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DER STANDARD-Kommentar "Die Säuberung der Revolution" von Gudrun Harrer

Geschrieben am 26-07-2013

"Die Rolle der Muslimbrüder beim Umsturz 2011 muss
delegitimiert werden" - Ausgabe 27.7.2013

wien (ots) - Die ägyptische Justiz ist der Aufforderung von
Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon, den gestürzten Präsidenten Mohammed
Morsi freizulassen oder die Gründe für seine "Schutzhaft" - so nannte
es die Armee - darzulegen, prompt gefolgt: Die Palette der Anklage
reicht von Spionage und Landes- oder Hochverrat bis zu Mord. Die
verschwörerischen staatsfeindlichen Akte fanden während der
Revolution im Jänner und Februar 2011 statt - die der damals
gestürzte Präsident Hosni Mubarak und seine Anhänger wohl in ihrer
Gesamtheit als "staatsfeindlichen Akt" einstufen würden. Die
Muslimbrüder werden jedoch beschuldigt, den Umsturz mit Hilfe von
außen, von ihrer palästinensischen Schwesterorganisation Hamas,
betrieben zu haben. Dazu sei die Hamas auf ägyptischem Boden mit
Gewaltakten tätig geworden. Das ist durchaus denkbar, und prinzipiell
wäre das beziehungsweise etwas Ähnliches wohl in allen Ländern der
Welt ein Straftatbestand. Im Fall der Muslimbrüder und ihrer
Beteiligung an der Revolution ist die Motivation, die hinter den
Ermittlungen der Justiz steht, jedoch viel komplexer als dieser
Tatbestand. Ihre Rolle muss delegitimiert werden. Die
Kriminalisierung der Muslimbrüder ist der "Korrektionsbewegung" - um
noch einen historisch belasteten Begriff anzuwenden - so wichtig,
dass sie in Kauf nimmt, die Revolution, in deren Namen sie agiert, zu
beschädigen. Denn die Version, dass es eine Revolution einer jungen
urbanen Zivilgesellschaft im Namen der Freiheit und der politischen
Moderne war, würde durch die Morsi-Anklage ja wohl widerlegt. Die
Behauptung, dass die Muslimbrüder sich erst sehr spät der Bewegung
anschlossen, veranlasste 2011 viele Kommentatoren weltweit dazu, das
Ende des politischen Islam zu verkünden. Und nun war die Revolution
also doch von Anfang an nur ein Muslimbrüder-Komplott - wie das die
Anhänger des Ancien Régime immer gesagt haben? Das war sie natürlich
nicht, aber das Muslimbrüder-Element muss nun gänzlich entfernt
werden, um der Revolution von 2011 ihre ganze Gloriosität
zurückzugeben beziehungsweise sie zu "vollenden". Die Säuberung hat
begonnen. Man darf gespannt sein, was als Nächstes kommt. Es ist
durchaus vorstellbar, dass die Säuberungswelle noch andere Kreise -
zum Beispiel Teile des Sicherheitsapparats, die mit den Muslimbrüdern
kooperiert haben - erfasst. Viele Ägypter und Ägypterinnen beginnen
ja schon zu unterscheiden zwischen der bösen Armee der
Militärherrschaft unter Feldmarschall Hussein al-Tantawi, der
2011/2012 die Macht nicht abgeben wollte und die Menschenrechte mit
Füßen trat, und der jetzigen guten Armee unter Abdelfattah al-Sisi.
Die Bewegung Tamarod (Rebellion), die den Sturz Morsis mit einer
Unterschriftenaktion eingeleitet hat, unterstützte am Donnerstag
General Sisis Aufruf, ihm ein Mandat zur "Bekämpfung des Terrorismus"
zu geben. Die Unterstützung koppelt Tamarod mit der Forderung, die
US-Botschafterin Anne Patterson des Landes zu verweisen, weil diese
es, zynisch gesagt, am nötigen Enthusiasmus für die politischen
Vorgänge in Kairo fehlen lässt. Die Ägypter machen es einem im Moment
wirklich nicht leicht. Dass es mit den Muslimbrüdern an der Spitze
nicht mehr weiterging, war schon nachvollziehbar. Aber irgendwann
muss das Revolutionsgetöse auch wieder aufhören.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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