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Landeszeitung Lüneburg: Zu früh für Abgesang auf die USA / Amerikanistik-Professor Crister S. Garrett erwartet Annäherung der zerstrittenen Lager und wirtschaftlichen Aufschwung

Geschrieben am 08-11-2012

Lüneburg (ots) - Vier weitere Jahre verschafften die Wähler
US-Präsident Barack Obama. Kann er den lähmenden Kulturkampf mit den
oppositionellen Republikanern befrieden? Können sich die USA
gegenüber dem selbstbewusster werdenden Rivalen China, bei dem sie
tief in der Kreide stehen, behaupten? Professor Crister S. Garret,
der an der Uni Leipzig Amerikanistik lehrt, wagt einen Ausblick auf
die Entwicklung in seinem Heimatland in den nächsten vier Jahren.

In seiner ersten Amtszeit scheiterte Barack Obama daran, die USA
zu einen. Hat er diesmal eine Chance, den Kulturkampf zwischen den
Lagern zu überwinden?

Prof. Crister S. Garrett: Es sieht heute in dieser Hinsicht besser
aus als vor vier Jahren. Damals war die Lage trotz der Euphorie in
den USA schwieriger, weil die Republikaner vor der Aufgabe standen,
die Tea Party zu integrieren und ihre Oppositionsrolle zu finden.
Nach den Ergebnissen vom Dienstag senden aber sowohl der US-Präsident
als auch die Republikaner Signale, aufeinander zugehen zu wollen.
Obwohl das Land nach wie vor sehr zerstritten ist, sind die Chancen,
die Kluft zu überwinden, deutlich größer geworden.

Noch vor einem Jahr sah es so aus, als ob Barack Obama keine
Chance auf eine Wiederwahl hätte. Was war entscheidend für sein
Comeback?

Prof. Garrett: Die Wähler hatten zwei klar zu unterscheidende
Optionen. Mitt Romney argumentierte, dass der Staat die amerikanische
Gesellschaft und die Bürger einenge. Dagegegen hatte Barack Obama
argumentiert, damit die Bürger überhaupt Zugang zum amerikanischen
Traum bekommen können, muss der Staat eine Rolle spielen. Und bei
dieser Wahl fanden die Bürger ein Konzept der Fairness und des
Miteinanders überzeugender als eines, das den Staat zurückstutzen
wollte und auf Individualismus setzte.

Wird Obama im Dezember erneut versuchen, die Republikaner zu
umarmen oder wird er sie würgen, damit sie mit ihm das drohende
fiscal cliff umschiffen?

Prof. Garrett: Wir hören von beiden Seiten versöhnliche Töne. Die
Auswirkungen der fiskalischen Klippe - automatische Ausgabenkürzungen
und Steuererhöhungen, falls die Politiker sich nicht einigen - sind
so groß, dass ganz Washington diese Klippe umschiffen will. Obama hat
klargemacht, dass er sich nicht von den Republikanern im Kongress
erpressen lassen will, eine bloße, befristete Erhöhung der
Verschuldungsobergrenze wird es mit ihm nicht noch mal geben. Ich
erwarte einen Kompromiss.

Jobs, Dream-Act, Klimawandel - was wird Herzstück von Obamas
zweiter Amtszeit?

Prof. Garrett: Im ersten Jahr wird der Fokus zunächst auf der
Steuerpolitik liegen, dann auf dem Haushalt, anschließend auf der
Einwanderungspolitik - also dem Dream-Act. Zwar war letzteres kaum
ein Thema im Wahlkampf, weil es für Demokraten wie für Republikaner
ein schwieriges Thema ist. Dennoch ist es zentral, weil die
Republikaner gerade lernen mussten: Wollen sie wieder ins Weiße Haus,
müssen sie eine neue Politik in der Mitte der Gesellschaft
definieren. Als nächstes dürfte auf Barack Obamas Agenda die
Ausbildungspolitik stehen, schließlich der Versuch, Amerika
unabhängig von der Einfuhr von Energie zu machen. Eng damit verbunden
ist die Umweltpolitik, die Förderung erneuerbarer Energien und der
Abschluss globaler Vereinbarungen über Umweltschutzziele.

Die Wahl zeigte: Der demographische Wandel arbeitet gegen die
Republikaner. Wie können sie attraktiver für die wichtiger werdende
Gruppe der Latinos werden?

Prof. Garrett: Dies ist eine zentrale Herausforderung für die
Partei. Dieses Mal hatten 75 Prozent der Latinos für Obama gestimmt,
vor vier Jahren waren es rund 60 Prozent. Anders als Mitt Romney war
George W. Bush durchaus erfolgreich in der Wählerschicht der Latinos.
Progressiv zu sein, ist keine Erfolgsgarantie in dieser Gruppe, dazu
sind die Latinos zu vielfältig: Viele kubanischstämmige Amerikaner
sind eher sozialkonservativ. Das ergibt ebenso gemeinsame
Schnittmengen mit den Republikanern wie die wirtschaftlich
konservative Haltung vieler Mexikaner. Alle haben progressive
Vorstellungen in der Ausbildung- wie der Einwanderungspolitik. Zwar
können die Republikaner bei den Latinos durchaus punkten, aber dazu
müssen sie sich den Einwanderern gegenüber offener positionieren.

Der Kongress bleibt gespalten. Bleibt auch die Lähmung?

Prof. Garrett: Die Republikaner sind derzeit in derselben
Situation wie die Demokraten in den 80er-Jahren: Sie sind eine sehr
zerstrittene Partei, der eine identifizierbare Linie bei ihrer
Hauptbotschaft fehlt. Das heißt, die Republikaner müssen erst zu sich
selbst finden. Bis dahin ist diese Partei gelähmt und die Gefahr hält
an, dass sie ihre Lähmung in den Gesetzgebungsprozess trägt. Nach
dieser Wahl wissen sie aber ganz genau, dass die überwiegende Zahl
der Amerikaner von ihnen erwartet, dass der Kongress mit dem
Präsidenten kooperiert. Der Druck auf die Führung der Partei im
Repräsentantenhaus wächst, beweisen zu müssen, dass man den
Präsidenten nicht nur blockieren, sondern auch mit ihm Probleme lösen
kann. Ich erwarte daher große Fortschritte in der Steuer- und
Haushaltspolitik innerhalb der nächsten 90 Tage.

Wird der Tea-Party-Flügel der Republikaner Mitt Romney zum
Sündenbock machen, weil er die reine Lehre nicht verkörpert hat?

Prof. Garrett: Das könnte durchaus sein. Aber solche scharfen Töne
können nicht überdecken, dass die Seele der Partei nicht von der Tea
Party definiert wird. Es gibt viele weltoffene, moderate
Republikaner, die bereit sind, eine Art Sozialstaat in den USA
mitaufzubauen. Zwar hat die populistische Basisbewegung der Tea Party
die Republikaner in der Wahlkampagne beflügelt, dafür aber in der
Tagespolitik gelähmt. Auch die Tea-Party-Vertreter stehen unter
Druck, ihre Regierungsfähigkeit beweisen zu müssen.

Droht den Republikanern eine Spaltung in einen nach rechts
rückenden Flügel unter Paul Ryan und eine moderatere Partei?

Prof. Garrett: Das glaube ich eher nicht. Ich erwarte eher, dass
die Republikaner auf dem rechten Flügel ihre Radikalität abbauen.
Nicht mal George W. Bush war es beispielsweise gelungen, die
Rentenpolitik völlig umzukrempeln - er wurde damals von seiner
eigenen Partei zurückgepfiffen. Die Tea-Party-Protagonisten der
Republikaner sind in der Pflicht, Wege zu finden, ihre Politik zu
vertreten ohne die eigene Partei zu zersplittern.

Welche Optionen hat Obama, um die De-Industrialisierung Amerikas
zu stoppen und Jobs zu schaffen?

Prof. Garrett: Die gute Botschaft für Barack Obama war, dass sich
die Wirtschaft zwar langsam, aber stetig erholt. Dies geht nach den
Prognosen so weiter und würde die Arbeitslosenzahlen weiter sinken
lassen. In den USA spricht man zwar bereits von einer laufenden
dritten Industriellen Revolution. Grüne Technologie kommt in den
Staaten anders voran als in Deutschland, nämlich über
Wagnis-Kapital-Projekte, die sich in bestimmten Bundesstaaten
konzentrieren: Kalifornien, Ohio, Texas; New York und Florida sind
Vorreiter bei der Rückkehr der Industriearbeitsplätze. Dennoch wird
die Industrie nie dieselbe Rolle spielen wie in Deutschland, wo es
25-27 Prozent Industriearbeitsplätze gibt. In den USA liegt die Quote
derzeit bei 13 Prozent. Läuft alles gut, liegt sie nach Obamas
zweiter Amtszeit bei 17 Prozent. Dennoch bleiben die USA eine
Dienstleistungsgesellschaft mit gut bezahlten Jobs für Ingenieure,
Designer und ähnliche Berufe.

Europa spielte im Wahlkampf lediglich als sozialstaatliches
Schreckgespenst eine Rolle. Rutscht der alte Kontinent unter den
Aufmerksamkeitshorizont des pazifischen Präsidenten?

Prof. Garrett: In der Tat gab es im Wahlkampf ein paar plumpe
Republikaner-Parolen zu Europa, mehr nicht. Das ist aber eher eine
gute Nachricht, zeigt es doch, dass die Beziehungen zwischen den USA
auf der einen sowie Deutschland und Europa auf der anderen Seite sehr
stabil sind. Da existieren keine heiklen Themen. Gleichwohl
verschieben sich mit dem Aufstieg Chinas und Indiens die
amerikanischen Ressourcen Richtung Pazifik. Aber - das betont Obama
immer wieder - Europa und Deutschland, das er vermutlich 2013
besuchen wird, bleiben zentrale Partner der USA für die Politik in
der Region, aber auch für die Weltpolitik.

Marode Infrastruktur, eine bröckelnde ökonomische Basis, gefangen
im Schuldenturm: Verabschieden sich die USA unter Obama endgültig von
ihrem Weltmachtstatus?

Prof. Garrett: Sie haben recht, in der Infrastruktur, bei Straßen
oder Versorgungsleitungen, liegt sehr vieles im Argen. Aber das ist
auch eine Chance: Ich bin sicher, dass bis 2013 massiv in diesen
Bereich investiert wird. Aber dies ist kein Punkt, der direkt und
unmittelbar auf Amerikas Macht durchschlägt. Amerikas Weltmachtstatus
speist sich daraus, dass es noch immer 20 Prozent der Weltwirtschaft
repräsentiert, dass es global die mit Abstand größte Militärpräsenz
aufweist und dass es politisch und kulturell großen Einfluss ausübt.
In diesem Sinne bleiben die USA eine Weltmacht, auch wenn sich ihre
Macht natürlich mit dem Aufstieg Chinas, Indiens und Brasiliens
relativiert. Es ist zu früh, den Niedergang der USA herbeizureden.
Erholt sich die Wirtschaft weiter, könnte sich die Erfahrung der
späten 90er-Jahre wiederholen, als Amerika robuster und gestärkter
aus der Rezession hervorging.

Unmittelbar nach der US-Wahl gibt sich China eine neue Führung,
die vermutlich selbstbewusster auftrumpfen wird als die alte. Fördert
die innere Zerrissenheit der USA isolationistische Bestrebungen?

Prof. Garrett: Zwar ist "Nationbuilding at home" für Obama ein
großes Thema. Doch wirklich isolieren können sich die USA nicht, dazu
ist die Wirtschaft viel zu sehr verzahnt mit der Welt. Zudem haben
die USA zu viele Interessen und Verbündete weltweit, um sich auf
ihren Kontinent zurückzuziehen. Gerade im heraufziehenden pazifischen
Jahrhundert drängen Japan, Australien, Vietnam, Indonesion und
Thailand auf mehr US-Präsenz in der Region. Amerika wird die mit dem
Abzug aus Afghanistan freiwerdenden Ressourcen verstärkt im Innern
einsetzen. Aber das wird nicht in eine freiwillige Selbstisolation
münden.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


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