(Registrieren)

Landeszeitung Lüneburg: ,,Abwarten reicht nicht für Politiker" -- Interview mit SPD-Chef Franz Müntefering

Geschrieben am 20-03-2009

Lüneburg (ots) - Nicht mal die Wirtschaftskrise kann das
Koalitionsgerangel unterbinden. SPD und Union streiten über die
staatliche Reaktion auf den Kollaps des Finanzkapitalismus. Streit,
der für Franz MÏntefering (69) zur Demokratie dazugehört. Dennoch
plädiert der SPD-Chef im Interview mit der LZ für einen kurzen,
intensiven Wahlkampf. Bis dahin stünden die Interessen des Landes im
Vordergrund. Und die erforderten schnelles Handeln: "Abwarten reicht
nicht. Dann hätte Politik keine Existenzberechtigung mehr."

Jüngst attestierten Sie der SPD "Zuversicht in die Gestaltbarkeit
der Dinge". Schlägt in der Finanzkrise, die den Staat als Retter
fordert, die Stunde der Sozialdemokratie?
Franz Müntefering: Ein großes Wort. Aber soviel ist klar: die Luft
ist wieder voll mit sozialdemokratischen Themen. Das Soziale und
Demokratische wird Bewegung. Und wir stehen im Zentrum dieser
Entwicklung. Wir wissen, was wir wollen: soziale Gesellschaft,
Sozialstaat, soziale Partnerschaft und soziale Marktwirtschaft.
Dieser klare Kompass hilft bei der Überwindung der Krise.

Ein kraftvoller Staat schreckt die SPD weniger als die Union.
Hilft Ihnen die Krise im Wahlkampf?
Müntefering: Darum geht es nicht. Es geht darum, die Krise zu
überwinden und neue Regeln zu finden, damit so etwas in der Zukunft
nicht wieder passiert. Da haben wir als Sozialdemokraten bisher die
richtigen, pragmatischen Antworten gegeben: mit dem Konjunkturpaket
und unseren Vorschlägen für eine neue Regulierung der Finanzmärkte.
Wie sich die Krise weiterentwickeln wird, weiß man noch nicht. Noch
ist offen, wie das Jahr läuft. Und entsprechend wird es auch ein
besonderer Wahlkampf in einem besonderen Jahr werden. Die 9er-Jahre
brachten in der deutschen Geschichte ja oft wichtige
Weichenstellungen. Das kann dieses Jahr wieder so sein. Mit Blick auf
die Bundestagswahl im Herbst sind wir gut in der Zeit. Wir können und
werden Schwarz-Gelb aufhalten. Das wollen wir, weil Marktradikalismus
die falsche Antwort ist. Wir kämpfen dafür, dass Frank-Walter
Steinmeier ins Kanzleramt einzieht.

Die Union zaudert beim Gesetz gegen Steueroasen. Verlässt die
Kanzlerin der Mut?
Müntefering: Das ist ein Problem. Ich kann der Union nur dringend
empfehlen, das nicht weiter zu verschleppen. Zur Neuordnung der
Finanzmärkte gehört auch das Steueroasenbekämpfungsgesetz. Das hängt
jetzt schon seit 14 Tagen durch. Ich hoffe aber, dass sich die Union
bald bewegt. Das Zeitfenster ist zu schmal, als dass wir lange
zuwarten können. Ähnliches gilt für die Managergehälter. Wir haben
uns zwar auf einiges verständigt. Doch bei der Begrenzung der
Absetzbarkeit von Gehältern über eine Million Euro will die Union
bisher nicht mitgehen - aus ideologischen Gründen. Eine ähnlich
komische Zurückhaltung legen einige Unionspolitiker, auch bei
notwendigen Rettungsmaßnahmen für große Industrieunternehmen an den
Tag. Dabei ist Eile geboten.

Diese Koalitions-Streitigkeiten schwächten die Union und stärkten
die FDP. Setzt die SPD jetzt verstärkt auf wirtschaftspolitische
Reizthemen?
Müntefering: Wir wollen Lösungen der Probleme, Frau Merkel zaudert
und zögert und stimmt im Zweifel gegen sich selbst, wenn die
Mehrheitsverhältnisse in ihrer eigenen Truppe gerade mal so sind, wie
jüngst bei der notwendigen Reform der Jobcenter. Das ist
Geschäftsführung, nicht Führung der Bundesregierung und wird dem
Gestaltungsanspruch von Politik nicht gerecht. Für mich ist
unbegreiflich, wie eine Kanzlerin so etwas machen kann. Derzeit fehlt
der Union die klare Linie, nicht zuletzt, weil die CSU so auf Krawall
gebürstet ist, dass sie unzurechnungsfähig ist. Das belastet
natürlich auch die Koalition im Ganzen. Da hätte Frau Merkel als
Kanzlerin auch mal auf den Putz hauen müssen, um der Schwesterpartei
die Grenzen aufzuzeigen.

Hat das Kabinett das Regieren eingestellt, weil die große
Koalition Wahlkampf führt?
Müntefering: Nein, das Kabinett ist handlungsfähig -- zuallererst
dank der Sozialdemokraten im Kabinett mit Frank-Walter Steinmeier an
der Spitze. Wir werden weiter die Handlungsfähigkeit der Koalition
sicher stellen. Bundestagswahlkampf wird erst im August/September
sein. Das ist auch Zeit genug. Bis dahin muss man sich im Interesse
des Landes auf die anstehenden Aufgaben konzentrieren.

Kann die Opel-Rettung noch aus dem Wahlkampf rausgehalten werden
oder wird das ein bloßer Stimmenfänger?
Müntefering: Die Zeit drängt. Jetzt geht es darum, dass der
Mutterkonzern liefert. Wenn wir Opel in Europa helfen wollen -- und
das wollen wir--, muss es ein Abschottungskonzept geben. Geld, das
hier reingepumpt wird, darf nicht in den USA landen. Auch die Frage
der Patente und der technischen Entwicklung muss geklärt werden. Hier
darf nicht gezögert werden. Die Grundsatzfrage ist: Wartet man ab,
welche Argumente es geben kann, nicht zu helfen oder versucht man die
Bedingungen zu schaffen, damit Opel stabilisiert werden kann? Und da
bin ich eindeutig für Letzteres. Leichtfertigkeit verbietet sich.
Indus"trie ist die Grundlage unseres Wohlstandes. Und das wird auch
so bleiben. Zum Glück fuhren wir hier einen anderen Kurs als die
Briten, die voll auf den Finanzmarkt setzten und jetzt in der Krise
stärker abstürzen. Deindustrialisierung wäre für ganze Landstriche
eine Katastrophe. Diese Erfahrung haben wir nach dem Fall der Mauer
in den neuen Bundesländern gemacht. Deshalb muss man um jedes
Unternehmen und jeden Arbeitsplatz kämpfen. Abwarten, ob sich das von
alleine löst, ist nicht hinreichend. Dann hätte Politik keine
Existenzberechtigung mehr.
Das Interview führte Joachim Zießler

Originaltext: Landeszeitung Lüneburg
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/65442
Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_65442.rss2

Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de


Kontaktinformationen:

Leider liegen uns zu diesem Artikel keine separaten Kontaktinformationen gespeichert vor.
Am Ende der Pressemitteilung finden Sie meist die Kontaktdaten des Verfassers.

Neu! Bewerten Sie unsere Artikel in der rechten Navigationsleiste und finden
Sie außerdem den meist aufgerufenen Artikel in dieser Rubrik.

Sie suche nach weiteren Pressenachrichten?
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf folgender Übersichtsseite. Desweiteren finden Sie dort auch Nachrichten aus anderen Genres.

http://www.bankkaufmann.com/topics.html

Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail unter der Adresse: info@bankkaufmann.com.

@-symbol Internet Media UG (haftungsbeschränkt)
Schulstr. 18
D-91245 Simmelsdorf

E-Mail: media(at)at-symbol.de

193079

weitere Artikel:
  • Das Erste, Sonntag, 22. März 2009, 12.00 - 12.45 Uhr Presseclub mit Jörg Schönenborn Köln (ots) - Thema: Ende der Schonzeit - der Fall Althaus Er will zurück, um jeden Preis. Der thüringische Ministerpräsident Althaus will wieder ins Amt, obwohl er wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde und selbst noch von den Folgen seines Skiunfalls schwer gezeichnet ist. Jetzt spekuliert er auf Verständnis und moralische Nachsicht. Eine mediale Inszenierung hat begonnen. Was tut ein Politiker alles, um an der Macht zu bleiben? Kann er mit der Schuld regieren oder wird er von seiner Partei bedrängt, die in Bund und Ländern mehr...

  • Neues Deutschland: zu den Beziehungen USA - Iran Berlin (ots) - Er wünsche »Partnerschaft« gegenüber Iran, sagte Barack Obama und sprach den Wunsch nach einem Neubeginn aus. Zu Freundlichkeiten dieser Art hat sich kein US-Präsident gegenüber einem Herrscher in Teheran hinreißen lassen seit den Zeiten des Schahs. Der war einst Washingtons mächtigster Verbündeter in Mittelost. Als er vor 30 Jahren unerwartet schnell stürzte, die US-Botschaft in Teheran besetzt wurde, eine Kommandoaktion von GIs schmählich misslang, war das Washingtons bis heute wohl empfindlichste Niederlage in der mehr...

  • Westdeutsche Zeitung: Tabus helfen bei der Aufarbeitung der Finanzkrise nicht - Eine ganz pragmatische Enteignung = Von Friedrich Roeingh Düsseldorf (ots) - Ja, die Enteignung einer Bank ist ein Tabubruch. Wer mit der Zwangsverstaatlichung der Hypo Real Estate den Untergang der Marktwirtschaft heraufziehen sieht, ignoriert allerdings den noch größeren Tabubruch, der diesem Gesetz vorausgegangen ist: Eine einzige Immobilienbank musste mit 100 Milliarden Euro an Garantien und Kredithilfen vor dem Untergang bewahrt werden, damit sie nicht das international vernetzte Finanzsystem mit in die Tiefe reißt. Der allergrößte Teil dieser unvorstellbaren Summe wurde notgedrungen mehr...

  • Kölner Stadt-Anzeiger: Steinmeier kritisiert "Tohuwabohu" in der Union SPD-Kanzlerkandidat warnt CDU/CSU und FDP vor Wahlkampf mit Steuersenkungs-Versprechen Köln (ots) - Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat von der Union aufgefordert, zu einer konstruktiven Regierungsarbeit zurückzukehren. "Tohuwabohu und Unruhe", die insbesondere die CSU und deren Vorsitzender Horst Seehofer zu verantworten hätten, schadeten "ja nicht nur der Union, sondern der Koalitionsarbeit und am Ende dem Wohl des Landes", sagte der SPD-Kanzlerkandidat dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstag-Ausgabe). Auch das Nein der Unionsbundestagsfraktion und der Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Reform der Jobcenter sei mehr...

  • Märkische Oderzeitung: Märkische Oderzeitung Frankfurt (Oder) zu Obama/Iran Frankfurt/Oder (ots) - Zumindest rhetorisch hat sich einiges verändert. Die USA brandmarken Iran nicht mehr als Teil der "Achse des Bösen". Washington strebt 30 Jahre nach dem Bruch der diplomatischen Beziehungen Direktgespräche mit dem Mullah-Regime an. Und nun umgarnt Präsident Obama auch noch die Bevölkerung. Allerdings sind die bilateralen Beziehungen von Normalität weit entfernt. Die lange vor dem Streit um das iranische Atomprogramm verhängten amerikanischen Sanktionen wurden erst in der vergangenen Woche um ein weiteres Jahr verlängert. mehr...

Mehr zu dem Thema Aktuelle Politiknachrichten

Der meistgelesene Artikel zu dem Thema:

LVZ: Leipziger Volkszeitung zur BND-Affäre

durchschnittliche Punktzahl: 0
Stimmen: 0

Bitte nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, diesen Artikel zu bewerten:

Exzellent
Sehr gut
gut
normal
schlecht