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Südwest Presse: Leitartikel: Mehdorn

Geschrieben am 30-03-2009

Ulm (ots) - Porzellan zerschlagen
Respekt zollen ihm Regierungs- und Gewerkschaftskreise. Den hat sich
Hartmut Mehdorn, der scheidende Vorstandschef der Deutschen Bahn auch
verdient. Er hat in neun Jahren Amtszeit aus einem unrentablen,
schwerfälligen Behördenapparat mit angehängtem Schienenverkehr ein
hochwirtschaftliches, modernes Logistik- und
Dienstleistungsunternehmen gezimmert. Die Bilanz für 2008, die
Mehdorn ausgerechnet gestern, am Tag seines Rücktritts, vorlegen
konnte, spricht Bände: Trotz Krise ist Europas größter Bahnkonzern
gut aufgestellt und wäre durchaus attraktiv genug für einen
Börsengang. Sofern sich für den noch eine politische Mehrheit
aufstöbern ließe. Doch das ist auf absehbare Zeit nicht der Fall.
Damit hat Mehdorn eines seiner zentralen Ziele nicht erreicht. Sein
Anteil am Scheitern der Börsenpläne ist allerdings nicht groß.
Innerhalb der großen Koalition schmolz angesichts flauer Zeiten an
der Börse und lauter werdenden Widerstands unter den Bürgern die
Sympathie für ein solches Unterfangen. Mehdorn selbst gelang es
nicht, die Vorteile einer Teilprivatisierung deutlich zu machen. Kein
Wunder: Ein Unternehmen, das so maßgeblich die Infrastruktur und
damit die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschlands prägt, in
die Abhängigkeit von nach Rendite strebenden Aktionären zu geben,
wäre auch ohne Krise fragwürdig.
Abgesehen von dem leidigen Gezerre um den Börsengang, hat die Bahn
noch eine ganze Menge Hausaufgaben zu erledigen. Wie kann das
Schienennetz zukunftsfähig gemacht werden? Wie soll der Spagat
zwischen dem Wunsch nach schnellen Bahnanbindungen und der Vernetzung
ländlicher Gebiete gelingen? Wie kann sich die Bahn im
internationalen Wettbewerb behaupten? Welche Preispolitik wird dem
Wunsch nach höheren Fahrgastzahlen und der Rentabilität noch gerecht?
Mit all diesen Fragen muss sich Mehdorns Nachfolger befassen. Das
wird kein leichtes Unterfangen, zumal ihm die Politik kräftig ins
Geschäft reinredet. Die Herkulesaufgabe des neuen Chefs liegt
allerdings außerhalb der Betriebswirtschaft. Wer auch immer auf dem
Chefsessel der Deutschen Bahn Platz nehmen wird, muss das Vertrauen
von Kunden und Mitarbeitern in die Deutsche Bahn zurückgewinnen. In
dieser Hinsicht hat Mehdorn, der hemdsärmelige Macher, sehr viel
Porzellan zerschlagen.
Seine Amtszeit war gespickt von Skandälchen, Skandalen und
Sturheiten. Ein Teil betraf die Fahrgäste. Dazu zählt die nach wie
vor ungelöste Sicherheitsproblematik der Achsen der neuesten
ICE-Generation. Ein anderer Teil - man denke an die langwierigen
Tarifverhandlungen mit den Lokführern- störte das Miteinander mit den
Gewerkschaften. Der größte Teil aber ging das Verhältnis zu den
Mitarbeitern an. Die massenhafte Überprüfung des E-Mail-Verkehrs im
Rahmen des Anti-Korruptionskampfes mag legal gewesen sein, doch in
ihrer Dimension war sie keinesfalls legitim. Einen Generalverdacht
gegen die Belegschaft zu hegen gehört nicht zu einem modernen und
motivierenden Führungsstil. Nun kam noch die Geschichte mit
gelöschten Streikaufrufen dazu. Unabhängig von all den technischen
Begründungen für den Vorgang: Mehdorn hat erneut gezeigt, dass
Fingerspitzengefühl für ihn ein Fremdwort ist.
Noch schlimmer als sein Tun, Nichtwissen oder bloßes Dulden ist sein
Hang, alle Versäumnisse unter den Tisch zu kehren. Salamitaktik statt
Offenheit - das steht dem Vorstandschef eines Staatsunternehmens
schlecht zu Gesicht. Daher ist es gut, dass der Bahnchef seinen
Rücktritt angeboten hat. Bei allem Respekt für die
betriebswirtschaftlichen Erfolge des Managers Hartmut Mehdorn: Dieser
Schritt kam keinen Tag zu früh.

Originaltext: Südwest Presse
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/59110
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_59110.rss2

Pressekontakt:
Südwest Presse
Lothar Tolks
Telefon: 0731/156218


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