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BERLINER MORGENPOST: Der Mindestlohn "light", die richtige Kehrtwende

Geschrieben am 31-10-2011

Berlin (ots) - Egal, ob man sie Finanz-, Schulden- oder Euro-Krise
nennt - die fundamentale Erschütterung des westlichen
Wirtschaftssystems hat auch die letzten Gläubigen vom Neoliberalismus
abfallen lassen. Der Markt regelt eben nicht alles. Er muss
gebändigt, ihm müssen Rahmenbedingungen verordnet und er darf nicht
zum Selbstzweck werden. Er hat den Menschen nützlich zu sein. Nichts
anderes verfolgt die soziale Marktwirtschaft. Das Attribut "sozial"
ist in den vergangenen Jahren allerdings bedenklich oft verdrängt
worden. Das hat auf dem Arbeitsmarkt zu nicht länger tolerierbaren
Fehlentwicklungen geführt. Eine Einsicht, die endlich auch in der CDU
und bei Kanzlerin Angela Merkel einen Umdenkungsprozess ausgelöst
hat. Acht Jahre nach dem von neoliberalen Glaubenssätzen geprägten
Leipziger Parteitag will die CDU in diesem Monat bei ihrem
Parteikonvent die nächste Kehrtwende beschließen - übrigens wieder in
Leipzig. Bisher stand sie auf dem parteiprogrammatischen Index, nun
soll Deutschland doch eine Lohnuntergrenze verordnet werden. Eine Art
Mindestlohn "light". Nach dem Abschied von Kernenergie und
Wehrpflicht stoße Merkels Union ihre Stammklientel damit einmal mehr
schwer vor den Kopf, warnen Kritiker. Doch mit ihrer Stammklientel
kommt die CDU nicht mehr weit. Und vertraute Positionen wackeln, wenn
sie von der Realität überholt werden. Fukushima hat das Vertrauen in
die Kernenergie endgültig erschüttert, die Auslandseinsätze der
Bundeswehr haben die Wehrpflicht obsolet werden lassen. Nun sind es
die sich immer stärker ausbreitenden Minimallöhne, die mit keinem
noch so bemühten Argument überzeugend zu verteidigen sind. Wenn eine
Vollarbeitskraft ihren Lebensunterhalt nicht mehr mit dem
ausgezahlten Lohn bestreiten kann, erschallt zu Recht die Frage nach
der Gerechtigkeit in dieser Wirtschaftsordnung. Die wird um so
lauter, wenn Arbeitgeber gezielt nur Niedrigstlöhne um die vier bis
fünf Euro zahlen - im Wissen, dass der Staat den Rest besorgt. Solche
Kombi-Löhne, einst als Einstiegschance für Schlechtqualifizierte
erdacht, haben sich längst verselbständigt und sind zu
Lohnsubventionen in nie gewolltem Ausmaß geworden. Sie passen auch
nicht zu einer sozialen Marktwirtschaft. Wer in der keinen
marktgerechten Lohn zahlen kann, ist nicht wettbewerbsfähig. Die CDU
tut im Übrigen gut daran, weder der Forderung der SPD noch der
Gewerkschaft nach einem staatlich verordneten Mindestlohn zu folgen.
Um das hohe Gut der Tariffreiheit zu wahren, sollen deshalb
Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände die allgemeingültige
Lohnuntergrenze für die letzten Branchen aushandeln, in denen
freibeuterische Tarifwillkür herrscht. Die direkt betroffenen
Parteien wissen besser als die Politiker, was am Markt machbar ist.
Erprobte Mindestlohnregelungen in vielen Branchen belegen das. Neben
dem gesellschaftspolitischen Ziel, eine nicht nur gefühlte
Ungerechtigkeit innerhalb unseres ohnehin angeschlagenen
Wirtschaftssystems zu beseitigen, verfolgt die CDU zweifellos auch
ein wahltaktisches. Kommt die Lohnuntergrenze, hat die SPD 2013 noch
eine Wahlkampfwaffe weniger gegen Angela Merkel und die Union.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Chef vom Dienst

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


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