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DER STANDARD-Kommentar "Prügelei in der Sandkiste" von Gianluca Wallisch

Geschrieben am 21-04-2013

"Italiens Politiker weigern sich, die Probleme des Landes zu
ernst zu nehmen" - Ausgabe 22.4.2013

wien (ots) - Giorgio Napolitano gebührt Respekt. In einem Alter,
in dem neuerdings sogar Päpste zurücktreten, weil sie es sich nicht
mehr zutrauen, die Bürde ihres Amtes weiterhin zu schultern, lässt
sich der greise Staatsmann überreden, für eine zweite siebenjährige
Amtszeit zu kandidieren und Italien zu so etwas wie einer Regierung
zu verhelfen. Aus Jux, Tollerei oder gar Machtgier handelt Napolitano
dabei sicher nicht. Es kann kein Spaß sein, als bald 88-Jähriger eine
Prügelei schlichten zu müssen, in der sich durchaus erwachsene Männer
seit Wochen die Nase blutig schlagen und doch keinen Millimeter
weichen. Da hält der 76-jährige Silvio Berlusconi den Jungspund Pier
Luigi Bersani, 61, eisern im Schwitzkasten, lächelt eiskalt, lässt
sich anfeuern und denkt nicht daran loszulassen. Hie und da fährt
Beppe Grillo, 64, dazwischen, brüllt wie besessen, tritt auf die am
Boden Liegenden ein und kann nur mit Mühe zurückgehalten werden, die
Lage noch zusätzlich zu verschlimmern. Lustig? Nein, überhaupt nicht.
Im Gegenteil. In Italien sind gerade wieder Millionen von Wählern
bitter enttäuscht. Wenn man sich im Land umhört, mit den Leuten
spricht, Blogs liest und Facebook- und Twitter-Einträge studiert, so
glaubten viele bis vor kurzem daran, dass sich diesmal etwas ändert,
aber wirklich. Zu absurd erschien vielen der Gedanke, dass die
Politikerkaste aus den politischen Katastrophen der vergangenen
Jahrzehnte noch immer nichts gelernt hat. Doch die Parlamentswahlen
vor zwei Monaten - aus denen noch immer keine Regierung
hervorgegangen ist, deren Zustandekommen mehr denn je vom
Verhandlungsgeschick des alten neuen Staatspräsidenten abhängig ist -
haben die Italiener wieder einmal auf den Boden der Realität geholt.
Es gibt kein neues Zeitalter und keinen neuen Stil in der Politik.
Keine Besinnung darauf, dass es eigentlich ein Wunder ist, dass man
von der EU noch immer in Ruhe gelassen wird trotz exorbitant hoher
und brandgefährlicher Verschuldungsquote. Alles wie gehabt. Jene,
die schon vor der Wahl überzeugt waren, dass es keinen anderen Ausweg
aus der Misere geben kann als einen kompletten Neustart des Landes,
wählten Beppe Grillo und seine Protestbewegung. Doch auch der
ehemalige Kabarettist weiß nicht wirklich, wohin die Reise gehen
soll. Er überspielt seine Konzeptlosigkeit mit Fundamentalopposition.
Tatsächliche Expertise haben er und seine Mitstreiter bisher
vermissen lassen. Immerhin hat der Zornbinkel kürzlich erstmals
signalisiert, dass er mit sich reden lassen könnte - freilich zu
Bedingungen, auf die die "alten" Politiker nie im Leben eingehen
würden. Italien wird noch lange warten müssen auf eine "neue"
Politik im Sinne pragmatisch-lösungsorientierten Handelns. Solange
die Absicherung des eigenen Machtgefüges einzige Priorität zu sein
scheint, wird es mehr bedürfen als einer bloß jüngeren Generation von
Politikern, die etwa in der Person von Matteo Renzi schon auf sich
aufmerksam machen. Der smarte Jungpolitiker, denn in Italien gilt man
mit 38 noch fast als Lehrling in dieser Profession, mag zwar der Mann
der Zukunft sein - doch sein Handwerk hat er in denselben Kadern
gelernt, aus denen schon bisher alle führenden Politiker des Landes
kamen. Immerhin, er könnte zumindest Berlusconi in den Griff
kriegen. Renzi ist nämlich angeblich der Einzige, vor dem sich der
Cavaliere fürchtet.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom

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