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BERLINER MORGENPOST: Der Stilbruch der Kanzlerin; Hajo Schumacher über Angela Merkel, die Flut und den Bundestagswahlkampf

Geschrieben am 04-06-2013

Berlin (ots) - So viel Mutti war nie. Zuerst waren die
Champions-League-Helden des FC Bayern dran. Innig wie nie zog Angela
Merkel einen verdatterten Fußballer namens Schweini und manchen
seiner Kollegen so dicht an sich, dass Erstickungen zu befürchten
waren. Dann war der deutsche Mieter an der Reihe. Kühn hatte sich die
Kanzlerin die sozialdemokratische Idee von der Mietpreisbremse
gegriffen. Fortan wurden Rentner und Familien mit Wohltaten umgarnt.
Und jetzt die Flutgeplagten. Man meint, die Handschrift früherer
Regierungssprecher zu erkennen. Die Bundeskanzlerin versucht sich im
Hybrid-Wahlkampf. Sie vereint gleich drei vermeintliche
Erfolgsrezepte: die "asymmetrische Demobilisierung" des Jahres 2009,
als sie der SPD die Themen stahl, dazu Kohls Wohltaten und Schröders
Rettergestus. Angela Merkel scheint ihre eigene Laufzeitverlängerung
erzwingen zu wollen. Ob das funktioniert? Glauben die Menschen den
Gummistiefel-Bildern so wie vor elf Jahren? Oder durchblickt eine
Castingshow-gestählte Wählerschaft, dass zwischen medialer Bühne und
Realität bisweilen eine Glaubwürdigkeitslücke klafft? Riskiert Merkel
ihren Markenkern, die unaufgeregte Coolness, wenn sie das Spiel der
anderen plötzlich mitmacht? Als ihr Vorgänger durch den Schlamm
stiefelte, herrschte eine andere Zeit. Schröder hatte sich mit seinem
"Nein" zum Irak-Krieg in die Herzen seiner USA-skeptischen Partei
zurückkatapultiert, Herausforderer Stoiber stolperte zugleich herum.
Die Stolperer sind das einzige Kontinuum. Denn Peer Steinbrück wäre
wohl bei der Spargelfahrt der Parteifreunde vom Seeheimer Kreis
aufgekreuzt, wäre diese nicht in letzter Sekunde abgesagt worden.
Warum findet sich in der ganzen SPD kein Stratege, der einen klugen
Gegenentwurf zur Flut-Show wagt? Wer fragt nach den Ursachen des
Hochwassers und bietet Lösungen, wie solche Katastrophen künftig zu
verhindern sind? Wo ist Steinbrück in einer Phase, da die
Regierungschefin mit viel Getöse ihre Nervosität überspielt? Merkels
Stilbruch ist nicht nur offenkundig, sondern auch verdächtig. Eine
bislang konsequent kühl auftretende Kanzlerin zeigt plötzlich
kalkulierte Gefühle nach außen und Nerven nach innen. Guttenberg,
Wulff, Röttgen, McAllister, Mappus, Schavan sind weg, dazu leiser
Dauerzoff mit Ursula von der Leyen und der Drohnen-Skandal ihres
engsten Vertrauten de Mazière, der ausgesprochen unelegant
kommunizierte Wechsel von Klaedens zur Daimler AG, das Murren der
AfD-Hysteriker - die Kanzlerin erlebt jene anschwellende Einsamkeit,
die all ihre Vorgänger durchmachten. Am Ende wird gleichwohl alles
davon abhängen, ob sie den kraftvollen Eindruck vermittelt: Ich kann!
Ich will! Niemand beherrschte die Kunst der persönlichen
Mobilisierung wie einst Gerhard Schröder. Er wusste, dass er allein
das Ding entscheiden musste und krächzte bei seinen letzten
Auftritten nur noch. Aber er ballte die Faust. Der Mann brannte.
Dieses Feuer wird auch Angela Merkel entfachen müssen. Am Ende zählen
nicht Bilder, sondern ein flammendes Herz.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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