(Registrieren)

BERLINER MORGENPOST: In Berlin ist noch alles offen - Leitartikel

Geschrieben am 01-04-2011

Berlin (ots) - Die Ergebnisse des Wahljahres 2011 haben nur eines
gezeigt: Prognosen verbieten sich. Zu schnell rauschen
Empörungswellen unterschiedlichster Relevanz durchs Land:
Dioxin-Eier, Ägypten/Tunesien, Guttenberg, E10, Atomkraft und Libyen,
zuvor Wikileaks und Sarrazin. Jede dieser Wellen hätte die Kraft
gehabt, jene paar Tausend unentschlossene Wähler zu mobilisieren, die
eine Wahl oft entscheiden. Berlins Wahlkämpfer fragen sich: Was
bedeutet eine hysteriebereite Öffentlichkeit, was lehren Stuttgart,
Mainz und Hamburg für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus? Sicher ist
allenfalls: Eine absolute Mehrheit wie in Hamburg wird es in der
Hauptstadt nicht geben. Die FDP wird in einer Regierungskoalition
wohl nicht vertreten sein - unabhängig davon, wie das Gerangel um
Westerwelle ausgeht. Und die Linke kann nur zulegen, wenn sich die
wirtschaftliche Lage schlagartig dramatisch verschlechtert und neue
soziale Fragen aufgeworfen werfen. Für Außenseiter Frank Henkel
spricht der Kretschmann-Faktor. Der gebürtige Ost-Berliner, der in
den Westen migrierte, ist zeitlos bodenständig, eher unaufgeregt als
Scharfmacher, mehr Eckkneipe als Berlinale. Was gegen Henkel spricht:
Der CDU-Spitzenkandidat hat nur eine bedingte Machtperspektive - nur
als Juniorpartner und nur unter ganz bestimmten Stimmverteilungen.
Umfragen weisen auf einen Zweikampf zwischen SPD und Grünen hin, eine
Regierung wird wohl zwischen Rot und Grün ausgehandelt. Deren
Spitzenkandidatin Renate Künast hat mit Wohlgefallen den Triumph
ihres Parteifreundes in Baden-Württemberg gesehen. Einerseits hat
Kretschmann der Berlinerin das historische "erste Mal" entwunden,
andererseits kann er Angst vor einer grünen Landesregierung nehmen -
sofern in Stuttgart nicht die Fehler aus Hamburg wiederholt werden.
Sollte Kretschmann im bildungsstolzen Baden-Württemberg die Axt
zuerst ans Schulsystem legen, Steuern erhöhen und Bürokratie
vervielfachen, so wie es im 241 Seiten starken Wahlprogramm steht,
dann reduzierte der Südwesten die Chancen der Grünen in Berlin.
Bleibt der Amtsinhaber: Die viel kritisierte rot-rote Koalition von
Klaus Wowereit war ein weithin sichtbares Ost-West-Projekt, das einer
zerteilten Stadt so etwas wie kulturellen Kitt verpasste. Ein
strategischer Vorteil für das Linksbündnis. Heute zeigen im rot-roten
Berlin einige Kurven nach oben, viele Probleme aber bleiben.
Schwarz-Gelb, Rot-Grün, selbst eine große Koalition werden hier von
einem Teil der Bürger immer erst mal als Bündnisse des alten Westens
gesehen - in Berlin müssten sie sich neu definieren und beweisen.
Gern weist der Regierende auf seinen erfolgreichen Hamburger Kollegen
hin. Nur: Olaf Scholz war der Neue, der andere, der die Hansestadt
nach quälenden Jahren politischer Experimente zu befrieden versprach.
Wowereit dagegen ist bereits seit zwei Amtszeiten im Dienst und muss
eher den Beck-Faktor fürchten, jenen schleichenden Verschleiß, der
sich nach zwei gewonnenen Wahlen fast immer einstellt. Fazit: Es wird
knapp. Ein Zusammengetretener in der U-Bahn, Umweltkatastrophe oder
Terroranschlag irgendwo auf der Welt, Wasserpreise, Flugrouten oder
etwas gänzlich Unerwartetes können in den Tagen vor der Wahl den
gefürchteten - oder erhofften - Swing bedeuten. Sicher ist nur eines:
Wer gar nicht wählt, soll sich hinterher nicht beschweren.



Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

324421

weitere Artikel:
  • Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Westerwelle und die FDP Bielefeld (ots) - Wenn Guido Westerwelle vom Amt des FDP-Parteivorsitzenden zurücktritt, wird ihn niemand bedauern müssen. Dazu ist der Anteil des 49-Jährigen am Absturz der Liberalen zu groß. Wer aber glaubt, dass die Probleme der Partei mit einem Wechsel auf dem Chefsessel gelöst wären, irrt. Vielleicht ist es das größte Dilemma der Liberalen überhaupt, dass der Name Westerwelle wie ein Synonym für die FDP steht - lange in guten und nun in ganz schlechten Zeiten. Seit die FDP bei der Bundestagswahl 2009 sagenhafte 14,6 Prozent erreichte mehr...

  • Rheinische Post: Die FDP nach Westerwelle Düsseldorf (ots) - Ein Kommentar von Gregor Mayntz: Das neue Jahrzehnt bringt offenbar einen neuen Typus Politiker hervor. Früher konnte die Teilhabe an der Macht nicht lang genug sein, heute zucken sie eher davor zurück. Roland Koch und Ole von Beust wollten sie nicht mehr. Christian Lindner und Philip Rösler hingegen wollen sie lieber noch nicht. Es mag sein, dass Rösler die Sorge umtreibt, dann Frau und Töchter noch seltener sehen zu können. Und es mag auch sein, dass Lindner lieber erst noch ein paar Jahre als Generalsekretär mehr...

  • Stuttgarter Nachrichten: Kommentar zu RWE Stuttgart (ots) - Freilich hat sich auch die Politik beim Moratorium für die Laufzeitverlängerung nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Sie hat den Energiekonzernen zwar eine Weisung zum Herunterfahren der Meiler zugestellt, auf einen "Sofortvollzug" aber verzichtet. Somit kann die Politik bei einer Schadenersatzklage das zynische Argument ins Feld führen, die AKW-Betreiber hätten die Meiler ja gar nicht so schnell herunterfahren müssen. (...) Gleichwohl tut sich die RWE mit ihren juristischen Winkelzügen keinen Gefallen. Wie lange es mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Energie / Atom / Unternehmen / RWE Osnabrück (ots) - Nicht alternativlos Nach dem Reaktorunglück in Japan haben der Bund und die betroffenen Länder mit Atomkraftwerken schnell gehandelt. Die gewandelte Stimmungslage führte zur Wende im Eiltempo, aber für eine gründliche Prüfung fehlte die Zeit. Experten zweifeln daher, ob der politisch gewollte Schwenk von Schwarz-Gelb zum atomkritischen Kurs rechtlich wasserdicht ist. So einfach geht das Stilllegen der Meiler juristisch nicht. RWE hat daher gute Chancen, sich mit der Klage gegen die Abschaltung von Biblis mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Elfenbeinküste / Konflikte Osnabrück (ots) - Abgang verpasst Der Konflikt in der Elfenbeinküste war schon in Vergessenheit geraten. Zu sehr beherrschen der libysche Bürgerkrieg sowie die Umstürze und Krisen in Nordafrika und Arabien die Schlagzeilen. Dabei spielt sich in Westafrika ein Szenario ab, das auch Libyens Machthaber Gaddafi fürchten muss. Der im vergangenen Jahr abgewählte Präsident Laurent Gbagbo steht mit dem Rücken zur Wand. Soldaten und Offiziere der Regierungstruppen laufen zur vorrückenden Armee seines durch die Wahl legitimierten Widersachers mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht