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DER STANDARD-Kommentar: "Ohne Blut, Schweiß und Tränen" von Gerald John

Geschrieben am 14-11-2013

"Trotz der budgetären Chaostage: Rücksichtsloses Sparen wäre
der falsche Weg"; Ausgabe vom 15.11.2013

Wien (ots) - Es stimmt also, was man sich über große Koalitionen
erzählt: Manche Dinge bringt nur diese Konstellation zusammen. Dass
eine Regierung ihren Ruf ruiniert, ehe sie überhaupt angetreten ist,
lässt sich als historisch singuläre Leistung verbuchen. Da stolpern
SPÖ und ÖVP demonstrativ ahnungslos in ein Budgetloch, rätseln eine
Woche lang über die Dimensionen, um schließlich per Handstreich
Wahlzuckerln zu entsorgen. Gründlicher lässt sich das Klischee des
Politikers, der nur bis zum nächsten Urnengang denkt, nicht erfüllen.
Nach den budgetären Chaostagen brauchen sich die Koalitionäre nicht
zu wundern, dass auch die nun als Fehlbetrag identifizierten 24
Milliarden Euro unter Misstrauensvorbehalt stehen. Was skeptisch
stimmt: Nach neuer Rechenart ist plötzlich nicht mehr vom
allgemeinen, sondern vom strukturellen Defizit die Rede. Diese Größe
ist an sich sinnvoll, weil sie das dauerhafte Minus des Staates
beziffert und Konjunkturschwankungen ausblendet, bildet aber nur
einen Teil der aktuellen Schwierigkeiten ab. In wirtschaftlich
schlechten Zeiten ist die strukturelle Lücke kleiner als jene, bei
der die gesamten Einnahmen und Ausgaben gegengerechnet werden. Das
Ziel des Nulldefizits sollte nach dieser Definition deshalb leichter
erreichbar sein, was die Koalition sicher nicht stört. Auch wenn die
EU mittlerweile mit den gleichen Maßstäben rechnet: Angesichts der an
Verschleierungen reichen Vorgeschichte drängt sich der Eindruck auf,
dass da ein Problem auf handlichere Dimensionen kleingerechnet wurde.
In der Sache allerdings ist es vernünftig, den Spardruck zu lindern.
Sich trotz verschlechterter Wirtschaftslage auf das Nulldefizit in
der Maximalvariante zu versteifen, verheißt eine nur noch misslichere
Lage. Das Budgetloch zeigt ja, wie sehr die lahme Konjunktur die
Konsolidierung hintertreibt. Legt die Regierung jetzt eine panische
Vollbremsung hin, droht eine neue Flaute - mit weiteren Lücken bei
den Einnahmen und steigenden Ausgaben für Arbeitslose. Exemplarisch
zeigt sich dieser Teufelskreis im Pensionsystem. Natürlich bekommen
SPÖ und ÖVP da auch die Rechnung für Sünden der Vergangenheit
präsentiert, als sie Tore in die Frühpension sperrangelweit
aufrissen, doch ein Gutteil des jüngst entstandenen Problems ist
Folge verdüsterter Konjunkturprognosen. Die Regierung kann noch
zehnmal am Pensionssystem herumdoktern - wenn die Wirtschaft
permanent schwächelt, werden die Versicherungsbeiträge einbrechen,
Unternehmen ältere Bedienstete hinausdrängen und Arbeitnehmer vor der
drohenden Arbeitslosigkeit in die Frühpension flüchten.
Rücksichtsloses Sparen à la Blut, Schweiß und Tränen ist deshalb der
falsche Weg. Her mit den berühmten Strukturreformen, die gleiche
Leistung bei weniger Kosten versprechen, aber keine tiefen
Einschnitte zulasten der konsumfreudigen unteren Einkommenschichten.
Außerdem braucht es Investitionen, in erster Linie in die Bildung.
Sonst raubt das kurzfristige Ziel des Nulldefizits dem Land die
langfristigen Chancen. Das Stopfmaterial für das Budgetloch sollte
aus einem gesunden Mix aus Einsparungen und Steuern stammen. Dass
Letztere, solange es sich nicht um Massenabgaben handelt, eine
wachstumsschonende Form der Konsolidierung darstellen, haben
mittlerweile auch so unsozialistische Institutionen wie der
internationale Währungsfonds festgestellt.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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