hat angesichts dieser importierten Inflation gehandelt. Aber
war die Erhöhung nicht doch ein Fehler? Bräuninger: Die Zinserhöhung
hatte Signalcharakter. Ich fand sie angemessen. Eine Erhöhung um
einen Viertelprozentpunkt hat noch keine dramatischen Auswirkungen
auf die Konjunktur. Und sie ist ein Signal dafür, dass die EZB
gegenüber weiter steigenden Preisen und auch Lohnrunden wachsam ist
und im Zweifelsfall erneut einschreiten wird, um zum Zielkorridor von
zwei Prozent Inflationsrate zurückzukehren.
Aber das Signal, das der EZB-Präsident Trichet am 6. Juni aussandte,
als er die Leitzinserhöhung ankündigte, war verheerend: Die Ölpreise
stiegen um zehn Dollar -- dies war der höchste Anstieg an einem Tag.
Höhere Zinsen treiben die Anleger vom Dollar zum Euro. Zudem nehmen
die Ölförderländer Milliarden Dollar ein, tauschen diese in
Euro-Anlagen um. Auch das führt letztlich zu steigenden Ölpreisen.
Lässt sich diese Spirale unterbrechen? Bräuninger: Eine
Leitzinserhöhung der EZB hat natürlich Umschichtungseffekte hin zum
Euro. Das schwächt den Dollar und erschwert damit die Geschäfte der
deutschen Exportbranche in den Dollarraum. Das ist sicherlich ein
negativer Effekt. Aber die EZB ist gewillt, eine schwächere
konjunkturelle Phase hinzunehmen, um Preisstabilität zu erkaufen.
Aber die Entwicklung auf den Ölmärkten halte ich weitgehend für
unabhängig von der EZB-Politik.
Wer die Abhängigkeit von Öl und Gas verringern will, muss viel Geld
investieren. Diese Investitionen sind durch den Zinsschritt der EZB
erschwert worden. Rechnen Sie mit Zinssenkungen in diesem Jahr?
Bräuninger: Nein, auf keinen Fall. Ich könnte mir eher eine weitere
Zinserhöhung vorstellen. Allerdings hat die EZB angekündigt, dass
diese jüngste Zinserhöhung nicht der Auftakt zu einer Folge von
Schritten in diese Richtung ist. Insofern wird die EZB erstmal
abwarten. Das gilt auch für die Zinsen in den USA, die derzeit sehr
niedrig sind. Die notwendigen In"ves"titionen in Öl und Gas werden
von dem kleinen EZB-Schritt sicher nicht beeinflusst, denn die
Konzerne sind sehr kapitalstark. Darüber hinaus liegen die Renditen
in diesem Geschäft weit über den marktüblichen Zinsen. Das
Investitionsgeschehen wird eher von Unsicherheiten und anderen
Faktoren bestimmt.
Die Förderländer sagen weitere Schübe beim Ölpreis voraus. Ein
Analyst geht davon aus, dass der Ölpreis erst dann wieder sinkt, wenn
die Weltwirtschaft in eine Rezession abgeglitten ist. Sind Sie da
opti"mis"tischer? Bräuninger: Ja, da bin ich in der Tat
optimistischer. Ich glaube nicht, dass der derzeit so hohe Ölpreis
fundamental begründet ist. Ich könnte mir gut vorstellen, dass der
Ölpreis deutlich zurückgeht. Einer der auslösenden Punkte könnte
sicherlich eine Abschwächung der Weltkonjunktur sein, ein anderer
etwa eine Erhöhung des Angebots. Ingesamt glaube ich, dass wir in der
zweiten Jahreshälfte zu einer Normalisierung kommen.
Ein Analyst der Deutschen Bank ist da etwas skeptischer. Es sagt,
beim Erdöl haben wir die Zukunft schon hinter unsu Bräuninger: Gut,
es gibt hier sehr unterschiedliche Einschätzungen mit einem breiten
Spektrum vom deutlichen Ölpreisanstieg bis zum deutlichen Rückgang.
Jeder Experte meint, Recht zu haben. Unter dem Strich bleibt die
Erkenntnis, dass es eine sehr große Marktunsicherheit gibt.
Beim G8-Gipfel hat sich einmal mehr die Ohnmacht der Mächtigen
gezeigt. Die Ölpreise lassen sich kaum politisch bekämpfen. Welche
Handlungsspielräume sehen Sie für die Politik, um eine drohende
Rezession abzuwenden? Bräuninger: Gegen die hohen Ölpreise kann die
Politik kurzfristig gar nichts tun. Mittel- und langfristig jedoch
kann sie durch Förderung alternativer Energien, Erhöhung der
Energieeffizienz und durch Energiesparen die Ölnachfrage dämpfen und
so zur Normalisierung des Ölpreises beitragen. Bezogen auf die
Konjunktur erscheinen mir drei Dinge wesentlich: Wir benötigen weiter
eine angemessene und zurückhaltende Tarifpolitik. Dann ist die
Zentralbank nicht genötigt, die Zinsen zu erhöhen und kann ihren Kurs
der moderaten Geldpolitik beibehalten. Da"rüber hinaus müssen wir
eine sinnvoll und strategisch ausgerichtete Finanzpolitik verfolgen.
Die Bundesregierung hat gerade angekündigt, dass sie den Bau von 30
Offshore-Windkraftparks vorantreiben will. Ist das in ihren Augen ein
richtiger Schritt? Bräuninger: Ja, sicherlich. Deutschland sollte
versuchen, die Abhängigkeit vom Öl und vom Gas zu reduzieren, und
damit auch zu einer Stabilisierung der Preise beitragen. Dazu gehört
Insbesondere der Ausbau der Windenergie.
Das Interview führte Werner Kolbe

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

147706

weitere Artikel:
  • Rheinische Post: Die Müllabfuhr kann billiger sein Düsseldorf (ots) - Von Matthias Beermann Was haben wir uns geekelt, als wir die schauerlichen Bilder von den Müllbergen in Neapel gesehen haben. Bei uns verschwindet der Abfall in der Tonne, und dann kümmert sich die Müllabfuhr drum. Saubere Verhältnisse also, aber die haben leider auch ihren Preis. Müllgebühren zahlt jeder, und das ist ja auch in Ordnung. Man darf sich allerdings fragen, warum Abfall einige Bürger drastisch mehr kostet als andere. Wer am Niederrhein wohnt, hat Pech gehabt. Da steht eine funkelnagelneue Müllverbrennungsanlage, mehr...

  • Rheinische Post: Neugier auf Obama Düsseldorf (ots) - Von Reinhold Michels Der deutsche Streit darüber, an welcher Stätte Berlins Barack Obama am 24. Juli eine Rede halten beziehungsweise es besser bleiben lassen sollte, wirkt peinlich. Und die Überhöhung des Brandenburger Tors zu einem nationalen Weihetempel, an dem Präsidenten sprechen dürfen, Präsidentschaftskandidaten aber deplatziert wirken, ist bestenfalls amüsant. Man betrachte das alltägliche Gewusel dort, schon wird klar: Ein Obama, selbst wenn er mit seinem Auftritt hauptsächlich Wahlkampf-Fotos aus Old Europe mehr...

  • Rheinische Post: Lufthansa-Dilemma Düsseldorf (ots) - Von Ulrike Winter Verdi zeigt sich im Lohnkampf für das Boden- und Kabinenpersonal der Lufthansa ehrgeizig und unnachgiebig: um an den Tariferfolg im öffentlichen Dienst anzuknüpfen, um sich gegen die kleinere Konkurrenzgewerkschaft Ufo zu profilieren. Mit dieser Strategie wird sich die Gewerkschaft langfristig keinen Dienst erweisen. Denn: Ruiniert Verdi den Deutschen die schönste Zeit des Jahres, werden sie sich weit weniger verständnisvoll zeigen als während der Streiks im öffentlichen Dienst. Viel schlimmer: Verdi mehr...

  • Stuttgarter Nachrichten: Lehrer Stuttgart (ots) - Schüler gegen Lehrer. Frontalunterricht wörtlich genommen. Die Tendenz der Proletarisierung des (Haupt-)Schulalltags ist seit längerem bekannt. Dass sich aus diesem aggressiven Klima gravierende Folgen für die Lehrergesundheit ergeben, überrascht nicht. Eine Studie der Uni Freiburg untermauert dies jetzt und formuliert ein klares pädagogische Profil: Lehrer müssen Autoritäten sein, um zu bestehen. Sie müssen mit Schülern umgehen können, die aus Elternhäusern ohne Umgangsformen kommen. Sie müssen stark sein und konsequent. mehr...

  • Deutschland-Trend im ARD-Morgenmagazin Bürger plädieren für die Wiedereinführung der vollen Pendlerpauschale Köln (ots) - Sperrfrist: 11.07.2008 00:00 Bitte beachten Sie, dass diese Meldung erst nach Ablauf der Sperrfrist zur Veröffentlichung frei gegeben ist. Im Auftrag des ARD-Morgenmagazins fragte Infratest dimap die Bundesbürger, ob sie angesichts der derzeit hohen Spritkosten für die Wiedereinführung der Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer sind. 82% der Befragten finden dies sinnvoll, 11% sind dagegen. Schränken steigende Preise die Urlaubsplanung ein? Weiter wollte das ARD-Morgenmagazin wissen, ob die Bürger aufgrund mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht