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Landeszeitung Lüneburg: Landeszeitung Lüneburg: ,,Atomkraftwerke sind nicht beliebig nachrüstbar" - Nuklear-Experte Stephan Kurth zu den Pannen in Krümmel und zur Zukunft der Atomenergie.

Geschrieben am 09-07-2009

Lüneburg (ots) - Müssen Krümmel und die sieben anderen alten
Kernkraftwerke, wie Umweltminister Gabriel fordert, abgeschaltet
werden?

Stephan Kurth: Krümmel kann abgeschaltet werden, ohne dass es
massive Auswirkungen auf die Stromversorgung in Deutschland hat.
Sollten sich die Betreiber dafür entscheiden, können die
Reststrommengen auf neuere Anlagen übertragen werden, um
wirtschaftliche Einbußen zu vermeiden.

Sollte es denn abgeschaltet werden?

Kurth: Wenn die Aufsichtsbehörde zu der Ansicht kommt, dass
eklatante Sicherheitsmängel vorliegen, muss sie den weiteren Betrieb
untersagen. Die Anlage ist zurzeit ja auch außer Betrieb. Zunächst
muss die Ursachensuche zum Ereignis abgeschlossen werden.

Selbst die Bundesregierung zählt neuesten Meldungen zufolge diesen
Reaktortyp nicht mehr zu den sicherstenu

Kurth: Selbst die neuesten deutschen Reaktoren haben bereits 20
Jahre auf dem Buckel. In Deutschland haben wir Druck"wasser- und
Siedewasserreaktoren. Krümmel gehört zu den Siedewasserreaktoren,
ging 1983 ans Netz. Die neuesten und fortschrittlichsten deutschen
Anlagen sind Druckwasserreaktoren. Wenn man über Deutschland
hinausgeht, gibt es beispielsweise in den USA Weiterentwicklungen
auch bei den Siedewasserreaktoren, die weitergehende
Sicherheitsmerkmale haben. Die Technik bleibt eben nicht stehen. So
gesehen haben wir in Deutschland nur alte Anlagen.

Also hinken wir hinterher?

Kurth: Alte Anlagen kann man zwar im Detail nachbessern, aber
gewisse Grundmerkmale bleiben. Ein einfaches Beispiel ist die Dicke
des Betonmantels, der vor Flugzeugabstürzen und anderen Ein-wirkungen
schützen soll. Man kann bestehende Anlagen nicht beliebig nachrüsten.
So bringt die Zeit es mit sich, dass ältere Anlagen immer stärker von
dem Standard abweichen, den man erreichen könnte.

Dennoch behauptete Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther
Oettinger nach dem jüngsten Pannenfall in Krümmel: ,,Wir haben die
sichersten Atomkraftwerke der Welt. Ist diese Aussage haltbar?

Kurth: Es ist richtig, den Anspruch zu erheben, die sichersten
Atomkraftwerke der Welt zu haben. Die Frage nach den sichersten
Kernkraftwerken lässt sich aber nicht so einfach beantworten, denn
ein belastbarer Vergleich ist dazu bisher nicht geführt worden. Es
wäre eine gefährliche Absicht, Kernkraftwerke länger laufen zu
lassen, die lediglich den Stand der Technik erfüllen. Das wäre ein
deutlicher Rückschritt in Sachen Sicherheit gegenüber dem heutigen
Stand. Das Atomgesetz fordert eine weitergehende Schadensvorsorge,
die dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen muss.

Kann der Störfall in Krümmel, wie die stellvertretende
CDU-Vorsitzende Annette Schavan sagte, als Einzelfall abgetan werden?

Kurth: Jeder Störfall hat eine gewisse Einzigartigkeit, weil nicht
immer alle Randbedingungen vergleichbar sind. Nichtsdestotrotz zeigt
die Betriebserfahrung, dass gewisse sicherheitsrelevante Ereignisse
und gleiche oder ähnliche Ursachen für Ereignisse immer wieder
auftreten. Insofern ist die Tatsache, dass Kernkraftwerke eben nicht
100-prozentig sicher sind, kein Einzelfall.

Vattenfall hat nun, Tage nach dem Kurzschluss, Fehler beim
Überprüfen des Transformators eingeräumt. Experten halten es nicht
für ungewöhnlich, dass ein Transformator, der zwei Jahre außer
Betrieb war, schlagartiger Belastung nicht standhält. Muss man hier
von Dilettantismus oder Fahrlässigkeit sprechen?

Kurth: Es gibt genügend Beispiele, dass aus Erfahrungen nicht
ausreichend gelernt wird. Fehler wiederholen sich zwar nicht immer in
genau identischer Weise, aber doch auf vergleichbare Art. Das muss
bei der Überprüfung immer ins Kalkül gezogen werden, um
Wiederholungen zu vermeiden -- siehe Trafo-Schaden.

Zurück zur Trafo-Belas"tung. Die Atomaufsichtsbehörde hatte die
Messung von Restladungen sogar vorgeschrieben. Das wurde versäumt.
Darf das passieren?

Kurth: Auf gar keinen Fall. Sofern es dazu eine verbindliche
Vereinbarung gab, wäre dieses Versäumnis quasi ein weiteres Ereignis
auf der Mängelliste. Unabhängig davon ist die besondere Belastung
beim Hochfahren eigentlich ein Punkt, den man im Auge haben müsste.
Schon aus dem Eigeninteresse des Betreibers.

Die Transformatoren, die jetzt ersetzt werden sollen, sind Baujahr
75 und 82. Hätte Ersatz für die Mega-Umwandler von rund 400 Tonnen
angesichts der etwa ein- bis zweijährigen Bauzeit nicht längst in
Auftrag gegeben werden müssen?

Kurth: Hinterher ist man immer schlauer. Es ist schwer zu
beurteilen, ob man bei der Fehleranalyse zu dem Vorfall von 2007
darauf hätte kommen müssen, dass auch dieser Transformator
ausgetauscht werden muss. Durch den Brand war die Ursachensuche zudem
erschwert.

Die Transformatoren haben nichts mit dem Reaktor direkt zu tun,
sondern nur mit der Übertragung der erzeugten Energie. Welchen Rang
hat dieser Bereich der Stromerzeugung in der Störfallbewertung?

Kurth: Ein Ausfall des Trafos ohne weitere Folgen ist noch kein
nuklearer Störfall. Meldepflichtig wurde der Vorfall durch die
automatische Schnell"abschaltung, mit der in die Abläufe im Reaktor
eingegriffen wurde. Das Auffällige bei diesem Fall ist, dass man eine
Störung außerhalb des Reaktors hat, und man es nicht schafft, eine
Rückwirkung auf den Reaktor auszuschließen.

In Hamburg hatte die Krümmel-Abschaltung Stromausfälle und
Wasserrohrbrüche zur Folge. Wie kann das sein bzw. vermieden werden?

Kurth: Die Schnellabschaltung war erforderlich, um Schäden am
Reaktor zu vermeiden. Hier sieht man deutlich die Verknüpfung von
nicht-nuklearem und nuklearem Bereich. Die Systeme sind räumlich
getrennt, die Funktionen greifen aber ineinander. Dass nun außerhalb,
also bei Kunden, Schäden aufgetreten sind, ist ein Problem der
Netzstabilität.

Wir haben doch in Deutschland ein Verbundnetz, wie kann es da zu
solchen Versorgungslücken kommen?

Kurth: Offensichtlich waren die Reserven nicht verfügbar oder die
Umschaltung hat nicht schnell genug geklappt. Das liegt allerdings
nicht in der Verantwortung des Kraftwerks, sondern bei der
Netz-Zentrale.

Der fortschreitende Klimawandel beflügelt die Befürworter der
Atomenergie. Gleichzeitig wird sie als ,,Brückentechnologie" auf dem
Weg zu erneuerbaren Energien bezeichnet. Ist das nur eine
Beschwichtigung sorgenvoller Bürger oder eine ernsthafte Strategie
auf dem Weg zur Energie-Wende?

Kurth: Der ,,Brücken-Charakter" ergibt sich schon allein daraus,
dass die Uranvorräte begrenzt sind. Und zum anderen daraus, dass die
Kernenergie aufgrund ihrer Risiken in der Diskussion steht und nicht
dauerhaft akzeptiert wird. Von daher ergibt sich auch die Erfordernis
einer Energie-Wende.

Egal, ob es beim Ausstieg bleibt oder nicht, was bleibt ist der
Atommüll. Gibt es Hoffnung für ein sicheres Endlager?

Kurth: Es besteht der Anspruch, ein Endlager zu finden, das
bestmögliche Sicherheit gewährleistet. Ein vollständig risikofreies
Endlager ist Utopie. Wie lange und wo man den Atommüll sicher
unterbringen kann, muss wissenschaftlich geklärt werden. Darüber
hinaus sind Entscheidungen in der Politik notwendig. Das Thema darf
nicht vernachlässigt werden. Atommüll ist bereits vorhanden und
weiterer kommt dazu.

Das Endlager im ehemaligen Salzbergwerk Asse erweist sich als
Flop. Ist es vor diesem Hintergrund ratsam, weiterhin auf Gorleben,
ebenfalls ein Salzstock, als Endlager zu setzen?

Kurth: Eine Grundanforderung ist, dass das Auswahlverfahren
transparent sein muss. Ergebnisse und, ganz wichtig, auch die Risiken
müssen offen kommuniziert werden. Die Eignung der möglichen
Alternativen ist noch zu sehr in der wissenschaftlichen Diskussion,
als dass man sich heute schon festlegen kann.

Das Gespräch führte Dietlinde Terjung

Mit freundlichen Grüßen

Dietlinde Terjung
Nachrichtenredaktion/Politik
Telefon +49 (0)4131-740-283
Fax: +49 (0)4131-740-213
mailto: Dietlinde.Terjung@Landeszeitung.de
http://www.landeszeitung.de

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Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
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Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
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