(Registrieren)

Berliner Morgenpost: Die Bundeswehr hat ihre Unschuld verloren - Leitartikel

Geschrieben am 07-09-2009

Berlin (ots) - Es gehört zu den gespenstischen Zynismen der
Demokratie, dass ein Bombenangriff mit vielen Toten in der Hochphase
des Bundestagswahlkampfes gnadenlos instrumentalisiert wird. Nicht
jeder, der Pietät im Blick führt, verhält sich auch entsprechend.
Es gehört auch zu den brutalen Realitäten eines Wahlkampfes, dass
sich die Akteure nicht länger hinter ihren Watte-Wänden ducken
können. Das Thema Afghanistan, von beiden Volksparteien einträchtig
klein gehalten, ist unversehens auf der Agenda; vielleicht nicht mit
der wahlentscheidenden Wucht, die Schröders Nein zum Irak-Krieg 2002
entfachte, aber doch wichtig genug, dass dem Wähler gute Argumente
präsentiert werden müssen. Wer mit strategischen Patentrezepten und
moralischem Allwissen daherkommt, will vor allem Stimmung machen.
In unübersichtlicher Lage ist zumindest so viel klar: Die Bundeswehr
hat ihre Unschuld verloren. Mit den Abwürfen zweier 200-Kilo-Bomben
am vergangenen Freitag, die offenbar von deutschen Soldaten auf
welcher Informationsgrundlage auch immer bestellt worden waren, ist
der Traum von den guten Onkels zerstoben, die nur Brunnen bohren und
Schulen streichen.
Zum ersten Mal seit dem Eintritt deutscher Truppen in internationale
Konflikte vor zehn Jahren ist Bundeswehrsoldaten womöglich ein Fehler
von dramatischer Größenordnung unterlaufen. Die Nato-Partner dürften
nicht ohne tückische Genugtuung registrieren, dass die deutschen
Saubermänner nun endlich angekommen sind auf dem Schlachtfeld
Afghanistan.
Mag die Bundesregierung auch semantische Akrobatik vollführen, warum
dieser Einsatz auf keinen Fall "Krieg" genannt werden darf, so ist
doch klar, dass alle Schmutzigkeiten eines Krieges gegeben sind. Dazu
gehört auch, dass die Nato-Partner schnell bei der Hand waren, die
Verantwortung für das Bombardement nach Berlin zu schieben.
Zu klären ist, ob Verteidigungsminister Franz Josef Jung über die
nötige internationale Härte verfügt, die Bundesrepublik in diesem
unschönen Spiel namens "blame game" zu vertreten. Während sich
US-Oberbefehlshaber McChrystal bereits beim afghanischen Präsidenten
Karsai entschuldigte, ließ Jung noch vergeblich streuen, es seien
wohl keine Zivilisten getötet worden. Guter Stil sieht anders aus.
Offenbar waren US-Offiziere ebenfalls schneller, als es darum ging,
den Schuldigen zu benennen. Während Deutschland noch rätselte,
lieferte die "Washington Post" bereits die amerikanische Version der
Wahrheit. Demnach trägt alle Schuld allein ein deutscher Oberst. Das
ist schon deswegen Unsinn, weil der Bundeswehreinsatz auf einem
Parlamentsbeschluss fußt, den die Mehrheit der deutschen Abgeordneten
trägt. Diese Parlamentarier wiederum sind vom Volk gewählt.
Wir Deutschen können den Afghanistan-Einsatz weder an die Nato
delegieren noch an die Bundeswehr. Es ist unser aller Krieg,
demokratisch legitimiert. Alle damit verbundenen Dilemmata sind aus
der deutschen Geschichte hinreichend bekannt.

Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/53614
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2

Pressekontakt:
Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

223429

weitere Artikel:
  • Rheinische Post: Kommentar: Bundesstadt passé Düsseldorf (ots) - Die Zweiteilung der Bundesregierung in einen Regierungssitz Berlin und einen Dienstsitz Bonn ist ein Anachronismus. Man braucht kein Mathematiker oder glühender Berlin-Anhänger zu sein, um 360 tägliche Dienstflüge vom Rhein an die Spree und zurück als nicht zeitgemäß zu verurteilen. Die Bundesminister haben das Bonn/Berlin-Gesetz ohnehin faktisch ausgehebelt, indem sie ihre wichtigsten Mitarbeiter nach Berlin beordern, Abteilungen stillschweigend verlagern und sich selbst teilweise monatelang nicht an ihrem vermeintlichen mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Afghanistan / Bundeswehr Osnabrück (ots) - Ein Trauerspiel Die vergangenen acht Jahre waren für die Afghanistan-Mission in vielerlei Hinsicht acht verlorene Jahre. Und der Krieg gegen die Taliban geht verloren, wenn die NATO jetzt nicht die Nerven behält, eine realistische Strategie entwickelt und die nötigen Mittel zur Verfügung stellt. Doch statt eine Kehrtwende herbeizuführen, fallen die Mitgliedstaaten mit Schuldzuweisungen übereinander her. Was für ein Trauerspiel! Der heftige Streit über den von einem deutschen Oberst befohlenen Luftangriff hat mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Agrar / Milch Osnabrück (ots) - Hilflos in Brüssel Wie verzagt, wie hilflos. Die fruchtlosen Brüsseler Gespräche der EU-Agrarminister bringen die Milchbauern keinen Deut weiter. Fakt bleibt, dass die Milchtüte im Supermarktregal derzeit zu billig ist, um den Landwirten ein existenzsicherndes Einkommen zu bieten. Wer soll von einem durchschnittlichen Erzeugerpreis von 24 Cent pro Liter oder gar unter 20 Cent wie in Norddeutschland leben? Um die Milch-Malaise zu meistern, müssten die EU-Minister an einem Strang ziehen. Genau das Gegenteil geschieht. mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Iran / Konflikte / Atom Osnabrück (ots) - Ein wertloses Angebot Mohamed El Baradei hat recht: Der Streit über das iranische Atomprogramm steckt in der Sackgasse. Das Gesprächsangebot von Mahmud Ahmadinedschad trägt nicht dazu bei, eine neue Richtung einzuschlagen. Wenn der iranische Präsident in Bezug auf das Atomprogramm seines Landes von einer weltweiten Herausforderung spricht, heißt das indirekt: Teheran forscht nicht nur an ziviler Nukleartechnik. Zudem sieht er das Recht auf ein Atomprogramm, das "gerecht" - also gleichgestellt mit Atommächten - mehr...

  • Neue OZ: Kommentar zu Geschichte / Bundestag Osnabrück (ots) - Vertrauen zurückgewinnen Als Schutt und Trümmer nach dem Zweiten Weltkrieg noch vielerorts das Straßenbild prägten, tagten erstmals Abgeordnete des Deutschen Bundestages in Bonn. Kaum vorstellbar, unter welch einfachen Bedingungen der politische Alltag begann. 60 Jahre sind seither vergangen - und dieses Jubiläum verdient es, gebührend gefeiert zu werden. In dieser Zeit haben Parlamentarier die Weichen für den Rechts- und Sozialstaat, für Frieden, Freiheit und Wohlstand gestellt. Darauf kann, ja darf ein Land stolz mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht